So handwerklich exzellent und detailverliebt wie ihre Arbeiten sind auch die Identities der Tischlereien, die wir hier vorstellen.
Hobel, Winkel und Zirkel bilden seit Jahrhunderten das traditionelle Zunftzeichen der Schreiner und Tischler. Doch das Handwerk hat sich in den über 600 Jahren seines Bestehens immer wieder neu erfunden. Moderne Werkstoffe und Werkzeuge, verbesserte Verarbeitungsmethoden sowie die stetige Digitalisierung des Mittelstands sorgen in 30 000 Betrieben mit rund 200 000 Beschäftigten hierzulande für Innovation im Holzgewerk und einen jährlichen Umsatz von rund 23 Milliarden Euro.
Neben neuster Technologie und einem nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen prägt die Arbeit mit und für Menschen das Berufsfeld, das meist weit über die bloße Holzverarbeitung hinausgeht. Mit innovativen Geschäftsideen stellen sich Tischlereien breiter auf und sprechen mit ihren Identities – die auch mal zur Modelinie ausgebaute Arbeitskleidung umfassen können, – und ihren Social-Media-Aktivitäten nicht nur Kunden, sondern auch die dringend gesuchten Nachwuchskräfte an.
Tischler-Identities: Nachhaltig gebrandet
Die Meisterschreinerei Becker aus dem Unterallgäu ist ein klassischer Familienbetrieb. Als sie den Grafikdesigner Marc Brugger 2018 mit der Überarbeitung des Corporate Designs beauftragte, lautete die Aufgabe, zugleich die Geschichte und die zukunftsgewandte Haltung des Unternehmens zur Geltung zu bringen. Brugger griff dazu auf ein vorhandenes Element zurück – die von Hand gezeichnete, stilisierte Säge. Als Schrift setzt er die modern und klar wirkende Proxima Nova von Mark Simonson ein. In Kombination mit dem pudrigen Salbeigrün und einem kühlen Dunkelgrau unterstreicht das Design den schonenden Umgang mit natürlichen Ressourcen. In diesem Jahr gestaltete Brugger auch eine neue Website sowie diverse Printmaterialien, darunter Anzeigen, die Geschäftsausstattung und Fahrzeugbeschriftungen, und als Besonderheit das Logo im Brenneisen für Holzbrandstempel auf den handgemachten Möbeln.
Bild: Jonathan Becker, www.beckerschreinerei.deBild: Jonathan Becker, www.beckerschreinerei.deBild: Jonathan Becker, www.beckerschreinerei.de
Zentrale Wortmarke: Tischler im Weltall
Ebenso spielerisch wie der Name – Raumstation & Friends – ist auch das Erscheinungsbild der jungen Berliner Tischlerei, das der Gründer Simon Meinberg und der COO Alexander Eickenhorst gemeinsam mit dem befreundeten brasilianischen Designbüro Frente entwickelt haben. Das Bild der Raumstation soll die Innovationskraft des Unternehmens unterstreichen, das »& Friends« steht für die Zusammenarbeit mit anderen Gewerken und Kooperationen etwa mit Architekten und Designern. »Es kommen immer öfter Kunden zu uns, die mehr als nur Einbauten wollen«, berichtet Simon Meinberg. »Mal geht es um Lichtplanung, mal um eine Meinung zu Logo, Corporate und Interior Design oder einen Tipp, wo es Leuchtreklame gibt.«
Tragend für die Identity ist die im Google Font Krona One von Yvonne Schüttler gesetzte Wortmarke in Kombination mit vier daraus abgeleiteten (Bild-)Zeichen, die als Namenskurzform im Quadrat oder in einer Reihe erscheinen: und zwar ein gespiegeltes R, das mit einer kleinen Haube zum Raumschiff wird, ein angeschnittenes O mit Punkt als von einem Mond umkreister Planet sowie das Ampersand und ein stilisiertes F. Diese Symbole finden sich nicht nur in der Geschäftsausstattung wieder, sondern auch in einer kleinen T-Shirt- und Hoodie-Kollektion, die sie unter www.raumstation-friends-clothing.de anbieten.
Onlineshop & YouTube-Channel: Zeitgemäßes Geschäftsmodell der Tischlerei
»Unser Onlineshop und die Designberatung sind nur ergänzende Angebote, aber das ist ein zeitgemäßes Geschäftsmodell«, erklärt Simon Meinberg. Auf der Höhe der Zeit ist zudem das Marketing von Raumstation & Friends, und das nicht nur auf Instagram, sondern auch auf YouTube. In einem eigenen Channel berichtet Simon Meinberg unterhaltsam über seinen Arbeitsalltag und aktuelle Aufträge der Tischlerei. So hat ihn inzwischen auch ein Fernsehsender entdeckt, bei dem er demnächst in einem neuen Format auftreten.
Ob Instagram, YouTube, Facebook oder Pinterest – die Berliner Tischlerei Raumstation & Friends präsentiert sich ebenso verspielt wie cool. Auf YouTube lässt Tischler Simon Meinberg den Zuschauer hinter die Kulissen blicken.
Mehr als nur Tischlerarbeiten bietet auch die 2016 von Marina und Daniel Zeitler gegründete Firma Zeitwerk-Design aus Tauberbischofsheim an. Die Architektin und der Schreinermeister verbinden ihr Fachwissen, um hauptsächlich Innenausbauten in Privathaushalten zu planen und auszuführen. Die klare, geometrische Identity, die der Kommunikationsdesigner Marcel Alber für sie entwickelt hat, ist vom klassischen Tangram-Spiel inspiriert. Das daraus abgeleitete Logo kombiniert nicht nur die Initialen Z und W, sondern fügt auch die drei Kernkompetenzen von Zeitwerk-Design – Entwurf, Planung und Fertigung – zu einer in sich geschlossenen Form zusammen. Der minimalistisch-moderne Auftritt setzt sich auf der ebenfalls von Marcel Alber klar und übersichtlich gestalteten Homepage fort.
Formbewusst: Das Zeitwerk-Design-Signet von Marcel Alber kombiniert nach dem Tangram-Prinzip nicht nur die Buchstaben Z und W, sondern steht auch für die drei Kernkompetenzen des Unternehmens: Entwurf, Planung und Fertigung.
Branding für kleine Tischlerei: Gestaltenreiche Unikate
Das Branding für testa, eine kleine Tischlerei in Buenos Aires, entwarfen Stephanie Goetz und Hernán Di Filipo von Estudio Convoi 2019. Das spanische testa bedeutet »Haupt«, in der Holzverarbeitung bezeichnet man so aber auch das sogenannte Hirn-, Stirn- oder Kopfholz: die quer zur Längsachse verlaufende Fläche mit den gestaltenreichen Baumringen. Daraus leiteten die Kreativen nicht nur den Namen ab, sondern auch verschiedene weiche Formen in gedeckten, natürlichen Farben von sattem Ocker und Dunkelrot bis Hellbeige und Zartrosa, die auf Holzverbindungen, Handarbeit und die Feinheiten des Materials verweisen sollen.
Da jedes von testa entworfene Stück ein Unikat ist, entstand zudem ein Stempel für fortlaufende Projektnummern und ein Zeichen des Tischlers, der es gefertigt hat. Für die Subline »A Good Woodcrafter« verwendete Estudio Convoi die Sharp Grotesk von Typedesigner Lucas Sharp. Für das Logo selbst wandelte es die Josefin Sans, einen Google Font von Santiago Orozco, leicht ab.
Sonne, Mond und Säge: detailreiche Wort-Bild-Marke
Ein breites handwerkliches Spektrum bietet die 2010 von Zimmermann Dalibor Nikolic gegründete Firma Blackdata Construction aus Hamburg an – die Leistungen reichen von Holz-, Stahl- und Fahrzeugbau bis hin zu Eventdekoration, Sound- und Lichttechnik. Diese Vielfalt spiegelt auch die detailreiche Wort-Bild-Marke wider, die zudem verschiedenste Symbolwelten kombiniert. Neben den klassischen Zunftzeichen des Schreinerhandwerks Zirkel und Winkelmaß tauchen unter anderem ein Sägeblatt, Stift, Hammer, Pinsel, Glühbirne und ein Auge auf, die das technische und gestalterische Können von Blackdata Construction betonen. Dazu kommen kleine Ornamente, sogenannte Sicanje, aus der kroatischen Heimat von Dalibor Nikolic, die einer inzwischen wieder sehr populären, jahrhundertealten christlichen Tätowiertradition entspringen.
Der prägnante, handwerklich wirkende Schriftzug in der Slab Serif Geared von Ben Dalrymple kann sich zwischen all den Bildzeichen gut behaupten. Das facettenreiche, von Illustrator Markus Mross inhouse umgesetzte Logo findet sich auf Briefpapier, Skizzenblöcken, Zollstöcken und Stempeln ebenso wie auf den Aufnähern für die Kleidung der Mitarbeiter.
Alpine Präzision, modernes Erscheinungsbild
Einen wirklich gelungenen Erstauftrag als Freiberufler und eine ungewöhnliche Geschichte vereinen den Tischler François Pons und den Grafikdesigner Florian Weidmann aus der französischen Alpenstadt Annecy. Pons ist studierter Ingenieur und wechselte nach über 25 Jahren in der Pharmaindustrie 2019 ins Holzhandwerk. Für sein Unternehmen Made of Wood sollte Florian Weidmann eine passende Identity entwickeln. Diese basiert auf den zu Holzstücken stilisierten Buchstaben M und W, die sich an den schmalen Seiten zu verbinden scheinen. Die Idee von Zuverlässigkeit und Präzision soll auch die geometrische Sans-Serif-Schrift Poppins von Jonny Pinhorn vermitteln, deren runde Formen zudem die naturnahe Seite des Holzhandwerks betonen. Warme Beige- und Brauntöne, kombiniert mit Schwarz, lassen ein stimmiges, modernes Erscheinungsbild entstehen.
Data-driven Design vs. Intuition ++ Nachhaltigkeit als Markenstrategie ++ Corporate Design für Tischlereien ++ Keine Helvetica! Erik Spiekermanns Neogrotesk ++ UX/UI Design: Common Web Frontend ++ Printveredelung: Farbschnitt ++ KI-Tools für Kreative