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Schluss mit westlich zentriertem Design!

Eine Initiative arabischer Designer will das Bewußtsein für die eigene visuelle Identität und dessen Historie schärfen.

Arabisches Buchcover-Design Geschichte

Mit seinem wunderbaren Instagram-Account @arabiccoverdesignarchive, von dem obiges Bild stammt, erregt Moe Elhossieny derzeit international Aufsehen. Auch wir berichten in der jüngst erschienenen PAGE 2.2021 über diese Sammlung von Buchcovern aus dem 20. Jahrhundert. Doch für den ägyptische Designer, der 2018 nach dem Studium am Londoner Central Saint Martins College nach Kairo zurückkehrte, ist das nur der Anfang.

Gemeinsam mit Mitstreitern aus anderen arabischen Ländern startete er nun das Design Repository, eine Online-Plattform, die kritisch auf die Verwestlichung und Verwässerung arabischer Designkultur blickt. Die Website soll Platz für längst fällige Diskussionen und Analysen bieten und Sammelstelle für die bislang viel zu wenig beachtete Gestaltung aus der arabischen Welt werden.

 

Design-Manifest Arabisches Design

 

Manifest für arabisches Design

Worum es Elhosseiny und seinem Mitstreitern vom Design Repository geht, haben sie in aller Deutlichkeit im Manifest »Last Things First« zusammengefasst. Zum einen fordern sie einen kritischen Blick auf die Mechanismen, die das massive Vordringen westlicher Ästhetik fördern – mit erheblichen Folgen für Identität und Kultur.

»Forces are dictating what and how we should learn, what has aesthetic value, what framework to use to extract meaning from our own experiences, what is interesting, what is accepted, what is civil, what sounds nice in our language, how to think, and thus, shaping both our identity and culture.«

Konkrete Kritik üben die Gestalter dabei auch an den ägyptischen Universitäten, die aus ihrer Sicht westliche gegenüber arabischen Lehrkräften bevorzugen und westliches Denken als den allein seligmachenden Weg zu Progressivität und Modernität propagieren.

 

Arabische Designgeschichte und -forschung in Instagram-Archiven

Gleichzeitig ruft man zu einem neuen Umgang mit dem eigenen visuellen Erbe auf. Statt sich nur auf archäologische Fundstücke aus antiken Kulturen zu beschränken, müsse man in der arabischen Welt den Begriff des kulturellen Erbes neu definieren. »Wir sollten alle Drucksachen als historische Dokumente begreifen«, heisst es in dem Manifest, das eine ganz neue Kultur physischer und digitaler Archive fordert. Dabei gehe es nicht darum, eine von welchen ästhetischen Kriterien auch immer geprägte Auswahl zu treffen, sondern unvoreingenommen die eigene visuelle Historie und Kultur zu dokumentieren.

Tatsächlich entstehen in verschiedenen arabischen Ländern gerade diverse Archive für arabische Designgeschichte – Forschungsprojekte, die spannende Ergebnisse für arabische Designer versprechen und es auch westlichen Gestaltern ermöglichen, ihren Horizont für vielfältige visuelle Kulturen zu erweitern. Unbedingt unterstützenswert.

 

Street-Typography Cairo Arabic Typewalks Instagram

Graffiti Kairo Arabische Typo

Street-Typography Cairo Arabic Typewalks
Arabic Type Walks, Instagram @arabictypewalks

 

 

Plakatdesign aus Syrien
Syrian Print Archive Project, Instagram @syrianprintarchive_. Plakat für eine Ausstellung in einer Galerie in Damaskus 2008

 

Plakatdesign aus Syrien 1984
Syrian Print Archive Project, Instagram @syrianprintarchive_. Plakat für ein Theaterfestival, 1984 entworfen von Abdulkader Arnaout

 

 

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Kommentare zu diesem Artikel

  1. @Setzfehler – Sie haben mich falsch verstanden. Natürlich ergibt sich kulturelle Identität aus der Geschichte, aus den Einflüssen auf eine Gesellschaft. Aber das ist ein dynamischer Prozess. Das ist das Entscheidende. Jedes Jahr kommen neue Erlebnisse, Einflüsse – auch von außen – hinzu. Damit gibt es nicht “die” Identität, sondern nur eine zu einem bestimmten Zeitpunkt. Wenn man dann einen beliebigen Zeitraum zurückgeht und die Identität zu diesem Zeitpunkt als „Punkt Null“ benennt ignoriert man die Einflüsse zwischen diesem Zeitpunkt und heute. Das meinte ich mit „nur aus der Historie“.

    @Claudia Gerdes – Es spricht gar nichts dagegen, mal zu schauen, wie haben wir es vor x Jahren gemacht, wie machen wir es heute, und zu überlegen, was hat mir besser gefallen. Aber daraus ein Manifest zu machen und damit diesen willkürlichen Zeitpunkt der eigenen Geschichte als wahr und richtig zu definieren, ist eindeutig rückwärtsgewandt, denn schon die Identität zum Zeitpunkt x ist nicht der Punkt Null, an dem alles “richtig” war, sondern auch diese ist über Jahrzehnte durch Erfahrungen und Einflüssen von außen entstanden. und das Manifest ignoriert damit die Entwicklungen und Einflüsse in der Zwischenzeit. Ganz simpel: Die “gute, alte” Zeit soll zurückgeholt werden.

    “Zum einen fordern sie einen kritischen Blick auf die Mechanismen, die das massive Vordringen westlicher Ästhetik fördern – mit erheblichen Folgen für Identität und Kultur.”

    Damit werden “die” westlichen Einflüsse (welche auch immer das sein mögen) als schlecht definiert. “Erhebliche Folgen für Kultur und Identität” Ja, welcher Identität denn? Eben, der zu einem willkürlich gewählten Zeitpunkt der Geschichte. Die so oft gefeierte europäische Kultur setzt sich, neben vielen anderen, auch aus Einflüssen der arabischen Welt in den letzten 1.000 Jahren zusammen. Das lässt sich gar nicht trennen. Wir wissen es nur häufig nicht mehr. Aber wir verteufeln es auch nicht.

    Etwas anderes Beispiel, aber es folgt dem gleichen Prinzip: Meine Mutter, Mitte 80, hat sich vor einiger Zeit beschwert, dass das Deutsch ihrer Studenten, immer schlechter wird. Sie vergleicht dieses natürlich mit dem Deutsch, das sie in der Schule gelernt hat und das für viele Jahre gesellschaftlich üblich und akzeptiert war. Ich habe ihr erwidert, dass Menschen, die 80-100 Jahre vor ihr gelebt haben, ihr Deutsch vermutlich als schlecht ansehen würden, da sich die Sprache vor dem Zeitpunkt, zu dem sie sie erlernt hat, natürlich auch schon gewandelt hat. Genauso wie es heute passiert. Das ist ein natürlicher Prozess. Ebenso verhält es sich mit der Identität.

    Wir sehen uns mehrheitlich als Europäer (wünsche ich mir zumindest), das ist aber gerade mal 50-60 Jahr her. Vor 80-100 Jahren sah das ganz anders aus. Was würden sie zu Designern sagen, die das Plakatdesign vor 80 Jahren zusammenstellen würden, die die Typographie zu dieser Zeit feiern würden und die Einflüsse z. B. der USA als Gefahr für unsere Identität anprangerten. Würden Sie denen nicht eine Rückwärtsgewandheit vorhalten? Vermutlich mit dem Hinweis, sie würden 60 Jahre gesellschaftliche Entwicklung ignorieren?

  2. DK, Kommentar vom 26. 1.: Mal janz dumm nachjefragt: Woher haben Sie denn Ihre kulturelle Identität, wenn nicht aus der Geschichte?

  3. Lieber DK, seit wann lässt sich kulturelle Identität nicht mit dem Blick auf Geschichte begründen? Und wie kommen Sie darauf, dass die beteiligten Designer rückschrittliche Frauen- und Familienbilder haben? Bei dem Projekt geht es darum, erstmal eine dokumentarische Bestandsaufnahme von Designgeschichte anzustoßen, die in arabischen Ländern bisher so nicht existiert. Das hat aber nichts damit zu tun, dass dieses Design als »richtig« definiert würde, ganz im Gegenteil. Und das steht so auch in meinem Artikel und dem von mir zitierten Manifest.

  4. @25.01.2021, 11:48 – Dem kann ich nur zustimmen.

    Kulturreller Identität lässt sich nicht mit dem Blick in die Historie begründen. Kulturelle Identität ist immer ein zu einem zufälligen Zeitpunkt der Geschichte als “richtig” definiertes Konglumerat von Einflüssen. Meist von der herrschenden Macht als solches definiert, um die eigne Macht zu sichern und zu legitimieren. Oder auch von einer nach Macht strebenden Gruppe zu gleichem Zweck eingesetzt. Natürlich kann der Zeitpunkt des “Richtig” auch durch eine Gellschaft im stillschweigenden Konsenz akzeptiert werden, dann wird diese “Identität” immer dynamisch bleiben und sich mit der Gesellschaft verändern. Und das ist auch gut so.

    In diesem Projekt sehe ich nichts als einen rückwärtsgewandeten und idealsierten Blick auf die eigenen Geschichte. Fängt beim Design an und hört – ich weiß nicht – beim Kastenbewusstsein, religiöser EInschränkung, Frauen/Familienbild auf? Zu glauben es gebe “das arabische” Design und die kulturelle Identität ist grundfalsch. Kultur ist dynamischer Prozess, angefeuert durch Erfahrungen und Einflüsse auf eine Gesellschaft. Warum soll gerade das hier als arabisch gefeierte Design das “richtige” sein. Sie könnten ja auch 3.000 Jahre weiter zurückgehen und das zu dem Zeitpunkt aktuelle Design als richtig ansehen.

  5. Wer in “westlich zentriertem Design” nicht ganz viel Asien sieht, muss ein Laie sein. Von Plakatkunst und Holzschnitte über Jugendstil und Südseeromantik bis Comic und speziell Manga zieht sich ein asiatisch-pazifischer Faden durch Kunst und Design, das ich eher als Weltkunst bezeichnen würde. Demgegenüber scheinen arabische Designs mit ihrer martialischen Schwert-Schriftkunst und sakral-folkloristischen Elementen wie in der Zeit stehengeblieben. Sie erfinden das Rad auch nicht neu, wenn sie selber kunsthistorisch bekannte Ausdrucksformen einbauen. Das wirkt auf selten als eigenständige Einheit.

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