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Wird Design immer gleichförmiger, weil wir alle dieselben Bilder auf Pinterest speichern?

»Die algorithmische Suche nach Inspiration führt zu weniger Diversität«, findet Maggie Mustaklem. Sie erforscht das Phänomen der homogenisierten Inspiration durch Instagram und Co. Was sie uns rät …

Maggie Mustaklem, Porträtfoto
Maggie Mustaklem hat einen Bachelor in Psychologie und einen Master in Designgeschichte. Derzeit macht sie ihren Doktor am Oxford Internet Institute und befasst sich mit den Auswirkungen von KI im Design.  Bild: www.cesaredegiglio.com, 2022

Algorithmengetriebene Plattformen wie Pinte­rest und Instagram verändern die Inspirationssuche von Kreativen und können zu mehr Homogenität in der Gestaltung führen. Doktorandin Maggie Mustaklem untersucht in ihrem Forschungsprojekt »Design, in­terrupted« am Oxford Internet Institute der University of Oxford die Implikationen dieser Art von künst­licher Intelligenz für unser kreatives Schaffen. Wir haben sie gefragt, ob und wie man die digita­le Ins­pi­rationssuche verbessern kann und wie wichtig eine diversere Suche für unsere Gesellschaft ist.

Wie bist du auf das Thema Inspiration im Design gekommen?
Maggie Mustaklem: Ich habe lange als Modedesig­ne­rin in New York gearbeitet, mit einem Schwerpunkt auf Strickwaren. Irgendwann verwendete ich eine Stichart, die ich auf Pinterest gesehen hatte, und ent­deckte sie kurz darauf in zwei weiteren Läden. Wir haben den Pullover mit diesem Stich für 400 Dollar verkauft, bei Uniqlo gab es einen ähnlichen für 40 und bei einem High-End-Shop für 800. Ich begriff, dass wir alle das gleiche Bild auf unseren Pinterest-Boards hatten – zwei von uns lebten in New York, die andere in Tokio. So wurde ich auf das Problem aufmerksam und beschloss, es im Rahmen einer Doktor­arbeit genauer zu untersuchen.

In deiner Forschung beschränkst du dich aber nicht auf Modedesign, oder?
Nein. Ursprünglich hatte ich vor, nur Disziplinen zu untersuchen, die es schon vor der Digitalisierung gab, wie Grafikdesign, Architektur und Produktdesign, um die Veränderung zu den früheren analogen Arbeitsweisen aufzeigen zu können. Aber beim Aus­tausch mit einem UX-Design-Studio habe ich festgestellt, dass Digitaldesigner:innen dieselben Probleme mit Homogenisierung haben. Das fand ich spannend und habe deshalb den Scope erweitert.

Wie bist du vorgegangen?
Ich habe 15 Workshops mit verschiedenen Designstudios in London und Berlin gemacht, großen und kleinen Agenturen aus den Bereichen Architektur, Branding und Grafikdesign, Produktdesign, UX De­sign und Kunst. Ich gab ihnen ein Briefing und bat sie, entweder gedruckte Magazine und Bücher zur Inspirationssuche zu verwenden oder Onlineplattformen. Anschließend sprachen wir darüber, wie sich diese Vorgehen und die Ergebnisse unterscheiden. Dabei wurden schnell Generationsunterschie­de deutlich. Für die einen gehörte die analoge Suche früher ganz selbstverständlich zu ihrer Arbeit dazu, für die anderen ist es eher ein Relikt aus dem Studium, auf dem ältere Dozent:innen bestehen.

Generell waren die Vorgehensweisen und Proble­me über alle Disziplinen und Studios hinweg erstaun­lich ähnlich. Größere haben zwar oft etwas mehr Flexibilität und Freiheiten bei der Recherche, aber alle ringen damit, Bilder auf kreativere Arten zu finden – vorausgesetzt, sie sind sich des Problems bewusst.

»Ich plädiere dafür, sich die Defizite der einzelnen Plattformen bewusst zu machen und die Suche zumindest punktuell mit anderen Medien anzureichern«

Was sind denn die Vor- und Nachteile von analoger respektive digitaler Suche?
Ein großer Vorteil von analoger Suche ist serendi­pi­ty, der glückliche Zufall. Wenn ich in einer Bibliothek mehrere Bücher über ein bestimmtes Thema durchblättere, stoße ich viel eher auf unerwartete Er­gebnisse, als wenn ich online gezielt nach etwas suche. Algorithmische Suche ist zwar viel schneller, aber sie beschränkt sich immer auf das, was auf der jeweiligen Plattform verfügbar ist, und führt so zu einer endlosen Schleife. Das Erlebnis des glück­li­chen Zufalls lässt sich auf digitalen Plattformen nur schlecht bis gar nicht replizieren.

Bei der Recherche in Büchern und Zeitschriften bekomme ich zudem Kontext zu den Bildern und ent­wickle ein tieferes Verständnis für sie. Auch wenn ich sie anschließend herausreiße oder kopiere, habe ich diesen Kontext im Hinterkopf. Die digitale Suche lie­fert mir dagegen eine Masse an ähnlichen Bildern oh­ne jegliche Einordnung.

Außerdem sinkt die Diversität mit der digitalen Su­che. Das mag zunächst widersprüchlich erscheinen, weil ich ja viel mehr Bilder angezeigt bekom­me, als ich analog suchen kann. Aber tatsächlich ist die Varianz zwischen privaten Bücherregalen oder un­terschiedlichen Bibliotheken viel größer. Alle haben ihre eigenen Sammlungen und tragen so zur Einzigartigkeit und Diversität von Suchergebnissen bei. Bei der digitalen Suche gebe ich verschiedene Keywords ein und erwarte eine Bandbreite an Ergebnissen, aber die präskriptive Natur von Algorithmen führt dazu, dass ich überall auf der Welt ähnliche Bilder angezeigt bekomme. So entsteht die Homogenität, die wir heute überall sehen.

Hast du ein Beispiel aus einem Workshop?
Einmal bat ich die Teilnehmenden, online nach »spa­nischen Villen« zu suchen. Drei verschiedene Perso­nen bekamen auf Pinterest Fotos von Britney Spears’ ehe­maligem Haus in Malibu angezeigt. Das ist im kalifornischen Kolonialstil gebaut und hat so gut wie gar nichts mit spanischer Architektur zu tun! Der Algorithmus priorisiert jedoch diese Art von Luxus-Cele­bri­ty-Immobilien gegenüber echten spanischen Häu­sern. Das verdeutlicht auch die Gefahr von Bias in der digitalen Suche.

Maggie Mustaklem, Workshop
Bei einem Workshop mit der Berliner Corporate-Design-Agentur Helder durchforsteten die Teilnehmenden Zeitschriften nach Inspiration

Kann man die Nachteile digitaler Suche irgendwie umgehen?
Die meisten Gestalter:innen sind sich des Problems mehr oder weniger bewusst und haben kleine Takti­ken entwickelt, um die algorithmengetriebene Suche zu verbessern. Eine Person erzählte zum Beispiel, dass sie bei einem spanischen Kunden anfing, spanische Keywords zu verwenden, um andere Resultate zu erzielen. Ältere Designer:innen, die mit analogen Suchverfahren sozialisiert wurden, suchen di­gital oft eher seriell: Sie hangeln sich von einem Bild zum nächsten und stellen Verbindungen zwischen vorherigen Suchanfragen her. Jüngere geben sich oft schneller mit den ersten Ergebnissen zufrieden.
Manche trennen ihre privaten und beruflichen In­s­tagram-Accounts strikt, um persönliche Vorlieben und professionelle Recherche nicht zu vermischen. Es kann auch helfen, thematische Ordner auf Instagram anzulegen und eine Art persönliches Archiv zu schaffen, sodass man unabhängiger von aktuellen Trends ist. Und man sollte sich nicht auf eine Quelle beschränken, sondern verschiedene Plattformen he­ranziehen, beispielsweise Behance und Dribbble. Inzwischen gibt es auch eine ganze Reihe an Alternativen zu Pinterest wie Cosmos, mymind oder Kive, mit denen man visuelle Inspirationsboards erstellen und organisieren kann.

Du verteufelst also nicht die digitale Suche an sich.
Nein, das wäre unrealistisch. Die Recherche in einer Bibliothek kann unglaublich anstrengend und lang­wierig sein. Das kann man nicht für jeden Auftrag ma­chen, zumal der Zeitplan ja sowieso oft viel zu eng ist. Aber ich plädiere dafür, sich die Defizite der einzelnen Plattformen bewusst zu machen und die Suche zumindest punktuell mit anderen Medien anzureichern. Für viele Designer:innen, mit denen ich gesprochen habe, ist die visuelle Recherche zu Beginn eines Projekts einer der besten Teile ihrer Arbeit! Wir sollten uns mehr Zeit dafür nehmen und sie abwechslungsreicher gestalten.

Wie spielt generative KI hier mit rein?
Als ich 2019 mit meiner Forschung begann, war davon noch keine Rede. Die künstliche Intelligenz, von der ich sprach, bezog sich auf die Algorithmen in Pin­terest und Instagram, deren Empfehlungsmechanis­men auf Technologien wie Bilderkennung, Machine Learning und Natural Language Processing basieren. Ich nenne das »everyday AI«, weil sie den wenigs­ten von uns bewusst ist. Generative KI-Tools haben in meinen Workshops noch keine große Rolle gespielt. Ich denke aber, dass sie ähnliche Probleme mit sich bringen werden, weil sie nach demselben Prinzip funktionie­ren. Midjourney etwa wurde mit ei­ner Men­ge Bilder von der Plattform Deviant Art trainiert, weshalb die KI die Tendenz hat, Fantasy-ar­ti­ge Bilder zu erstellen. Dazu kommt die Weiterführung und Intensivie­rung von Bias aus den Trainings­da­ten, wie mittlerweile vielerorts dokumentiert wur­de. Inwieweit sich diese Tendenzen abtrainieren lassen, bleibt abzuwarten.

»Alle ringen damit, Bilder auf kreativere Arten zu finden – vorausgesetzt, sie sind sich des Problems bewusst«

Haben sich in den Workshops weitere Ansatzpunkte für deine Forschung ergeben?
Eine Sache, die mir aufgefallen ist: Für viele Desi­g­ne­r:innen ist ihr Smartphone eine wichtige Inspirationsquelle, und zwar ihre persönlichen Fotos. Sie machen Bilder von Dingen, die ihnen draußen begegnen oder von Ausstellungsbesuchen. Das ist natürlich stark daran geknüpft, wo sie leben. In großen Metropolen mit einer ausgeprägten kreativen Kul­tur machen Designer:innen andere Entdeckungen als in einem abgelegenen Dorf.
Diese Erfahrungs­wer­t­e weiten sich auch auf die Nutzung digi­ta­ler Plattformen aus. Deine Umgebung bestimmt, welche Um­gangsweise und welche Sprache du hast, um mit dem umzugehen, was du auf In­s­tagram siehst. Wie ordnest du das ein? Hinterfragst du das Gesehene? Wie gehst du damit um? Kannst du mit anderen Menschen aus der Kreativ-Community darüber sprechen? Die geografische Verortung hat ei­nen Einfluss darauf, wie du als Desi­g­nerin oder Designer wahrgenommen und wertgeschätzt wirst. Diesen Aspekt würde ich gerne weiter vertiefen.

Ein anderer Punkt, den ich untersuchen möchte, sind die kulturelle Komponente und die Bias, die in der digitalen Suche liegen. Sucht man zum Beispiel nach »Dutch Design«, wird einem moderne, zeitgenössische, anspruchsvolle Gestaltung gezeigt. Sucht man nach »Indian Design« ist es hauptsächlich tra­di­tionelles Handwerk. Natürlich gibt es zeitgenössi­sches indisches Design – aber es wird ei­nem online nicht gezeigt, wenn man nicht explizit danach sucht. Was macht es mit uns, wenn wir man­chen Dingen einfach nicht ausgesetzt werden? Wenn wir nicht wissen, was es da draußen noch gibt? Dabei geht es nicht bloß um ästhetische Trends, sondern darum, welches Design wir wertschätzen und warum. Das hat handfeste gesellschaftliche Auswirkungen.

Wie geht es jetzt konkret weiter mit deiner Doktorarbeit?
Die Phase der tiefen, qualitativen Recherche in den Workshops ist inzwischen abgeschlossen. Als Nächs­tes wer­de ich breiter angelegte quantitative Umfragen durch­führen und dabei auch die beiden gerade beschriebenen Aspekte berücksichtigen. Wer daran teilnehmen möchte, folgt mir am besten auf X unter @mag­gieselfie, dort teile ich dann den Link. Außer­dem denke ich darüber nach, ein Tool zu entwickeln, das sich mehr auf den Workflow bezieht als auf die Inspirationssuche an sich. In vielen meiner Gesprä­che kam nämlich heraus, dass einer der größten Pain Points die Organisation und Aufbereitung der gesammelten Bilder ist. Am Ende hoffe ich, dass meine Forschung einen praktischen Nutzen für De­sig­ne­r:innen haben wird und keine rein akademische Publikation bleibt.

Diese Pinterest-Alternativen solltet ihr kennen!

Die meisten Kreativen nutzen Instagram und Pinterest zur Inspirationssuche. Dadurch sehen alle Moodboards irgendwie gleich aus. Aber es gibt Alternativen!

 

Dieser Beitrag ist erstmals in PAGE 12.2023 erschienen.

PDF-Download: PAGE 12.2023

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