
Wird Design immer gleichförmiger, weil wir alle dieselben Bilder auf Pinterest speichern?
»Die algorithmische Suche nach Inspiration führt zu weniger Diversität«, findet Maggie Mustaklem. Sie erforscht das Phänomen der homogenisierten Inspiration durch Instagram und Co. Was sie uns rät …
Generell waren die Vorgehensweisen und Probleme über alle Disziplinen und Studios hinweg erstaunlich ähnlich. Größere haben zwar oft etwas mehr Flexibilität und Freiheiten bei der Recherche, aber alle ringen damit, Bilder auf kreativere Arten zu finden – vorausgesetzt, sie sind sich des Problems bewusst.
»Ich plädiere dafür, sich die Defizite der einzelnen Plattformen bewusst zu machen und die Suche zumindest punktuell mit anderen Medien anzureichern«
Was sind denn die Vor- und Nachteile von analoger respektive digitaler Suche?
Ein großer Vorteil von analoger Suche ist serendipity, der glückliche Zufall. Wenn ich in einer Bibliothek mehrere Bücher über ein bestimmtes Thema durchblättere, stoße ich viel eher auf unerwartete Ergebnisse, als wenn ich online gezielt nach etwas suche. Algorithmische Suche ist zwar viel schneller, aber sie beschränkt sich immer auf das, was auf der jeweiligen Plattform verfügbar ist, und führt so zu einer endlosen Schleife. Das Erlebnis des glücklichen Zufalls lässt sich auf digitalen Plattformen nur schlecht bis gar nicht replizieren.
Bei der Recherche in Büchern und Zeitschriften bekomme ich zudem Kontext zu den Bildern und entwickle ein tieferes Verständnis für sie. Auch wenn ich sie anschließend herausreiße oder kopiere, habe ich diesen Kontext im Hinterkopf. Die digitale Suche liefert mir dagegen eine Masse an ähnlichen Bildern ohne jegliche Einordnung.
Außerdem sinkt die Diversität mit der digitalen Suche. Das mag zunächst widersprüchlich erscheinen, weil ich ja viel mehr Bilder angezeigt bekomme, als ich analog suchen kann. Aber tatsächlich ist die Varianz zwischen privaten Bücherregalen oder unterschiedlichen Bibliotheken viel größer. Alle haben ihre eigenen Sammlungen und tragen so zur Einzigartigkeit und Diversität von Suchergebnissen bei. Bei der digitalen Suche gebe ich verschiedene Keywords ein und erwarte eine Bandbreite an Ergebnissen, aber die präskriptive Natur von Algorithmen führt dazu, dass ich überall auf der Welt ähnliche Bilder angezeigt bekomme. So entsteht die Homogenität, die wir heute überall sehen.
Hast du ein Beispiel aus einem Workshop?
Einmal bat ich die Teilnehmenden, online nach »spanischen Villen« zu suchen. Drei verschiedene Personen bekamen auf Pinterest Fotos von Britney Spears’ ehemaligem Haus in Malibu angezeigt. Das ist im kalifornischen Kolonialstil gebaut und hat so gut wie gar nichts mit spanischer Architektur zu tun! Der Algorithmus priorisiert jedoch diese Art von Luxus-Celebrity-Immobilien gegenüber echten spanischen Häusern. Das verdeutlicht auch die Gefahr von Bias in der digitalen Suche.

Kann man die Nachteile digitaler Suche irgendwie umgehen?
Die meisten Gestalter:innen sind sich des Problems mehr oder weniger bewusst und haben kleine Taktiken entwickelt, um die algorithmengetriebene Suche zu verbessern. Eine Person erzählte zum Beispiel, dass sie bei einem spanischen Kunden anfing, spanische Keywords zu verwenden, um andere Resultate zu erzielen. Ältere Designer:innen, die mit analogen Suchverfahren sozialisiert wurden, suchen digital oft eher seriell: Sie hangeln sich von einem Bild zum nächsten und stellen Verbindungen zwischen vorherigen Suchanfragen her. Jüngere geben sich oft schneller mit den ersten Ergebnissen zufrieden.
Manche trennen ihre privaten und beruflichen Instagram-Accounts strikt, um persönliche Vorlieben und professionelle Recherche nicht zu vermischen. Es kann auch helfen, thematische Ordner auf Instagram anzulegen und eine Art persönliches Archiv zu schaffen, sodass man unabhängiger von aktuellen Trends ist. Und man sollte sich nicht auf eine Quelle beschränken, sondern verschiedene Plattformen heranziehen, beispielsweise Behance und Dribbble. Inzwischen gibt es auch eine ganze Reihe an Alternativen zu Pinterest wie Cosmos, mymind oder Kive, mit denen man visuelle Inspirationsboards erstellen und organisieren kann.
Du verteufelst also nicht die digitale Suche an sich.
Nein, das wäre unrealistisch. Die Recherche in einer Bibliothek kann unglaublich anstrengend und langwierig sein. Das kann man nicht für jeden Auftrag machen, zumal der Zeitplan ja sowieso oft viel zu eng ist. Aber ich plädiere dafür, sich die Defizite der einzelnen Plattformen bewusst zu machen und die Suche zumindest punktuell mit anderen Medien anzureichern. Für viele Designer:innen, mit denen ich gesprochen habe, ist die visuelle Recherche zu Beginn eines Projekts einer der besten Teile ihrer Arbeit! Wir sollten uns mehr Zeit dafür nehmen und sie abwechslungsreicher gestalten.
Wie spielt generative KI hier mit rein?
Als ich 2019 mit meiner Forschung begann, war davon noch keine Rede. Die künstliche Intelligenz, von der ich sprach, bezog sich auf die Algorithmen in Pinterest und Instagram, deren Empfehlungsmechanismen auf Technologien wie Bilderkennung, Machine Learning und Natural Language Processing basieren. Ich nenne das »everyday AI«, weil sie den wenigsten von uns bewusst ist. Generative KI-Tools haben in meinen Workshops noch keine große Rolle gespielt. Ich denke aber, dass sie ähnliche Probleme mit sich bringen werden, weil sie nach demselben Prinzip funktionieren. Midjourney etwa wurde mit einer Menge Bilder von der Plattform Deviant Art trainiert, weshalb die KI die Tendenz hat, Fantasy-artige Bilder zu erstellen. Dazu kommt die Weiterführung und Intensivierung von Bias aus den Trainingsdaten, wie mittlerweile vielerorts dokumentiert wurde. Inwieweit sich diese Tendenzen abtrainieren lassen, bleibt abzuwarten.
»Alle ringen damit, Bilder auf kreativere Arten zu finden – vorausgesetzt, sie sind sich des Problems bewusst«
Haben sich in den Workshops weitere Ansatzpunkte für deine Forschung ergeben?
Eine Sache, die mir aufgefallen ist: Für viele Designer:innen ist ihr Smartphone eine wichtige Inspirationsquelle, und zwar ihre persönlichen Fotos. Sie machen Bilder von Dingen, die ihnen draußen begegnen oder von Ausstellungsbesuchen. Das ist natürlich stark daran geknüpft, wo sie leben. In großen Metropolen mit einer ausgeprägten kreativen Kultur machen Designer:innen andere Entdeckungen als in einem abgelegenen Dorf.
Diese Erfahrungswerte weiten sich auch auf die Nutzung digitaler Plattformen aus. Deine Umgebung bestimmt, welche Umgangsweise und welche Sprache du hast, um mit dem umzugehen, was du auf Instagram siehst. Wie ordnest du das ein? Hinterfragst du das Gesehene? Wie gehst du damit um? Kannst du mit anderen Menschen aus der Kreativ-Community darüber sprechen? Die geografische Verortung hat einen Einfluss darauf, wie du als Designerin oder Designer wahrgenommen und wertgeschätzt wirst. Diesen Aspekt würde ich gerne weiter vertiefen.
Ein anderer Punkt, den ich untersuchen möchte, sind die kulturelle Komponente und die Bias, die in der digitalen Suche liegen. Sucht man zum Beispiel nach »Dutch Design«, wird einem moderne, zeitgenössische, anspruchsvolle Gestaltung gezeigt. Sucht man nach »Indian Design« ist es hauptsächlich traditionelles Handwerk. Natürlich gibt es zeitgenössisches indisches Design – aber es wird einem online nicht gezeigt, wenn man nicht explizit danach sucht. Was macht es mit uns, wenn wir manchen Dingen einfach nicht ausgesetzt werden? Wenn wir nicht wissen, was es da draußen noch gibt? Dabei geht es nicht bloß um ästhetische Trends, sondern darum, welches Design wir wertschätzen und warum. Das hat handfeste gesellschaftliche Auswirkungen.
Wie geht es jetzt konkret weiter mit deiner Doktorarbeit?
Die Phase der tiefen, qualitativen Recherche in den Workshops ist inzwischen abgeschlossen. Als Nächstes werde ich breiter angelegte quantitative Umfragen durchführen und dabei auch die beiden gerade beschriebenen Aspekte berücksichtigen. Wer daran teilnehmen möchte, folgt mir am besten auf X unter @maggieselfie, dort teile ich dann den Link. Außerdem denke ich darüber nach, ein Tool zu entwickeln, das sich mehr auf den Workflow bezieht als auf die Inspirationssuche an sich. In vielen meiner Gespräche kam nämlich heraus, dass einer der größten Pain Points die Organisation und Aufbereitung der gesammelten Bilder ist. Am Ende hoffe ich, dass meine Forschung einen praktischen Nutzen für Designer:innen haben wird und keine rein akademische Publikation bleibt.
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Dieser Beitrag ist erstmals in PAGE 12.2023 erschienen.