Making-of: Exhibition Design & Branding für das Tibet Museum
Im Februar 2022 eröffnete in Dharamsala das Tibet Museum, das ganz modern und sehr persönlich von Geschichte, Kultur und Vertreibung erzählt. Fünf Jahre lang haben der Berliner Artdirektor Markus Strümpel und die Szenografin Alexandra Grandjacques an der Gestaltung der Dauerausstellung gearbeitet
Im Januar 2017 begannen die beiden mit ersten Skizzen des Museumsparcours, bauten Modelle und suchten schließlich vor Ort nach einer Produktionsfirma, die das alles auch umsetzen konnte. Und sie fanden Design Habit. Zwar saß das Studio fast 500 Kilometer entfernt in Neu-Delhi, war aber offen für neue Ideen. »Ohne Design Habit hätten wir das Projekt nie stemmen können«, sagt Markus Strümpel. Erst recht nicht, als Corona ausbrach und Indien seine Grenzen für zwei Jahre schloss.
Als Erstes aber sammelten die Kurator:innen persönliche Objekte – Schuhe, Koffer, Gebetbücher – und Geschichten von Tibeter:innen. Wie die des Schneiders des Dalai Lama, der nach dessen Flucht über das Himalaya-Gebirge 1959 für die gesamte Delegation neue Roben nähen musste, da es in Indien viel wärmer war. Oder die Geschichte einer jungen Tibeterin, die weinend erzählte, wie ihre Eltern sie als Kind einer Gruppe Flüchtender mitgaben, und die ihre Familie nie wiedergesehen hat. Ein älterer Mann hingegen erinnerte sich, wie sein Vater einst für mehrere Wochen verschwand und sich herausstellte, dass er von der CIA für den Widerstand geschult worden war.
Die tibetische Sans Serif Pema
Bereits im alten Museum standen die Erläuterungen zu den Exponaten auf Tibetisch und Englisch nebeneinander – und mit dem Schriftbild war Markus Strümpel nie zufrieden gewesen: »Tibetische Fonts sind traditionell kalligrafisch. Kombiniert man sie mit lateinischen Buchstaben, wirkt es, als würden zwei Welten aufeinandertreffen, die eigentlich nicht zusammenpassen.« Schon lange hatte Strümpel deshalb den Wunsch gehegt, eine geometrisch konstruierte tibetische Sans Serif zu zeichnen, die im Gegensatz zu der kalligrafischen nicht so stark an Handschrift erinnert. Die tibetischen Kurator:innen aber befürchteten, dass man durch die Überarbeitung der tibetischen Schrift die kalligrafische Tradition des Landes verleugnen könne. Was sie schließlich aber überzeugte, war, dass es auch ein politisches Statement sei, wenn man die Schrift modernisierte. Es würde unterstreichen, dass Tibetisch eine lebendige, gesprochene Sprache ist, die mit der Zeit geht und sich den modernen Gegebenheiten anpasst.
Zwei Jahre lang hat Markus Strümpel an der neuen Schrift gearbeitet. Zwar schreibt man im Tibetischen auch von links nach rechts, aber die klassische tibetische Schrift hat bis zu fünf Etagen. »Das macht sie so schön«, sagt der Designer, zugleich hat sie dadurch sehr viele Kombinationsmöglichkeiten. Lesen kann Markus Strümpel Tibetisch zwar nicht, aber er weiß, wie die Schrift funktioniert. Konsonanten werden darin durch Zusätze gebildet, Punkte dienen als Zwischenräume zwischen zwei Wörtern, und ein langer Strich markiert das Ende eines Satzes. Wie ein Bild hat er die Schrift betrachtet und die einzelnen Zeichen basierend auf geometrischen Formen neu gezeichnet – und sich deren Lesbarkeit regelmäßig von seinen tibetischen Kollegen bestätigen lassen. So ist die erste tibetische Schrift, die den Charakter moderner serifenloser Fonts hat, entstanden. Sie ist in Regular und Bold erhältlich, und Markus Strümpel hat sie nach dem tibetischen Namenszusatz »Pema« benannt, was Lotos bedeutet.
Abgestimmt auf die Kombination mit der Pema gestaltete der Designer den Font Tibet Museum in Regular und Bold und dazu passende Italics. In seinen modernen Formen zitiert dieser die Rundungen der traditionellen tibetischen Schrift, deren Zeichen nicht auf einer Grundlinie stehen, sondern daran aufgehängt sind. Um diesen Eindruck zu übernehmen, stellte Strümpel die obere horizontale Achse besonders heraus und betonte die oberen Querstriche. Zudem orientieren sich die Linienstärken an der Pema.
Klarheit statt Folklore
Die beiden Schriftfamilien bestimmen nicht nur die Ausstellung, sondern auch die Zeitung des Museums, die regelmäßig über aktuelle tibetische Themen informieren wird, und sie sind auf dem Merchandise zu finden, den Shirts, Taschen und Stickern, die im Museumsstore verkauft werden. Schwarz prangen die Fonts auf der gelben Hauptfarbe des Tibet Museum, die Markus Strümpel wählte, weil sie kontrastreich und prägnant ist und sich neben dem Dunkelrot auch in der tibetischen Mönchskleidung findet. Dass das Gelb darüber hinaus einen politischen Hintergrund hat, war ihm anfangs gar nicht bewusst.
»Doch da die Tibeter:innen in Indien im Exil leben, haben sie statt eines Passes lediglich eine Aufenthaltsgenehmigung. ›Refugee Paper‹ nennen sie das Papier, das ebenfalls gelb ist«
erklärt der Designer.
Obwohl die traditionelle tibetische Gestaltung stark von Ornamenten bestimmt wird, von Holzschnitzereien, Intarsien und aufwendigen Verzierungen, haben die Designer:innen in der Ausstellungsarchitektur weitestgehend auf folkloristische Elemente verzichtet. »Wir wollten die Gestaltung neutraler halten und nicht so viel vorgeben«, sagt Markus Strümpel. Statt auf naturalistische Puppen, wie die tibetischen Kurator:innen sie für die Präsentation von Kleidung vorschlugen, setzten sie auf schlicht schwarze, und die einzelnen Gegenstände sprechen für sich selbst, statt in Szenerien eingebettet zu sein. »Den Besucher:innen sollte Raum gelassen werden, sich eigene Vorstellungen zu machen.«
Inhaltlich haben sich Strümpel und Grandjacques weitgehend herausgehalten und sich auf die visuelle Umsetzung der Ausstellung konzentriert. Nur das Icon einer zerbrochenen Buddha-Statue, das für die Vernichtung der tibetischen Kultur stehen sollte, lehnten die tibetischen Kurator:innen ab. Ein zerstörtes heiliges Objekt wollten sie nicht zeigen. »Ansonsten haben sie uns blind vertraut. Schließlich bin ich seit über zwanzig Jahren dabei, und das ist sogar länger als der Museumsdirektor«, lacht Markus Strümpel.
Interaktiver Museumsparcours
So ist eine Ausstellung in zehn Kapiteln entstanden, die durch die Geschichte und Kultur des besetzten Tibets führt, in den Alltag und die Unterdrückung hinein – und in die Welt hinaus zu den Tibeter:innen im Exil. Wichtig war, dass die Besucher:innen die Möglichkeit haben, Objekte anzufassen oder zu bewegen. Dass sie aktiv sein können, auf Zetteln ihre eigenen Gedanken hinterlassen oder Selfies mit dem Porträt des Dalai Lama machen, das im heutigen Tibet nicht gezeigt werden darf – dass sie ihre eigene Geschichte einbringen und Teil des Museums werden.
Markus Strümpel und Alexandra Grandjacques haben Lese-Labs entworfen, in denen man sich auch anhören kann, wie Tibetisch klingt, oder eine Zelle, in der ein Protestlied erklingt, das ein Chor inhaftierter tibetischer Nonnen singt. Sie haben lamellenartige Raumteiler entwickelt, die Text und traditionelle tibetische Malerei kombinieren, und von tibetischen Gebetsmühlen inspirierte Klapptafeln zeigen »108 Fragen an den Dalai Lama« und dessen Antworten darauf. Ein Highlight ist ihr leuchtend weißes 3D-Relief Tibets, das mit unterschiedlichsten Erzählungen bespielt werden kann. Landkarten lassen sich darauf projizieren, um zu zeigen, wo die größten Klöster Tibets standen, wo Fluchtwege entlangführen oder welchen der Dalai Lama genommen hat.
Zwischen Delhi und Berlin
Diese Art von Ausstellungsgestaltung mit zahlreichen Installationen und einem stringenten Erscheinungsbild sei in Indien zu der Zeit noch ziemlich neu gewesen, sagt Markus Strümpel. »Designstudios hatten in der Regel keine Erfahrung darin, eine Brandfarbe wie das Gelb des Tibet Museum auf unterschiedlichste Materialien zu applizieren und dabei immer denselben Farbton zu garantieren.« Er habe sich ziemliche Sorgen gemacht, wie die Oberflächen am Ende aussehen würden. »Doch es war faszinierend, wie genau Design Habit das alles umgesetzt hat.«
Als Vorlage zeichneten Markus Strümpel und Alexandra Grandjacques jedes Detail der Ausstellungsarchitektur samt Abwicklungen und Aufsichten, um sie schließlich mit den jeweiligen technischen Details zu versehen und digital zu bauen. Dreihundert Seiten dick war die Anleitung. Per Skype haben die beiden die Bauten dann von Berlin aus betreut. Am Anfang haben sie mehrfach die Woche mit Design Habit gesprochen, später hatten sie ununterbrochen über WhatsApp Kontakt, schickten Fotos hin und her und nahmen bei Bedarf Korrekturen vor.
Ingesamt 900 Objekte mussten individuell in die Ausstellungsarchitektur eingefügt werden, und zu den Vitrinen und Podesten kamen Deckenreliefs, eingebaute Screens und die zahlreichen interaktiven Installationen – dies alles von Markus Strümpel und Alexandra Grandjacques gestaltet.
Museum als politisches Statement
Das Museum ist der einzige Ort, an dem Tibeter:innen eine ganz eigene Stimme haben – und es ist ein politisches Statement, das die eigene Unabhängigkeit, Geschichte und Kultur bezeugt, die China seit über sechzig Jahren auszulöschen versucht. Dennoch wird es am Ende der Schau, nachdem es um die Unterdrückung und Überwachung im heutigen Tibet geht, um die Selbstverbrennungen und den Raubbau an der Natur, wieder heller. Das einzige Fenster in den Ausstellungsräumen gibt den Blick auf das Exilparlament und in die Ferne frei. Wer möchte, kann sich dorthin setzen und seine eigene Geschichte von Flucht, Vertreibung und einem Leben fern der Heimat aufschreiben. Das Museum sammelt sie.
»Es war uns wichtig zu zeigen, dass es in dem Museum nicht um Vergangenes geht. Jeden Tag werden in Tibet Menschen verhaftet – jeden Tag fliehen Menschen ins Exil«
sagt Markus Strümpel. »Und jeden Tag geschieht das auch anderswo. Die Fragen nach Identität, denen das Museum nachgeht, nach der eigenen Geschichte und was es bedeutet, flüchten zu müssen, sind leider sehr aktuell.«
Ein schöner Zufall, dass Sabine Danek das alte Tibet Museum vor einigen Jahren besucht hat. Ihr Guide hatte es empfohlen, und es war eine eindrückliche Erfahrung. Das Ausmaß der Kultur- und der Umweltzerstörung in Tibet hat sich tief eingebrannt.
Dieser Artikel ist in PAGE 11.2022 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.