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Making-of: Exhibition Design & Branding für das Tibet Museum

Im Februar 2022 eröffnete in Dharamsala das Tibet Museum, das ganz modern und sehr persönlich von Geschichte, Kultur und Vertreibung erzählt. Fünf Jahre lang haben der Berliner Artdirektor Markus Strümpel und die Szeno­grafin Alexandra Grandjacques an der Gestaltung der Dauerausstellung gearbeitet

Feierliche Eröffnung des Tibet Museums in Dharamsala
Während des Lockdowns, in kleinem Kreis, aber nicht minder feierlich, eröffnete im indischen Dharamsala das Tibet Museum.

Alles begann mit einer Mail. Und das bereits 1999. Da arbeitete Markus Strümpel seit zwei Jahren bei MetaDesign in Berlin und wollte gerne mal etwas anderes machen. Einige Male war er durch Indien und auch nach Dharamsala gereist, wo die tibetische Exilregierung ihren Sitz hat und viele geflüchtete Tibeter:innen leben. So kam er auf die Idee, der Repräsentanz des Dalai Lama zu schrei­ben und seine ehrenamtliche Hilfe als Designer anzubieten. »Ich ha­be eigentlich gar nicht damit gerechnet, dass eine Antwort kommt«, lacht Markus Strümpel. Doch zwei Tage später war sie da.

Ausstellungsansicht des Tibet Museums in Dharamsala

Die Exilregierung suchte jemanden, der die Dauerausstellung des Tibet Museum in Dharamsala gestaltet. Einzig mit Fotos und Texten sollte sie die Geschichte Tibets seit der Besetzung durch China 1959 erzählen. Gerade auch, um jungen Tibeter:innen, die im Exil aufgewachsen sind, ihre Heimat nahezubringen. Und weil man es in Europa so kennt, entwarf Markus Strümpel auch ein Logo für das Museum. In Schwarz und Gelb gehalten, flackerte darauf im Eingangstor der tibetischen Hauptstadt Lhasa ein Feuer, das sowohl ein Symbol des Buddhismus als auch des Widerstands ist.

Im Sommer 2000 war das kleine Museum fertig und mit 700 Be­sucher:innen täglich so erfolgreich, dass dessen Direktor 2016 vorschlug, ein größeres zu bauen. Mitten im tibetischen Regierungsviertel in Dharamsala stand in einem Neubau ein Erdgeschoss mit fast 1000 Quadratmetern Fläche zur Verfügung. Lebendig und interaktiv sollte das neue Tibet Museum auf Wunsch der Exilregierung sein und auch Videos zeigen. So etwas war zu dieser Zeit noch sehr ungewöhnlich in Indien. Museen stellten entweder ganz nüch­tern Kunst und Kultur aus oder präsentierten naturalistische Szenerien. »Es gibt in Neu-Delhi ein Museum, in dem ein Markt aus den 1960ern komplett und mit Puppen hinter den Ständen nachgebaut wurde«, erzählt Markus Strümpel.

PROJEKT Gestaltung der Dauerausstellung »I Am Tibetan, This Is My Story« des Tibet Museum in Dharamsala und dessen Erscheinungsbilds DESIGNTEAM Markus Strümpel, Artdirektor, Berlin  und Alexandra Grandjacques, Szenografin, Berlin
AUFTRAGGEBER Central Tibetan Administration, Dharamsala, Indien
TECHNIK Adobe CC, FontLab, SketchUp
ZEITRAUM Januar 2017 bis März 2022

Persönlich und modern

Um mit dem neuen Tibet Museum Standards zu setzen, stellte des­sen Direktor Tashi Phutsok ein Team zusammen, zu dem neben ti­betischen auch europäische Kurator:innen gehörten. Es wurde von der britischen Ethnologin und Tibet-Spezialistin Dr. Emma Martin geleitet, die sich dafür einsetzte, die Geschichte und Kultur Tibets anhand persönlicher Geschichten und Objekte darzustellen. Diese in Szene zu setzen, dafür waren Markus Strümpel und seine Partnerin, die Szenografin Alexandra Grandjacques, als ehrenamtli­che Ausstellungsgestalter:innen zuständig.

Artdirector Markus Strümpel und Alexandra Grand­jacques
Die mitreißende Dauerausstellung »I Am Tibetan, This Is My Story« haben Markus Strümpel und Stenografie Alexandra Grand­jacques gestaltet

Im Januar 2017 begannen die beiden mit ersten Skizzen des Museumsparcours, bauten Modelle und suchten schließlich vor Ort nach einer Produktionsfirma, die das alles auch umsetzen konnte. Und sie fanden Design Habit. Zwar saß das Studio fast 500 Kilometer entfernt in Neu-Delhi, war aber offen für neue Ideen. »Ohne Design Habit hätten wir das Projekt nie stemmen können«, sagt Markus Strümpel. Erst recht nicht, als Corona ausbrach und Indien seine Grenzen für zwei Jahre schloss.

Als Erstes aber sammelten die Kurator:innen persönliche Objekte – Schuhe, Koffer, Gebetbücher – und Geschichten von Ti­beter:innen. Wie die des Schneiders des Dalai Lama, der nach des­sen Flucht über das Himalaya-Gebirge 1959 für die gesamte Delegation neue Roben nähen musste, da es in Indien viel wärmer war. Oder die Geschichte einer jungen Tibeterin, die weinend erzählte, wie ihre Eltern sie als Kind einer Gruppe Flüchtender mitgaben, und die ihre Familie nie wiedergesehen hat. Ein älterer Mann hingegen erinnerte sich, wie sein Vater einst für mehrere Wochen verschwand und sich herausstellte, dass er von der CIA für den Widerstand geschult worden war.

Die tibetische Sans Serif Pema

Bereits im alten Museum standen die Erläuterungen zu den Exponaten auf Tibetisch und Englisch nebeneinander – und mit dem Schriftbild war Markus Strümpel nie zufrieden gewesen: »Tibeti­sche Fonts sind traditionell kalligrafisch. Kombiniert man sie mit lateinischen Buchstaben, wirkt es, als würden zwei Welten auf­ein­­andertreffen, die eigentlich nicht zusammenpassen.« Schon lange hatte Strümpel deshalb den Wunsch gehegt, eine geometrisch kons­truierte tibetische Sans Serif zu zeichnen, die im Gegensatz zu der kalligrafi­schen nicht so stark an Handschrift erinnert. Die ti­beti­schen Kura­tor:innen aber befürchteten, dass man durch die Über­arbeitung der tibetischen Schrift die kalligrafische Tradition des Landes verleugnen könne. Was sie schließlich aber überzeug­te, war, dass es auch ein politisches Statement sei, wenn man die Schrift modernisierte. Es würde unterstreichen, dass Tibetisch eine leben­dige, gesprochene Sprache ist, die mit der Zeit geht und sich den modernen Gegebenheiten anpasst.

Die erste tibetische Sans Serif heißt Pema und wurde von Markus Strümpel gezeichnet
Die von Markus Strümpel gezeichnete Pema ist nicht nur die erste tibetische Sans Serif, sie passt auch besonders gut zu der ebenfalls von ihm gestalteten Fontfamilie Tibet Museum

Zwei Jahre lang hat Markus Strümpel an der neuen Schrift gearbeitet. Zwar schreibt man im Tibetischen auch von links nach rechts, aber die klassische tibetische Schrift hat bis zu fünf Etagen. »Das macht sie so schön«, sagt der Designer, zugleich hat sie dadurch sehr viele Kombinationsmöglichkeiten. Lesen kann Markus Strümpel Tibetisch zwar nicht, aber er weiß, wie die Schrift funktioniert. Konsonanten werden darin durch Zusätze gebildet, Punk­te dienen als Zwischenräume zwischen zwei Wörtern, und ein lan­ger Strich markiert das Ende eines Satzes. Wie ein Bild hat er die Schrift betrachtet und die einzelnen Zeichen basierend auf geometrischen Formen neu gezeichnet – und sich deren Lesbarkeit regelmäßig von seinen tibetischen Kollegen bestätigen lassen. So ist die erste tibetische Schrift, die den Charakter moderner serifenloser Fonts hat, entstanden. Sie ist in Regular und Bold erhältlich, und Markus Strümpel hat sie nach dem tibetischen Na­menszusatz »Pema« benannt, was Lotos bedeutet.

Abgestimmt auf die Kombi­nation mit der Pema gestaltete der Designer den Font Tibet Museum in Regular und Bold und dazu passende Italics. In sei­nen modernen Formen zitiert dieser die Rundungen der traditionellen ti­be­­­­ti­schen Schrift, deren Zeichen nicht auf einer Grundlinie stehen, sondern daran aufgehängt sind. Um diesen Eindruck zu übernehmen, stellte Strümpel die obere horizontale Achse besonders heraus und betonte die oberen Querstriche. Zudem orientieren sich die Li­nienstärken an der Pema.

Klarheit statt Folklore

Die beiden Schriftfamilien bestimmen nicht nur die Ausstellung, sondern auch die Zei­tung des Museums, die regelmäßig über aktuelle tibetische Themen informieren wird, und sie sind auf dem Merchandise zu finden, den Shirts, Taschen und Stickern, die im Museumsstore verkauft werden. Schwarz prangen die Fonts auf der gelben Hauptfarbe des Tibet Museum, die Markus Strümpel wählte, weil sie kontrastreich und prägnant ist und sich neben dem Dunkelrot auch in der tibetischen Mönchskleidung findet. Dass das Gelb darüber hinaus einen politischen Hintergrund hat, war ihm anfangs gar nicht bewusst.

»Doch da die Tibeter:innen in Indien im Exil leben, haben sie statt eines Passes lediglich eine Auf­enthaltsgenehmigung. ›Refugee Paper‹ nennen sie das Papier, das ebenfalls gelb ist«

erklärt der Designer.

Die Visual Identity des Tibet Museum Dharamsala ist in den Farben Schwarz, Weiß und Gelb gehalten und erhält dadurch und die Verwendung von Schrift einen hohen Wiedererkennungswert

Merchandise für das Tibet Museum Dharamsala trägt das Motto »I Am Tibetan, This Is My Story«
Die Identity des Museums zieht sich mit ihrem Gelb, den Schriften und dem Motto »I Am Tibetan, This Is My Story« nicht nur durch die Ausstellung, sondern findet sich auch beim Merchandise. Das ist für Indien eher ungewöhnlich – und ein Erfolg

Obwohl die traditionelle tibetische Gestaltung stark von Ornamenten bestimmt wird, von Holzschnitzereien, Intarsien und aufwendigen Verzierungen, haben die Designer:innen in der Ausstel­lungsarchitektur weitestgehend auf folkloristische Elemente verzichtet. »Wir wollten die Gestaltung neutraler halten und nicht so viel vorgeben«, sagt Markus Strümpel. Statt auf naturalistische Puppen, wie die tibetischen Kurator:innen sie für die Präsenta­tion von Kleidung vorschlugen, setzten sie auf schlicht schwarze, und die einzelnen Gegenstände sprechen für sich selbst, statt in Sze­nerien eingebettet zu sein. »Den Besucher:innen sollte Raum gelassen werden, sich eigene Vorstellungen zu machen.«

Skizze für die Inszenierung traditioneller tibetischer Kleidung im Tibet Museum Dharamsala 3D-Rendering der Skizze für die Inszenierung traditioneller tibetischer Kleidung im Tibet Museum Dharamsala

Inszenierung traditioneller tibetischer Kleidung im Tibet Museum Dharamsala
Multimediale Inszenierung traditioneller tibetischer Kleidung: Auf erste Skizzen folgten detaillierte digitale Darstellungen, nach denen Design Habit aus Neu-Delhi die Installationen baute

Inhaltlich haben sich Strümpel und Grandjacques weitgehend herausgehalten und sich auf die visuelle Umsetzung der Ausstellung konzentriert. Nur das Icon einer zerbrochenen Buddha-Statue, das für die Vernichtung der tibetischen Kultur stehen sollte, lehnten die tibetischen Kurator:innen ab. Ein zerstörtes heiliges Ob­jekt wollten sie nicht zeigen. »Ansons­ten haben sie uns blind vertraut. Schließlich bin ich seit über zwanzig Jahren dabei, und das ist sogar länger als der Museumsdirektor«, lacht Markus Strümpel.

Interaktiver Museumsparcours

So ist eine Ausstellung in zehn Kapiteln entstanden, die durch die Geschichte und Kultur des besetzten Tibets führt, in den Alltag und die Unterdrückung hinein – und in die Welt hinaus zu den Tibeter:innen im Exil. Wichtig war, dass die Besucher:innen die Möglichkeit haben, Objekte anzufassen oder zu bewegen. Dass sie aktiv sein können, auf Zetteln ihre eigenen Gedanken hinterlassen oder Selfies mit dem Porträt des Dalai Lama machen, das im heutigen Tibet nicht gezeigt werden darf – dass sie ihre eigene Geschichte einbringen und Teil des Museums werden.

Lese-Lab im Tibet Museum Dharamsala
Schrift spielt auf vielfache Weise eine Rolle im Tibet Museum. Sie wird zur Installation, kann im Lese-Lab studiert und gehört werden – und ist zentraler Bestandteil der Ausstellung

Markus Strümpel und Alexandra Grandjacques haben Lese-Labs entworfen, in denen man sich auch anhören kann, wie Tibetisch klingt, oder eine Zelle, in der ein Protestlied erklingt, das ein Chor inhaftierter tibetischer Nonnen singt. Sie haben lamellenartige Raumteiler entwickelt, die Text und traditionelle tibetische Ma­lerei kombinieren, und von tibetischen Gebetsmühlen inspirierte Klapptafeln zeigen »108 Fragen an den Dalai Lama« und dessen Antworten darauf. Ein Highlight ist ihr leuchtend weißes 3D-Relief Tibets, das mit unterschiedlichsten Erzählungen bespielt werden kann. Landkarten lassen sich darauf projizieren, um zu zeigen, wo die größten Klöster Tibets standen, wo Fluchtwege entlangführen oder welchen der Dalai Lama genommen hat.

Dieses blockhafte Element im Tibet Museum Dharamsala zitiert Gebetsmühlen. Drehen die Besucher:innen der Ausstellung an den Blöcken, erhalten sie Antworten vom Dalai Lama

Lamellenwand im Tibet Museum Dharamsala, wodurch die Besucher:innen der Ausstellung aktiv mit einbezogen werden.
Immer wieder werden die Besucher:innen des Tibet Museum mitein­bezogen: Drehen sie an den Blöcken, die tibetische Gebets­mühlen zitieren, erhalten sie Antworten des Dalai Lama, bewegen sie Lamellenwände, erscheinen politische Aussagen

Zwischen Delhi und Berlin

Diese Art von Ausstellungsgestaltung mit zahlreichen Installatio­nen und einem stringenten Erscheinungsbild sei in Indien zu der Zeit noch ziemlich neu gewesen, sagt Markus Strümpel. »Designstudios hatten in der Regel keine Erfahrung darin, eine Brandfar­be wie das Gelb des Tibet Museum auf unterschiedlichste Materia­lien zu applizieren und dabei immer denselben Farbton zu garantieren.« Er habe sich ziemliche Sorgen gemacht, wie die Oberflächen am Ende aussehen würden. »Doch es war faszinierend, wie genau Design Habit das alles umgesetzt hat.«

Als Vorlage zeichneten Markus Strümpel und Alexandra Grand­jacques jedes Detail der Ausstellungsarchitektur samt Abwicklun­gen und Aufsichten, um sie schließlich mit den jeweiligen techni­schen Details zu versehen und digital zu bauen. Dreihundert Seiten dick war die Anleitung. Per Skype haben die beiden die Bauten dann von Berlin aus betreut. Am Anfang haben sie mehrfach die Woche mit Design Habit gesprochen, später hatten sie ununterbrochen über WhatsApp Kontakt, schickten Fotos hin und her und nahmen bei Bedarf Korrekturen vor.

Ingesamt 900 Objekte mussten individuell in die Ausstellungsarchitektur eingefügt werden, und zu den Vitrinen und Podesten kamen Deckenreliefs, eingebaute Screens und die zahlreichen interaktiven Installationen – dies alles von Markus Strümpel und Ale­x­andra Grandjacques gestaltet.

Museum als politisches Statement

Das Museum ist der einzige Ort, an dem Tibeter:innen eine ganz eigene Stimme haben – und es ist ein politisches Statement, das die eigene Unabhängigkeit, Geschichte und Kultur bezeugt, die China seit über sechzig Jahren auszulöschen versucht. Dennoch wird es am Ende der Schau, nachdem es um die Unterdrückung und Überwachung im heutigen Tibet geht, um die Selbst­ver­bren­nun­gen und den Raubbau an der Natur, wieder heller. Das einzige Fenster in den Aus­stel­lungsräumen gibt den Blick auf das Exil­parlament und in die Ferne frei. Wer möchte, kann sich dorthin setzen und seine eigene Geschich­te von Flucht, Ver­treibung und einem Leben fern der Heimat aufschreiben. Das Museum sammelt sie.

»Es war uns wichtig zu zeigen, dass es in dem Museum nicht um Vergan­ge­nes geht. Jeden Tag werden in Tibet Menschen verhaftet – jeden Tag flie­hen Men­schen ins Exil«

sagt Markus Strüm­pel. »Und jeden Tag geschieht das auch anderswo. Die Fragen nach Identität, denen das Museum nachgeht, nach der eigenen Geschichte und was es bedeutet, flüchten zu müssen, sind leider sehr aktuell.«

Sabine Danek auf einem Moped in DharamsalaEin schöner Zufall, dass Sabine Danek das alte Tibet Museum vor einigen Jahren besucht hat. Ihr Guide hatte es empfohlen, und es war eine eindrückliche Erfahrung. Das Ausmaß der Kultur- und der Umweltzerstörung in Tibet hat sich tief eingebrannt.

 

 

Dieser Artikel ist in PAGE 11.2022 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.

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