![](https://page-online.de/app/uploads/2020/05/PAGE.png)
Making-of: 3D-Experience »Penderecki’s Garden«
Mit der 3D-Website »Penderecki’s Garden« hat die Agentur Huncwot eine digitale Hommage an den großen polnischen Komponisten geschaffen – die zudem barrierefrei und auch mobil erlebbar ist
Aber wie scannt man einen Garten? Ganz einfach: aus der Luft, mit Drohnen. So ließ sich in mehreren Durchgängen die komplette Anlage scannen. Jetzt hatten die Kreativen zwar die erforderlichen 3D-Daten für den virtuellen Garten, aber es stellte sich die Frage nach der Ästhetik, denn der Haken bei der Photogrammetrie ist, »dass alle Websites, die diese Technik nutzen, gleich aussehen«, so Romanski. »Uns war es aber wichtig, eine einzigartige Visualisierung zu finden.« Die Lösung bestand in einem Mix aus illustrativen, organisch wirkenden und bewusst digitalen Elementen (siehe Seite 64 f.).
![](https://page-online.de/app/uploads/2021/11/PendereckisGarden_Bildschirmfoto-2021-08-31-um-13.09.03-1.png)
3D: A Walk in the Park
Um den Garten in 3D begehbar zu machen, musste sich das Team einige Tricks einfallen lassen, damit die Ladezeit möglichst kurz und die Erfahrung für die Besucher:innen flüssig bleibt – wobei Huncwot die Entdeckungsreise an sich nach dem Vorbild von Augmented Reality gestaltete: Auf die Kommastelle genau sind die Koordinaten des Geländes angegeben, das man zunächst von oben überblicken kann. Rechts unten findet sich eine Radaransicht, die zur Übersicht führt – dort kann man auswählen, welche Hauptbereiche man als Nächstes erkunden möchte, etwa das Labyrinth, das Amphitheater oder den Musiksalon.
![](https://page-online.de/app/uploads/2021/11/PendereckisGarden_Bildschirmfoto-2021-08-31-um-13.10.39.png)
Ist man an einem dieser Orte angekommen, erwarten einen viele Anekdoten und Erinnerungen an den Komponisten – mal als Text, mal als Video –, in denen Weggefährten wie befreundete Künstler:innen oder Schüler:innen oder zu Wort kommen. So erzählt etwa Anne-Sophie Mutter von dessen Liebe zu den Bäumen. Ohnehin erfährt man nicht nur Spannendes über Krzysztof Penderecki, sondern auch über Pflanzen. Zum Beispiel über die Sequoia, die Mammutbäume, die auch im gleichnamigen Nationalpark in Kalifornien zu finden sind. Den Soundtrack der Entdeckungstour liefert die Musik des Künstlers, auf die die feinen Animationen der Partikel und Objekte abgestimmt sind.
Ganz bewusst hat die Agentur bei »Penderecki’s Garden« auf eine vorgegebene Struktur oder einen roten Faden verzichtet. Die Besucher:innen können frei flanieren und dabei den Komponisten und seinen Garten kennenlernen. »Wenn Sie – wie wir – wegen der Pandemie zu Hause festsitzen, wird der Besuch der Penderecki-Website wie ein virtueller Spaziergang im Park sein, der mit aufschlussreichen interaktiven Inhalten zu Leben und Werk des Komponisten gefüllt ist«, erklärt Arek Romanski. Die Site zeigt aber einen Fortschritt zu jedem Kapitel an. So wissen ambitionierte Nutzer:innen, wie viel Prozent der Entdeckungsreise sie schon absolviert haben. Übrigens hört diese nie auf – wie auch die Arbeit von Huncwot. Gerade entsteht ein »Garten der Erinnerung« – wenn dieser fertig ist, kann das Flanieren für die Penderecki-Fans weitergehen.
![](https://page-online.de/app/uploads/2021/11/PendereckisGarden_sequoia.png)
3D-Experience: Blühende Partikel
Das perfekte Zusammenspiel der 3D-Optik, der feinen Animationen und der Musik machen das Erlebnis im virtuellen Garten aus. Wir zeigen, wie das Gesamtkunstwerk entstanden ist
1) Bildsprache: Vinyl und Natur
Klassische Vinylcover mit entsättigten Farben in Kombination mit Serif- und geometrischen Sans-Serif-Schriften inspirierten die Designer:innen. »Nachdem wir dann Pendereckis Garten im Sommer besucht hatten, fügten wir noch natürlichere Farbpaletten hinzu. Mit diversen Braun-, Grün- und Violetttönen versuchten wir, das richtige Gleichgewicht und die passende Bildsprache zu finden«, erklärt Arek Romanski. »Um die Schönheit all dieser erstaunlichen Bäume hervorzuheben, haben wir zudem über 55 handgezeichnete Illustrationen in Auftrag gegeben.«
![](https://page-online.de/app/uploads/2021/11/PendereckisGarden_typography_inspirations.png)
2) 3D-Visualisierung mit reduzierten Details
Die Darstellung des Parks war in mehrfacher Hinsicht anspruchsvoll. Zum einen musste Huncwot zwei völlig unterschiedliche Visualisierungen zusammenbringen: die 3D-Partikel-Ästhetik und die handgezeichneten Illustrationen der Bäume und Pflanzen. Zum anderen war da die reine Menge an Daten. Denn die Photogrammetrie lieferte zwar einen sehr exakten Scan des Gartens – aber auch ein Problem: nämlich Milliarden von 3D-Partikeln in Form von Punktwolken.
»Wir haben viele Wochen lang die Daten komprimiert und geformt, damit sie visuell ansprechend sind und – was am wichtigsten ist – recht schnell in den Browser geladen werden können«, sagt Arek Romanski. »Zunächst haben wir Millionen von unnötigen Punkten entfernt, indem wir die Punktdichte verringerten und einige Modelle manuell entfernten.« Dabei war es das erste Mal, dass die Agentur mit Punktwolken arbeitete.
Nach zahllosen Tests fanden die Developer:innen das passende Dateiformat und eine geeignete Kompressionsmethode, um die Dateien zu laden (siehe »Kompakt«, rechts). Für die Entwicklung des Frontend-Layers verwendeten sie TypeScript- und Three.js-Bibliotheken, während sie die 3D-Daten als Punktwolken im PCD-Format speicherten und mit gzip komprimierten. »So konnten wir schnelle Anfangsladezeiten erreichen und Ruckeln bei der Interaktion mit der Website verhindern«, erklärt Romanski. Für 3D-Modelling und -Animation kam die Open-Source-Software MeshLab zum Einsatz.
![](https://page-online.de/app/uploads/2021/11/PendereckisGarden_technology_meshlab.png)
3) Mikroanimationen mit Sounds
Die Bewegungen machen den besonderen Reiz beim Besuch des virtuellen Gartens aus. Sanfte, flüssige Animationen, passend zur Musik, lassen die stilisierte Landschaft lebendig wirken. »Wir beschlossen, den Partikeln einige zufällige, unvorhergesehene Bewegungen hinzuzufügen, um das leichte Schwanken der Bäume und das Schaukeln der Äste im Wind in die digitale Welt zu übertragen«, erläutert Arek Romanski. Dafür nutzte das Team WebGL-Shader.
Außerdem galt es, eine große Anzahl an Hotspots zu rendern. Eine einfachere Lösung wäre gewesen, sie als DOM-Elemente zu ergänzen. Um eine gute Performance zu gewährleisten, fügten die Designer:innen sie aber der WebGL-Schicht hinzu und erstellten dynamische SVG-Texturen für jeden Hotspot-Typ. Mit der Web Audio API analysierten sie die Musik und kombinierten sie mit den subtilen Animationen der Sounds.
![](https://page-online.de/app/uploads/2021/11/PendereckisGarden_photogrammetry2.png)
4) Intuitive Navigation & Accessibility
Die Website soll für sehr unterschiedliche Zielgruppen funktionieren: Für diejenigen, die sich nur mal kurz umsehen möchten, ebenso wie für leidenschaftliche Penderecki-Bewunderer, die viel Zeit mitbringen, um den Garten in all seinen Details zu erkunden. »Wir versuchen immer, viele Optionen anzubieten«, sagt Arek Romanski. So gibt es eine 3D-Navigation, mit der die Besucher:innen durch den Garten flanieren können. Subtile Mikroanimationen unterstützen die User Experience. Zum Beispiel umkreist beim Roll-over eine feine Linie klickbare Buttons.
![](https://page-online.de/app/uploads/2021/11/PendereckisGarden_Bildschirmfoto-2021-11-01-um-16.52.57.jpg)
Eine »echte« 3D-Erfahrung bietet die Website ohne App-Installation auf dem mobilen Browser des Smartphones: Erlaubt man den Zugriff auf die Gyroskopsensoren, ist das Sichumschauen im Garten durch Schwenken des Geräts möglich. Hat man dann noch Kopfhörer auf, ist das Erlebnis besonders intensiv. Wer noch tiefer eintauchen möchte, findet unter https://pendereckisgarden.pl/vr auch eine VR-Version für Google Cardboard. Man lädt einfach die Web-App und steckt das Smartphone in den Schlitz der Brille. Auf diese Weise teilt sich der Bildschirm in eine räumliche Stereodarstellung, die echtes Eintauchen und einen 3D-Effekt mitbringt.
Trotz 3D-Navigation zeigt sich die Desktop-Website in Sachen Accessibility vorbildlich – und kann so auch von Nutzer:innen mit Seheinschränkungen oder Behinderungen erlebt werden. Eine Vorgabe des Kunden war, dass »Penderecki’s Garden« nur mit einer Tastatur bedient werden kann, für Screenreader zugänglich ist und dass er im Kontrastmodus angezeigt wird. »Wir können uns rühmen, dass dies wahrscheinlich eine der ersten Anwendungen auf Basis von WebGL mit einer so ausgefeilten Accessibility-Schicht ist«, freut sich Romanski.
![](https://page-online.de/app/uploads/2021/11/PendereckisGarden_Bildschirmfoto-2021-11-01-um-16.53.22.jpg)
Was sind Punktwolken, PCD-Format und PCL?
Punktwolken sind eine Menge von Punkten eines Vektorraums mit einer unorganisierten Struktur – daher »Wolke«. Aufgrund ihres Datenvolumens können solche Punktwolken eine Herausforderung beim Speichern und Laden darstellen. Daher benötigt man einen effizienten Zugriff auf einzelne Bereiche.
Das PCD(Point Cloud Data)-Format nutzt aus diesem Grund sogenannte Point Cloud Libraries. Eine Point Cloud Library (PCL) ist eine Open-Source-Bibliothek, die 3D-Aufgaben wie Berechnungen und 3D-Geometrie in Algorithmen übersetzen kann, etwa für das Abschätzen von Eigenschaften, zur Rekonstruktion von Oberflächen sowie fürs Filtering, Segmentieren oder die Objekterkennung. Zudem können Module in kleinere Bibliotheken implementiert und einzeln kompiliert werden.
WebGL: API für 3D-Rendering in HTML
Das 3D-Erlebnis von »Penderecki’s Garden« basiert auf WebGL, einer API, die auf OpenGL ES 2.0 basiert. Ziel: 3D-Rendering im HTML-Canvas-Element ermöglichen. WebGL-Programme bestehen aus Steuercode in JavaScript und Shadercode (GLSL), der auf dem Grafikprozessor (GPU) des Computers ausgeführt wird. WebGL-Elemente lassen sich mit anderen HTML-Elementen kombinieren.
Dieser Artikel ist in PAGE 11.2021 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.
Stefan von Gagern, Freelance-Autor und Content Strategist, steht 3D-Navigationen und modernen klassischen Komponisten eigentlich etwas skeptisch gegenüber. Penderecki’s Garden begeisterte ihn. Und: Jetzt gehört er sogar zu den aktiven Hörern des Maestros.