Flutwein: Dieser Spendenaufruf zeigt, was Kreation kann!
Originalverschlammt ist hier jede Flasche eine Rarität: Unter dem Label #flutwein bekommt man über Startnext verschiedene Ahrweine, die das Hochwasser überstanden haben.
Offenbar haben die Macher:innen dieser Spenden-Kampagne weder die Hoffnung noch ihren Humor verloren: Mit dem Slogan »Unser schlimmster Jahrgang« rufen die Initiator:innen des Labels flutwein, »Klebers Küche & Garten« und der Ahrwein e.V., zur Unterstützung lokaler Weinbetriebe und der Gastronomie in den vom Unwetter zerstörten Gebieten entlang der Ahr auf.
Wie die Gastronomen Jörg und Linda Kleber stehen viele Familienbetriebe im Landkreis Ahrweiler gemeinsam mit ihren Angestellten vor den Trümmern ihrer Existenz. Überlebt haben aber immerhin einige Flaschen der ausgezeichneten Ahrweine und diese dienen nun als Grundlage für einen Neustart in der Region sowie als Kampagnen-Motive von historischem Wert.
Mit Unterstüzung der Seven.One AdFactory entstand ein bewegender Spendenaufruf, der die letzten heilen Ahrwein-Flaschen gekonnt in Szene setzt.
Bild: Ludwig Groß und Tim Freiwald
Flutwellenverlauf und heulende Sirenen
Als Dankeschön für eine Spende auf Startnext gelangt man an die »originalverschlammten« Flaschen, die zusätzlich in einer limitierten Auflage von 1000 Stück mit einem liebevoll gestalteten, handnummerierten Hangtag zu haben sind.
Das extra Etikett zeigt neben der Wortmarke in Versalien einen stilisierten Verlauf der Flutwelle und vermittelt so neben dem Offensichtlichen die besondere Geschichte der Flaschen auf abstrakte Weise. Designt hat es Whywhywhy.Studio aus München und es taucht auch im Footer und im Favicon auf der Homepage sowie als Instagram-Profilbild auf.
Bild: Ludwig Groß und Tim Freiwald Unter besoderen Umständen verlief auch das Packshooting für die Kampagne in München mit einigen wenigen Originalflaschen aus dem Ahrtal. Über Nacht schossen Tim Freiwald und Ludwig Groß gemeinsam mit der Commercial Production Unit der Seven.One AdFactory die Kampagenenbilder und schnitten sie anschließend für das 30-sekündig Video zusammen. In dem Bewegtbild-Asset transportieren vor allem Sounds wie Martinshörner und Wasserrauschen – alles Originalaufnahmen aus der Katastrophennacht – die Geschichte der Flaschen und der betroffenen Menschen.
Die Motive mit selbstironischen und ein wenig makaberen Claims wie: »Im Abgang mit bitterer Note« oder »Trauer Burgunder« sind seit dem Start der Kampagne zudem auf Plakaten in sieben Großstädten zu sehen. Der Außenwerber Wall stellt dafür seine bundesweiten digitalen Plakatflächen kostenfrei zur Verfügung.
Den kurzfristigen Aufbau der Marke und der dazugehörige Kampagne konnten Tom Schwarz (Geschäftsführer), Daniel Koller (Director) und Friedrich-Paul Spielhagen (Creative Director) mit ihren Teams bei der Seven.One AdFactory ehrenamtlich übernehmen, nachdem Daniel von der Idee, die Weinfalschen zu verkaufen aus seinem Familienkreis erfuhr. Mit Erfolg, denn die limitierten Flaschen auf der Website sind nach wenigen Tagen fast ausverkauft und der Spendenbetrag klettert zielstrebig in Richtung einer halbe Million Euro. Nach der Startnext-Aktion, die von Rebecca Marek verantwortet wird, sind nur noch die Flutweine Nr. 1 bis 99 übrig, die sich die Kreativen für einen späteren Zeitpunkt und ein besonderes Event aufheben.
Langfristige Ziele und Aufruf an Galeristen
Bei dem Spendenaufruf geht es nicht nur um schnelle, kurzfristige Hilfe zum Wiederaufbau, sondern um eine langfristige Stabilisierung der Wirtschaft in der Weinregion: »Es gilt es jetzt vor allem den Familienbetrieben im Weinbau, der Gastronomie und dem Tourismus zu helfen, die durch ihr Bestehen die wirtschaftliche Existenz des Ahrtals sichern«, schreiben die Initiator:innen auf der Kampagnenseite.
Die Flaschen werden zwar zufällig vergeben, die Wahrscheinlichkeit einen Rotwein abzubekommen ist im Weinbaugebiet Ahr mit über 80 Prozent roter Rebsorten jedoch recht hoch. Auch die Chancen einen trocken Tropfen zu ergattern, stehen hier gut. Aber der Inhalt ist zweitrangig, vielmehr besitzen die Flutweine schon jetzt einen einmaligen symbolischen Wert.
Bild: Ludwig Groß und Tim Freiwald
So suchen die Kreativen hinter der Kampagne inzwischen auch schon nach Galeristen oder Pop-Up-Gastronomen, um eine Auswahl geborgener Flaschen aller Betriebe aus der Region auf Deutschlandreise zu schicken. In einer Art Wanderausstellung wollen sie das Schicksal der Weine auch haptisch erlebbar machen – und eventuell den ein oder anderen Ahrtropfen verkosten.
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Update: Bereist vorgestern wurde der Versand/Verkauf der Weine gestoppt, weil eben, wie von Alexander bereits richtig erkannt, die Verkrustungen auf Dekontamination überprüft werden. Wenn die verschlammten Flaschen als unbedenklich eingestuft werden, wird der Verkauf auch wieder freigegeben. Dennoch hat die ganze Kampagne schon einen sehr morbiden ‘Charme’… Aber es wird wohl ein ‘Jahrhundertwein’.
Die Initiative kam ja von Betroffenen und die Agentur hat unterstützt, wenn ich den Text oben nicht missverstanden habe. Daher: Volltreffer.
Betrachtet man die Kampagne für sich alleine, könnte man in der Tat denken, dass sich hier eine Agentur auf irgendwessen Kosten Lorbeeren verdienen will. Ja, es gibt Aspekte, die bei der zweiten Betrachtung Fragen aufwerfen, und ja, der Schaden ist höher als das was die Flaschen einbringen werden. Dennoch: Wenn es hilft den Schaden zu mildern, ist doch alles gut. Wie bei jeder Katastrophe (ich erinnere an Corona… ja, da war doch was, richtig?) gibt es Menschen die aus einer solchen Situation Kapital schlagen, beabsichtigt, weil sie schnell handeln können oder einfach nur durch glückliche Umstände. Daher würde ich mal die moralische Hinterfragung beiseite schieben, zumindest solange hier die Betroffenen nicht benachteiligt werden.
Hallo Thorsten und Alexander, ja, hier wird versucht aus einem Unglück Kapital zu schlagen – von den Verunglückten, die den Weinverkauf initiiert haben. 50 Millionen Euro allein an Wein wurden vernichtet und diese professionelle Kampagne sammelt vielleicht einen Bruchteil dessen wieder ein.
Und klar, das ist ungewöhnlich, Galgenhumor in der Werbung ohnehin ein recht unbewanderter und schmaler Pfad…dennoch bereichert sich hier doch niemand an der Katastrophe. Und klar kann man auch einfach so spenden, aber vielleicht spricht man ja gerade mit diesen Formulierungen solche Zielgruppen an, die man anders nicht erreicht. Hauptsache, es hilft, oder?
Ich schließe mich meinem Vorkommentator an – es erscheint mir eher, aus einem Unglück den kreativen Kontrast, also ein ungewohntes, neues Design auszunutzen. Wenn man Spenden will, soll man das doch bitte einfach machen. Aber schlammverkrustete Flaschen zu kaufen – die man mühevoll wieder schrubben und sauber machen muss, um sie überhaupt zu trinken, naja… Ganz zu schweigen vom hygienischen Aspekt, dass der Schlamm alle möglichen Schweröle, Benzine und sonstigen giftigen Stoffe beinhaltet, die mittransportiert werden und evtl. ohne Desinfektion nicht zu entfernen sind.
Klar, wenn man die Flaschen nur als Kunstobjekt sehen will und sie nicht konsumiert, ok.
Prinzipiell erstmal: Sehr gute Werbeidee! Das Leid und die an vielen Stellen entstandede Hoffnungslosigkeit mit zumindest einigen Aktion in einen vertretbareren monetären Ausgleich zu bringen, finde ich wichtig und auch richtig.
Aber: Für mich persönlich stösst diese Idee auch einen Funken “wir schlagen Kapital aus einer sehr ernsten Bedrohung und schlimmen Katastrophe” aus.
Im ersten Moment fand ich diese Aktion hervorragend, passend im “Timing” und sehr gut umgesetzt. Beim zweiten Blick entstand dieser fade Beigeschmack.