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Erinnerungskultur in Motion

Drei Studierende der HTWG Konstanz machen in emotionalen Video-Portraits sichtbar, wie sich der Holocaust auch noch Generationen später auf die Angehörigen auswirkt 

Das Titelbild für einen Flyer über die Holocaust Gedenkveranstaltung »Unsere Nachbarn« in Konstanz. Darauf sind kleine, goldfarbene »Stolpersteine« als Gestaltungselement eingesetztWir kennen alle die »Stolpersteine« vor Häusern, in denen Verfolgte des Nationalsozialistischen Regimes gelebt haben. Aber die Geschichten der Menschen, an die sie erinnern sollen, beginnen gemeinsam mit den letzten Zeitzeug:innen zu verschwinden.

Dabei ist eine lebendige Erinnerungskultur gerade in Zeiten von Krieg, Diskriminierung von LGBTQIA+ und sozialer Ungerechtigkeit während der Pandemie wichtiger denn je. Die Studentinnen Nomi Schaffrath, Charlotte English und Helena Teichmann von der HTWG Konstanz suchten gemeinsam mit Professor Andreas P. Bechtold nach einer gestalterischen Lösung für das Problem.

»Erinnerungen verändern sich über Generationen und damit ändert sich auch die Art, wie wir dem Holocaust und der Verfolgung gedenken. Wir brauchen neue Formen, die Erinnerung wachzuhalten.«

Andreas P. Bechtold, Professor für Timebased Design an der HTWG Konstanz

Konzeption: Die wichtigen Fragen stellen

Dazu setzen sich die drei Studentinnen mit der Stolperstein Initiative in Konstanz in Verbindung und planten einen Beitrag zur Gedenkveranstaltung anlässlich des Auschwitz Befreiungstages.

In ihrer Recherche nahmen sie an einer Stolpersteinverlegung teil und sprachen mit den Organisator:innen vor Ort. Dabei entdeckten sie, dass heute oft die Kinder und Enkel der Holocaust-Überlebenden, die Verantwortung übernehmen, an die Geschichte zu erinnern.

Ihre eigenen Erfahrungen und die generationenübergreifenden Traumata, die bis heute in ihnen nachwirken, werden dabei oft übersehen. Genau diese langfristigen Auswirkungen machten Schaffrath, English und Teichmann schließlich zum Thema ihrer Filmreihe »Unsere Nachbarn ­– Verfolgungsgeschichten von 1933 bis 1945«

Rosemarie Banholzer erzählt von ihrer Mutter Berta Amann. 

Michael Blue spricht über seine Mutter Paula Goldlust und die Enkel Paul und Marc Blue berichten, wie die Beziehung zu ihrer Großmutter sie noch heute prägt.

Auf den Spuren der Verfolgten

Ursprünglich sollte die Reihe vor allem aus filmischen Interviews mit in Konstanz lebenden Angehörigen von Verfolgten bestehen. Durch Sponsoring von mehreren regionalen Firmen wurde allerdings auch eine zehntägige Reise in die USA möglich, um auch geflohene Familien zu befragen.

Helena Teichmann und Nomi Schaffrath besuchten so gemeinsam mit Prof. Bechtold Interviewpartner:innen in Chicago, Rochester und New York, während Charlotte English Interviews vor Ort in Konstanz führte.

Die Fragen bezogen sich dabei weniger auf chronologische Lebensläufe und Fakten zum Holocaust – über die hatten sich die Studierenden in einer eingehenden Recherche im Vorfeld informiert. Die Interviews machen viel mehr einfühlsam das generationenübergreifende Trauma sichtbar, das noch heute die Leben der Angehörigen prägt.

»Die Interviews haben sich schnell zu wirklichen Gesprächen entwickelt, in denen wir gelacht und geweint haben. Daran haben wir gemerkt, dass wir nicht mehr nur von historischen Ereignissen sprechen, sondern es um reale Familien, ihre aufgegebenen Träume und ihren Drang geht, heute noch diese Geschichten zu erzählen.«

Nomi Schaffrath, Kommunikationsdesign Studentin an der HTWG Konstanz

Anselm Venedy lernte von seinem Vater Hermann Venedy für das Richtige einzustehen. 

Projektion gegen das Vergessen

Die Ergebnisse ihrer Semesterarbeit zeigten die Studierenden schließlich im Rahmen der Gedenkfeier zur Auschwitz-Befreiung als Fassaden-Projektionen auf den Häusern, in denen die Interviewten oder ihre Angehörigen gelebt haben. Dabei halfen Nachbarn, Hausbewohner:innen und mehrere Studierende aus anderen Kursen.

Ihre Interviews ergänzten die Designerinnen darin um wenige, essenzielle chronologische Daten und Bilder aus dem Archiv der Stolperstein Initiative, um die erzählten Geschichten zu unterstreichen.

Am Veranstaltungsabend konnten Besucher:innen so an fünf Stationen in der Konstanzer Altstadt die Kurzfilme sehen und sich vor Ort bei Studierenden über das Projekt informieren.

Die Filme werden im Oktober 2023 bei einer Veranstaltung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft noch einmal in Konstanz gezeigt. Bis dahin gilt es, einen geeigneten Rahmen für die Filme zu finden und die wichtige Arbeit sichtbar zu machen, die die Studierenden geleistet haben. So nutzt Adam Blue – einer von  Michael Blues Söhnen – die Filme in der Arbeit gegen Antisemitismus an amerikanischen Schulen und das Heinrich-Suso-Gymnasium in Konstanz zeigt die Filme im Unterricht.

David, Miriam und Naomi Halpern beschreiben wie sie mit ihrem Vater Werner Halpern in den USA aufwuchsen. 

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