In »Ego Update« beleuchtet Alain Bieber, neuer Chef des NRW-Forums, wie digitale Medien unsere Identität verändern, zeigt Fuß-Selfies, Brad und Angelina beim Baby-Shopping – und wie viel Spaß Museum machen kann.
Erst wurde das neue und herrlich übermütge Corporate Design von KesselsKramer vorgestellt, bei dem sich das Düsseldorfer NRW-Forum in einen so flexiblen wie übermütigen und internationalen Ausstellungsort verwandelt, jetzt eröffnete mit Ego Update die erste Ausstellung von Alain Bieber, dem neuen Museums-Chef.
Sie erzählt davon, wie wir uns heute vor allem selbst lieben, uns digital inszenieren und selbstoptimieren, von unseren Avataren, von Selfiewahn und Überwachung, Cosplay und anderen Identitätsspielen – und davon, wie Bilder, die Penisse der Größenordnung halber neben Fernbedienungen zeigen oder nackte Füße an allen Orten der Welt, das Netz überfluten.
Erik Kessels, Meister der Fotoalben- und Internet-Schatzsuche, der bereits Perlen im Web entdeckte wie den Blog eines jungen Asiaten, der sein Kaninchen Klopapierrollen, Kaffeebecher oder Kuchenstücke auf dem Kopf balancieren ließ, Serien von schwarzen Hunden, die auf den Familienbildern einfach nicht zu sehen sind oder die eines Paares, deren Frau angezogen in alle Brunnen und Pools rund um den Globus steigt und ihr Mann auf den Auslöser drückt. Das Buch der KesselsKramer-Reihe »In almost every picture« das daraus entstand, haben sie natürlich standesgemäß in ihrem Pool goutiert – in Wasserfeste Folie eingeschweißt.
Neben dem neuen Corporate Design des NRW-Forum, trug Kessels die Arbeit über Füße bei, dargeboten auf einer Halfpipe, die über und über mit den Fuß-Selfies beklebt ist, unbedingt betreten werden soll – und auf der bei der Eröffnung Skateboarder ihre Kunststückchen vollführten.
Dazu bot Rapper MC Fitti, Meister der Selbstinszenierung, gleich neben seiner in Bronze gegossenen Selfie-Skulptur, eine Performance, während schräg gegenüber das Fotoprojekt von Jonas Unger zu sehen ist, der Prominenten, weit bevor die Selfie-Kultur entstand, eine Quick-Snap-Kamera in die Hand drückte, um ein Selbstporträt zu machen. Ryan Gosling gehörte ebenso dazu wie Jogi Löw oder Supermodel Karolina Kurkowa.
Eine ganz andere Debatte entfachten die Primaten-Porträts des britischen Tierfotografen David Slater, dem ein Affe die Kamera wegschnappte, diverse Selfies machte und seitdem ein Urheberrechtsverfahren schwelt, ob Slater einen Anspruch auf die Bilder hat.
Großartig auch die Serien der Britin Alison Jackson, die in mit Doppelgängern nachgestellten Szenerien Merkel und Hollande zusammen beim Frühstück im Bett zeigt, Angelina und Brad beim Adoptions-Shopping oder William und Kate mit dem royalen Baby George beim plantschen in der Badewanne.
Noch einen Schritt weiter geht die Künstlerin LaTurbo Avedon, die einzig als Avatar existiert, während der Schweizer Kurt Caviezel im Netz zugängliche Webcams nutzt und Bilder wie nackt saugende Männer, gähnende Menschen oder Paare beim Fernsehen sammelt, bevor diese wieder überschrieben werden.
Er wollte eine Austellung machen, in die Kinder ihre Eltern zerren,
hat Alain Bieber, zuletzt Chefredakteur von ARTE Creative, gesagt, der zur Eröffnung standesgemäß im Selfie-Pulli mit seinem eigenen, collagierten Porträt kam – und zeigt, was man für ein wunderbares Spiel im Museum treiben kann.
Schon unter dem Einführungstext steht »Lesbar in 2 Minuten«, schließlich haben Studien ergeben, dass dank Smartphone und Websurfing unsere Aufmerksamkeisspanne mittlerweile die eines Goldfisches unterschreitet. Dazu sind, wie in einem Spielkabinett auf dem Jahrmarkt, überall Spiegel zur Selbstbespiegelung aufgestellt, das Selfie machen ist ausdrücklich erwünscht, wer mag, kann einen Selfie-Stick im Museumsshop erwerben und dazu hat der große, britische Magnum-Fotograf Martin Paar einen Fotoautomaten aufgestellt, in dem man für fünf Euro sein eigenes Paar-Porträt schießen lassen kann.
Begleitet wird das alles von einem großen Rahmenprogramm mit Filmen, der Cyborg-Messe »Science + Fiction« (6.-8.11.), der Konferenz »Streaming Egos: Digitale Identitäten in Europa« (15.-17.1.2016) und einem umfassenden Katalog mit Beiträgen von Douglas Coupland, Jerry Saltz und vielen anderen, der aufgemacht wie ein Smartphone mit Kameralinse zum Durchschauen, das Thema ausführlich unterfüttert.