Handwerk und Kunst, Tradition und Aufbruch: Mexico City hat sich in eine brodelnde Designmetropole verwandelt. Wir haben die aufregendsten Kreativstudios besucht.
Schon mal Schokolade mit Ameise probiert? Mit der berühmten chicatana, die erdig und etwas bitter schmeckt? Sie hat eine lange Tradition in der Küche und Kunst Mexikos, und das Kreativstudio Savvy hat ihr die Tafel »Horniga Chicatana con Sal« gewidmet. Kreiert hat es die rare Sorte gemeinsam mit dem Haute-Cuisine-Chef Enrique Olvera und dem Bildhauer Pedro Reyes. Der eine lieferte das Rezept, der andere eine Zeichnung nackter Füße, die hoffentlich nicht allzu nah an einem Ameisenhaufen stehen. Und es ist eine Kooperation, die ganz typisch für Bernardo Domínguez und Rafael Prieto von Savvy ist.
»Wir wollten nie einfach nur ein Branding- oder ein Designstudio sein, dafür sind wir viel zu neugierig«, sagt Bernardo, der in dem hübschen kleinen Konferenzraum sitzt, mit weißen Böden und Wänden, tropischem Grün und jeder Menge abgeblättertem Charme. »Für uns ist ein Studio erst interessant, wenn es in verschiedenste Richtungen ausbricht. Unsere Schokoladen, unser Buchladen und unsere alljährliche Indie-Mag-Messe gehören fest zu unserer Identität«, sagt der Kreativdirektor, der das Büro in Mexico City führt. In ihrer New Yorker Dependance ist vor allem Rafael vor Ort.
Handwerk als Inspiration
In Mexikos Hauptstadt führt der Weg zu Savvy durch ihren Buchladen Casa Bosques, der ein kleines Interieur-Kunstwerk aus Funierholz ist. Auf Holzblöcken, die aussehen, als würden sie sich aus der Wand bohren, lehnt ein Best-of internationaler Publikationen über Design, Mode, Architektur und Kunst. Dazu gibt es Zeitschriften, Indie-Mags und die besagten Schokoladen, deren Packaging genauso eigen wie ihr Inhalt ist. Gemeinsam mit dem Interieur-Magazin »apartemento« ist eine Sorte mit geröstetem Buchweizen und einem Badezimmer auf der Verpackung entstanden. Köchin Elena Reygadas, deren berühmtes Restaurant Rosetta direkt um die Ecke von Savvy liegt, würzte ihre Schokolade mit mexikanischem Tabasco. Darauf: ein Stein und ein Streichholz. Man kann sich also gut vorstellen, wie feurig sie schmeckt.
Acht Jahre ist es nun her, dass Savvy das Haus in Roma gefunden hat. Da war das heute so bekannte Viertel noch etwas heruntergekommen und wurde dann nach und nach von Kreativen übernommen. Ausstellungsräume machten auf, Bars und Restaurants. Mittlerweile flanieren Hipster durch die üppig grünen Alleen, vorbei an Naturkostläden, Sterne-Restaurants und kleinen Taco-Bars, in denen auf Dinkelfladen vegane Kreationen serviert werden und Craftbeer dazu. Aber es gibt auch immer noch viele kleine Handwerksbetriebe. Allabendlich fährt der Schuster mit seinem VW-Bus vor, um, während man wartet, Schuhe zu reparieren, in Hinterhöfen wird geschreinert und gehämmert, und kleine Handarbeitsläden quellen über vor lauter bunten Schleifen und Bändern.
»Hier findet man jede Menge großartiger Spezialisten«, erzählt Bernardo. »Manche haben eine Werkstatt, andere arbeiten direkt auf der Straße. Einer hat es seit Jahrzehnten perfektioniert, mit einem bestimmten Material zu nähen, ein anderer, Leder zu verarbeiten. Schildermaler gibt es hier, Flechter und Weber, während andere Rattan verarbeiten.« Es ist nicht die luxuriöse Handwerkskunst, wie sie in Europa oder den USA vorherrscht, sondern Alltagshandwerk, das es Savvy ermöglicht, zu experimentieren, ohne sofort jedes Budget zu sprengen.
Kunst der Leichtigkeit
»Wir jonglieren ständig mit Ideen, manche werden was, andere nicht«, lacht Bernardo. »Wie versuchen, die Dinge leicht zu nehmen und einfach herumzuprobieren.« Wie bei den Skulpturen, die Bernardos Studio-Partner Rafael gerade in der Galerie MASA aufbaut, die etwas entfernt liegt. Eigentlich sollte er auch bei dem Gespräch dabei sein, doch vor lauter Kunst hat er es vergessen. Gemeinsam mit dem Architekten Umberto Bellardi haben sie Readymades entworfen. Es sei sehr mexikanisch, mit dem zu improvisieren, was gerade da ist, meint Bernardo. In diesem Fall Materialien vom Bau, Steine, Folien oder Holz, und darauf liegen Päckchen, eingewickelt in Papier, das mit Häuserfassaden bedruckt ist.