Das Gruner + Jahr-Flaggschiff hat seit heute ein neues Gesicht. PAGE sprach mit »stern«-Artdirektor Johannes Erler über das Konzept, die konkreten Veränderungen und die Zusammenarbeit mit Luke Hayman von Pentagram
Das Gruner + Jahr-Flaggschiff hat seit heute ein neues Gesicht. PAGE sprach mit »stern«-Artdirektor Johannes Erler über das Konzept, die konkreten Veränderungen und die Zusammenarbeit mit Luke Hayman von Pentagram.
PAGE: Sie haben das neue Gestaltungskonzept gemeinsam mit Editorial-Design-Spezialist Luke Hayman von Pentagram New York erarbeitet. Kann so etwas funktionieren?
Johannes Erler: Warum sollte es nicht funktionieren? Wir hatten schon sehr früh die Idee, den Relaunch mit zwei Teams zu entwickeln, einem internen und einem externen. Und Luke ist im Editorial Design einer der Besten. Seine Arbeiten für das »New York Magazine« und das »Time Magazine« gefielen uns sehr gut. Ich war neugierig, wie er von New York aus an die Sache rangehen würde. Er kannte den »stern« ja kaum und konnte völlig unvoreingenommen gestalten. Am Ende war die Kooperation für alle bereichernd. Auch weil Luke ein angenehmer und direkter Mensch ohne Allüren ist. In Deutschland ist es tatsächlich kaum verbreitet, auf diesem Niveau zusammenzuarbeiten. Ziemlich schade eigentlich.
Wie sah die Zusammenarbeit denn praktisch aus?
Luke kam im Mai 2012 für einige Tage nach Hamburg. Gemeinsam haben wir dann zunächst im »stern«-Archiv unzählige alte Ausgaben durchgeblättert. Wir wollten den »stern« ja nicht komplett neu erfinden, sondern an seine Glanzzeit anknüpfen. Gestalterisch waren das ganz klar die achtziger Jahre, da waren wir uns schnell einig. Mit dieser Ausgangsposition ist Luke zurück nach New York geflogen und wir haben begonnen, an ersten Seiten zu arbeiten. Mittels der Videokonferenzlösung Adobe Connect haben wir in regelmäßigen Abständen auf die Entwürfe geschaut und uns ausgetauscht. Im August waren Dominik Wichmann, der neue »stern«-Chefredakteur, mit dem ich sehr eng und gut zusammenarbeite, und ich noch einmal für einige Tage in New York. Das war es auch schon mit den persönlichen Treffen. Wie gut die Kooperation funktioniert hat, zeigt sich auch daran, dass wir heute kaum noch sagen können, was von wem ist. Luke ist anfangs aus seiner Unbefangenheit heraus oft über das Machbare hinausgeschossen, aber genau dies zuzulassen war uns wichtig.
Weil man nur weiß, wo die Grenzen sind, wenn man sie einmal überschritten hat?
Genau. Das ist eines meiner persönlichen Gestaltungsprinzipien: Man muss die Grenzen des Realistischen wenigstens einmal verlassen haben, um dann den einen Schritt zum Machbaren zurückzugehen. Wenn man diese Grenze nicht überschreitet, kann man auch nicht erkennen, ob man zu weit gegangen ist. Vielen Gestaltern fällt das schwer. Gerade im Editorial Design, wo oft nur daran gedacht wird, was die Leser wohl davon halten könnten. Diese Schere im Kopf hatte Luke nicht. Er wollte ja nicht bewusst Grenzen verletzen, er kannte sie gar nicht.
Bild: Entwurf zum neuen »stern«
Was ist der größte Unterschied zum alten »stern«?
Zunächst einmal die komplett neue, vierteilige Heftstruktur: »Diese Woche« bildet den Einstieg, ein aktueller Blick auf die laufende Woche. Hier gibt es viele kleinteilige Formate. Dann kommt das »Herz«, also die großen, packenden Geschichten, die den »stern« immer schon ausgemacht haben. An dieser Stelle finden sich die Titelgeschichte, das »stern«-Gespräch, die »stern«-Reportage und »stern«-Fotografie.
Was ist »stern«-Fotografie?
Das sind in jedem Heft mindestens fünf Doppelseiten großformatige Portfolios der besten Fotografen. Das gab es im alten »stern« so schon lange nicht mehr. An das »Herz« schließt sich in etwa jeder zweiten Ausgabe das monothematische »Extra« an, zum Beispiel zu Auto oder Mode. Der vierte Heftteil besteht aus dem »Journal« mit Geschichten rund um Lebensart, Kultur und Reisen. Insgesamt wird es nur noch lange und kurze Artikel geben, auf die mittellangen verzichten wir.
Um die Heftdramaturgie zu stärken?
Genau. Wir wollten unbedingt mehr Kontrast schaffen und verschiedene Temperaturen ermöglichen. Zum Beispiel dadurch, dass jeder Heftteil typografisch etwas anders gestaltet ist. Das signalisiert: Hier fängt etwas Neues an. Das ist jedes Mal ein kleiner Weckruf.
Bilder: Entwürfe zum neuen »stern«
Mit der Neugestaltung verabschiedet sich der »stern« auch von der Weide-mann als Textschrift – was der Lesbarkeit nur guttun kann. Welcher Schriftmix erwartet die Leser?
Als Grundschrift setzen wir die Tundra von Ludwig Übele ein, eine moderne, sehr gut lesbare und unverbrauchte Schrift, die sich ganz hervorragend für den Tiefdruck eignet. Für die Headlines nehmen wir die Times-ähnliche Nimbus von URW++ und die Soft Press von Patrick Griffin. Beides sehr ausdrucksstarke Schriften im klassischen »stern«-Duktus. Mein heimlicher Star ist aber die Metric, die wir für Vorspänne, Bildunterschriften, kürzere Texte und ab und zu auch für Headlines verwenden werden. Vor allem im Black-Schnitt hat die geometrische Serifenlose von Kris Sowersby einen starken Futura-Appeal, und die fette Futura wiederum ist eine typische »stern«-Schrift der achtziger Jahre. Mit diesen vier Schriften haben wir ein sehr schönes Repertoire, mit dem man wieder richtig Geschichten erzählen kann. Editorial Design im klassischen Sinne.
Wird der Leser seinen »stern« denn noch wiedererkennen?
Jein. Es sieht schon ziemlich anders aus als der »stern« der letzten Jahre. Und trotzdem ist er typisch »stern« geblieben. Wir haben den alten Slogan »Der stern bewegt« aufgegriffen und in »Was uns bewegt« weitergedreht. Damals wie heute drückt dieser Slogan einerseits das Selbstverständnis der Redaktion aus, aber zugleich auch den Schulterschluss mit den Lesern. Um die »stern«-Identität zu beschreiben, haben wir drei Adjektive gefunden: empathisch, kritisch, zuversichtlich. Das sagt, in welche Richtung »stern«-Geschichten gehen sollen. Dadurch gibt es eine klare Abgrenzung zu den Mitbewerbern. Zum »Spiegel« mit seiner eher kommentierenden Abständigkeit, zum faktengetrieben »Focus« und zur intellektuellen »ZEIT«. Bei uns geht es emotionaler zu. Wir wollen sehr nah heran an die Themen – natürlich immer verbunden mit einer großen Optik. Gleichzeitig wollen wir wieder mehr Berechenbarkeit schaffen. Der Leser muss wissen, was er bekommt. Ich denke, wir haben ein gutes Gleichgewicht gefunden, einerseits jede Woche ein komplett neues, überraschendes Heft präsentieren zu können, andererseits dem Leser zu signalisieren: Du kannst dich immer wieder auf dieselben Sachen freuen und die finden auch immer ungefähr an der gleichen Stelle statt.
Trägt die Bildsprache auch zum Nah-dran-Sein bei?
Ganz sicher. Die Bildsprache hat sich stark verändert. Es geht jetzt wieder um das Nachvollziehbare, das Involvierende. Nehmen wir als Beispiel die Foodfotografie. Das war im »stern« bisher Hans Hansen und sein extrem stilisierter, ästhetisierender Stil. Dieser Pflaumenkuchen (zeigt auf ein Foto) sieht aus, als käme er direkt aus dem Ofen. Sehr lecker. Hansen hätte eine Pflaume genommen, vor Schwarz fotografiert, etwas Teig drüberlaufen lassen, und so wäre ein Stillleben entstanden. Auch schön. Aber wir wollen hin zu einem hohen Maß an Natürlichkeit, meinetwegen bis hin zum Kitsch, aber natürlich ohne am Ende »Landlust« zu werden. Ein anderes Beispiel: Die Autokolumne arbeitet in Zukunft nicht mehr mit Freistellern. Stattdessen werden die Autos im Stadtbild gezeigt, um auch hier Einordnung und Nachvollziehbarkeit zu ermöglichen. Natürlich werden die Bilder besser sein als es ein normales Handyfoto ist. Das ist der schmale Grat, den wir zu gehen versuchen: natürlich und dennoch außergewöhnlich.
Bilder: Entwürfe zum neuen »stern«
Der neue »stern« sieht ja nicht bloß anders aus, es gibt auch andere redaktionelle Strukturen.
Nachdem sich die Heftstruktur herausgebildet hatte, war klar, dass wir auch andere Abläufe brauchen. Wie wollen wir in Zukunft zusammenarbeiten? Wie muss die Redaktion zusammengesetzt sein? Wie die Ressorts aufgestellt? Wie ist das Rollenverständnis der Führungskräfte? Hier Lösungen zu finden war ein aufwendiger Prozess, an dem auch die Verlagsleitung beteiligt war. Es gibt jetzt für jeden der vier Heftteile ein verantwortliches Blattmacherteam aus einem Managing Editor und einem Managing Designer. Das Design so nah ans Blattmachen herangerückt zu haben, darauf bin ich besonders stolz. Das ist in Redaktionen nicht unbedingt normal.
Schürt dieser Umbau nicht auch Ängste?
Viele Mitarbeiter befürchteten tatsächlich, das Ganze sei nur ein Prozess, um einen Personalabbau zu verschleiern. Das ist es natürlich nicht. Im Moment nehmen wir an strategisch wichtigen Punkten sogar eher noch Leute dazu. Das hat, glaube ich, Viele überrascht.
Print und Online rücken näher zusammen. Wie sieht das genau aus?
Im Sommer geht die Online-Redaktion ganz in der »stern«-Mannschaft auf, die Online-Redakteure verteilen sich auf die Ressorts. Wie die Heftteile haben auch die Bereiche Online und New Channels je einen Managing Editor und Managing Designer. Wir unterscheiden nicht mehr zwischen Online und Print. Es gibt nur noch die eine Marke »stern«. Nicht das Medium steht im Vordergrund, sondern das Thema: Poppt eines hoch, wird überlegt, in welchem Heftteil oder digitalem Kanal es am besten funktioniert. Das wird in Zukunft ein wesentlicher Grundsatz in der Herangehensweise an mediale Marken werden, nicht mehr vom Medium, sondern von der Geschichte her zu denken. Sie ist das Produkt, nicht der Kanal, über den sie gespielt wird.
Wie sehen Sie die Zukunft des »stern«?
Er wird zu einer Medienmarke werden, die den Anspruch hat, Themen auf die ganz bestimmte »stern«-Weise zu drehen. Es geht heute kaum noch um News, sondern um das Veredeln und das Einordnen von Neuigkeiten. Denn nur dadurch entstehen Werte, für die Leser dann bereit sind, Geld zu bezahlen. Mit seiner emotionalen, bildlastigen Art, auf Themen zuzugehen, eignet sich der »stern« ideal für das multimediale Zeitalter. Menschen lieben gut erzählte Geschichten, und die vielen neuen Kanäle geben uns doch erst die Möglichkeit, noch opulenter und beeindruckender zu sein. Ich bin des-halb sehr optimistisch, dass die Marke »stern« eine tolle Zukunft hat – egal, in welchem Medium.
Seit heute ist »stern« Nr. 12 2013 am Kiosk.
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Chapeau! Und wenn jetzt noch der Zwischenschlag in der Heftmitte ein Tick breiter wäre … dann wär´s perfekt.
Warum ? Ganz einfach: Klappt mal das Heft auf und dann gegenläufig zu einem halben Heft wieder zu. Dann habt ihr ein Problem, die rechte innere Spalte, bzw. die linke innere Spalte leicht zu lesen. That´s it!
Der Stern entwickelt sich immer mehr zu einer klaren Zeitung für Menschen, die Herz und Empathie statt abstoßendem Sex bevorzugen!
Prima, weiter so!