»Netwoman« Gesche Joost, Sagmeister-Partnerin Jessica Walsh, Legenden wie Neville Brody – und viel Musik: die letzten beiden Tage der TYPO 2013.
»Netwoman« Gesche Joost, Sagmeister-Partnerin Jessica Walsh, Legenden wie Neville Brody – und viel Musik: die letzten beiden Tage der TYPO 2013.
Einfach machen, ausprobieren, sich nicht scheuen, sondern loslegen solle man mit seinen Projekten, forderte die junge Londoner Grafikdesignerin Kate Moross (Foto oben), die erzählte, wie sie von ihrer Begeisterung für die Spice Girls zum Punk kam – und seitdem beides verbindet, Kommerz mit Entdeckergeist und ihrem ganz eigen Stil. So entstehen nicht nur wunderschöne Videos aus Tintenverläufen (siehe Bildergalerie), ungewöhnliche Plattencover, sondern auch ihre berühmten Kampagnen für Cadbury, Topshop, ihre Illustrationen für die Vogue oder Dazed & Confused. Die zeigte sie jedoch nicht, sondern konzentriert sich ganz auf ihre Experimente mit Projektor, Schere und Papier, mit Taschenlampen und Tintenkleksen und propagierte, dass keine Herausforderung zu groß sein sollte, man sich nicht auf den ganzen Inspirationsbullshit von Pinterest und Tumblr verlassen sollte, sondern auf sich selbst.
Überhaupt ging es viel darum, nicht am Computer taktil zu verhungern, sondern ganz analog Hand anzulegen. Und während Erik Spiekermann im Foyer mit begeisterten Besuchern und Holzbuchstaben und einer kleinen Druckmaschine Plakate gestaltete, drehte Grzegorz Laszuk, polnische Grafikdesign- und Punk-Legende, Knöpfe an seinem Performance-Tisch samt Musikcomputer und Loopingprogramm.
»Ich werde singen«, warnt er zu Beginn – um anschließend immer wieder in einer Mischung aus Punk und Nonsens mit Klängen, die an Trio erinnern, und perfekt versteinerter Miene, Songs wie »Ich liebe dich Berlin« oder »Typography is very important« anstimmte, dazu seine Plakatkunst zeigte und ganz nebenbei ein paar Grafikdesign-Klischees hopps nahm.
Simon Manchipp von SomeOne hingegen forderte mehr Entertainment im Grafikdesign, während Gesche Joost, die gerade in Peer Steinbrücks Kompetenzteam aufgenommen wurde und als »Netwoman« durch die Presse ging, sofort tief ins Leben selbst einstieg.
Mit solcher Begeisterung, dass man selbst sofort in die Forschung einsteigen wollte, zeigte die Professorin tolle Projekte ihrer Studenten an der Universität der Künste Berlin vor, zu denen ein Handschuh gehört, der Taub-Blinde kommunizieren lässt und Devices für Demenzkranke.
Dass Neville Brody die Rebellenpose immer noch beherrscht – und auch die Kunst des Grafikdesigns – bewies er in einem betont lässigen Speech, in dem er, zu Recht, darauf schimpfte, dass Großbritannien sein Bildungssystem zu Tode spart, für die Poesie und die Malereihafte-Attitüde plädierte, ein paar aktuelle, aber viel zu viele alte Arbeiten Revue passieren ließ.
Darüber hinaus gab es viel Typografie – und das auch auf der großen Bühnen, mit Ann Bessemans, die vorstellte, wie sie den wissenschaftlich-basierten Font Matilda für Kinder mit Seheinschränkungen entwickelte oder von Manuel Krebs des Schweizer Büros NORM, der die Verbindung von menschlicher Physiognomie und Typografie bis in die Renaissance zurück verfolgte.
Zum Abschluss schließlich gab es Grafikdesign zum Hören – als Michael Johnson des Londoner Studios johnson banks die E-Gitarre umschnallte und durch Musikstile und das dazugehörige Coverdesign führte – von Elvis zu Nirvana und Oasis. Ein tolles Experiment, von dem er jedoch sagte, dass er es nie mehr wiederholen werde – und scherzte, er sei sowieso nur die Vorband von Jessica Walsh.
Neugierig erwartet wurde die junge Studio-Partnerin von Stefan Sagmeister, die ihre Agentur Sagmeister & Walsh mit einem Nacktfoto von ihnen launchten, die erzählte, wie gerne sie spielt, wie wichtig das für die Intelligenz sei, die ihre Schwester zur Mutprobe, sich zu zeigen – und mit dem Po zu wackeln – auf die Bühne holte, und schließlich trotz aller cool attitude dann doch amerikanische Prüderie zeigte, als sie gleich zwei mal auf ihr Sextoy verwies, das sie in einer Kampagne versteckt hatte.
Der wahre Popstar war und blieb Kate Moross mit ihrer umwerfenden Authentizität und ihrem Macher-Geist. Junge Typo-Besucher ließen sich mit ihr fotografieren, baten um Autogramme und Tipps, was sie alles gerne gab – und ein großartiges Lächeln dazu.