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Werber müssen weg vom Künstler-Image

Wie man Kreativität überhaupt wissenschaftlich erforscht und was die Ergebnisse für Agenturen bedeuten …

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Von links: GWA Geschäftsführer Ralf Nöcker und Professor Dr. Werner Reinartz, Direktor des Seminars für Handel und Kundenmanagement an der Universität zu Köln und Direktor des Instituts für Handelsforschung

Dem Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA liegt der Beweis der Effektivität von Werbung sehr am Herzen. Jedes Jahr veranstaltet er daher die GWA Effie Awards für die erfolgreichsten Kommunikationsmaßnahmen. Außerdem kooperiert der GWA mit Professor Dr. Werner Reinartz, Direktor des Seminars für Handel und Kundenmanagement an der Universität zu Köln und Direktor des Instituts für Handelsforschung, der Werbeeffektivität untersucht.

Mit ihm und GWA-Geschäftsführer Ralf Nöcker sprachen wir darüber, wie man Kreativität überhaupt wissenschaftlich erforscht und was die Ergebnisse für Agenturen bedeuten.

Was ist das Ziel Ihrer Forschungen?
Professor Dr. Werner Reinartz: Wenn Sie Artdirektoren fragen, was gute Werbung ausmacht, bekommen Sie verschiedene Antworten, aber eine davon lautet immer: Sie muss kreativ sein. Das ist eine Basisannahme in der Branche, die man gar nicht verteidigen oder beweisen muss. Entsprechend sollen Kreativpreise Expertise suggerieren. Aber im Grunde sagen sie nichts über die Effektivität der Werbung aus – also darüber, ob die Agentur dem Kunden zu mehr Verkäufen verhelfen kann oder nicht. Deshalb war der Startpunkt für unsere Forschung: Was ist Kreativität und was kann sie bewirken?

»… Deshalb war der Startpunkt für unsere Forschung: Was ist Kreativität und was kann sie bewirken?«

Wie erforscht man überhaupt Kreativität?
Reinartz: Die Forschung dazu begann Mitte des 20. Jahrhunderts. In der Psychologie ging es dabei besonders um die Muster kreativen Denkens. Der erste, ganz simple Kreativitätstest stammt von Joy Paul Guilford, einem US-amerikanischen Psychologen. Er gab seinen Versuchspersonen einen Gegenstand, zum Beispiel einen Ziegelstein, ein Blatt Papier oder einen Karton – und fragte sie, was man damit alles anstellen kann. Sie sollten in ein, zwei Minuten so viele Antworten geben wie möglich. Daraus ergaben sich dann vier Grundannahmen: Kreativen Menschen fällt schnell viel ein, sie haben sehr originelle Ideen, die aus verschiedenen Domänen und Kontexten stammen, und sie können ihre Vorschläge mit vielen Details versehen. Daraus entstand ein Kreativitätstest, der bis heute verwendet wird und die Kategorien Originalität, Flexibilität, Elaboration, Synthese und künstlerischen Wert umfasst. Diese haben wir bei unserer Untersuchung von über 300 TV-Spots verwendet. Bei den befragten Probanden handelte es sich um Konsumenten – nicht um Profis. Schließlich kann es sich keine Agentur leisten, Kreation zu produzieren, die vom Endkunden nicht goutiert wird.

»Wir konnten nachweisen, dass es eine positive Korrelation zwischen Kreativität und Abverkauf gibt«

Und wie lauten Ihre Ergebnisse?
Reinartz: Wir konnten nachweisen, dass es eine positive Korrelation zwischen Kreativität und Abverkauf gibt. Dieser Effekt ist signifikant und liegt bei etwa 20 Prozent – bei Spitzenkampagnen sogar um die 40 Prozent. Das ist eine gute Nachricht für alle Werber: Positiv andersartige Werbung ist a priori gut.

Wie weit sind Sie bei Ihrer Forschung ins Detail gegangen?
Reinartz: Wir können nicht sagen: Nehmen Sie 100 Gramm von Zutat X, 200 Gramm von Zutat Y und eine Prise Z, und Sie haben die optimale Werbung. In gewisser Hinsicht bleibt es der Heilige Gral. Unser Ziel ist vielmehr, die Zutaten zu definieren, zu messen und zu bewerten – und das ist uns ganz gut gelungen. Letztlich wollen wir Werbetreibenden helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen, um den Verkauf zu steigern. Insofern versuchen wir, gewisse Regeln aufzustellen. Aber wir werden am Ende keine Maschine haben, an der wir nur die Hebel richtig einstellen müssen, und heraus kommt die perfekte Werbung.

Gibt es Pläne, die Forschung auszuweiten?
Reinartz: Ja. Momentan schauen wir uns weitere inhaltliche Faktoren an, wie Komplexität, Emotionalität, Authentizität oder die Rolle der Marke in TV-Spots. Zudem planen wir ein Projekt mit einem neurowissenschaftlichen Labor, um zu erforschen, warum kreative Werbung von Konsumenten als besser bewertet wird. Ein weiteres Projekt dreht sich darum, auf welche Weise Unternehmen kreative Leistung einkaufen. Denn selbst wenn sie Pitches machen, kaufen sie letzten Endes doch die Katze im Sack. Wir wollen empirische und quantitativ belegbare Ergebnisse liefern zu der Frage, welche Faktoren beim Einkauf kreativer Leistung wichtig sind.

»Wir wollen den Unternehmen klarmachen, dass Ausgaben für Markenkommunikation keine Kosten sind, sondern Investitionen«

Sie argumentieren aus Sicht der Unternehmen. Könnten die Ergebnisse auch für Agenturen relevant sein?
Reinartz: Ja, durchaus. Wenn wir die qualitativen Faktoren dafür kennen, dass die Zusammenarbeit zwischen einem Unternehmen und einer Agentur gut funktioniert, sind die Erkenntnisse für beide Seiten interessant. So könnte sich beispielsweise ergeben, dass ein langsames Annähern über kleinere Projekte hin zu größeren zielführender ist als ein Pitch.

Ralf Nöcker: Die Erkenntnisse helfen uns unbedingt! Und sei es »nur« als Argumentationshilfe. Dieses Ziel verfolgen wir ja auch mit den Effie Awards: Wir wollen den Unternehmen klarmachen, dass Ausgaben für Markenkommunikation keine Kosten sind, sondern Investitionen. Ein wissenschaftlicher Beleg für den Zusammenhang zwischen Kreativität und Werbewirkung hilft da enorm.

Wie ist denn bisher das Feedback von den Agenturen?
Reinartz: Traditionell haben Agenturen die Verbindung zu Universitäten eher gescheut, weil sie sich nicht vermessen lassen wollten. Da gibt es eine natürliche Aversion. Unsere bisherigen Gespräche zeugen aber von großem Interesse. Zugleich gibt es noch Berührungsängste – nach dem Motto: Das ist zwar interessant, aber uns nicht ganz geheuer, weil der kreative Prozess eine Blackbox ist, die man nicht analysieren kann.

Nöcker: Das ist das typische Künstlerargument. Das Gleiche würde man hören, wenn man sagt, man habe die Elemente gefunden, die einen Hit ausmachen. Darauf würde ein Musiker sagen, dass es seine künstlerische Freiheit ist, einen Song zu komponieren – und der wird dann ein Hit oder eben nicht. Diese Attitüde schwingt auch bei den Werbekreativen mit.

Reinartz: Ich würde mir wünschen, dass die Agenturen zumindest offener sind für das Thema Werbewirkungsforschung.

»Werber müssen weg vom Künstler-Image und hin zum Kommunikationsberater«

Nöcker: Genau diese Offenheit möchte ich mit unserer Kooperation fördern. Denn ich glaube, die Erkenntnisse können den Agenturen bei ihren Gesprächen mit den Kunden sehr helfen. Agenturchefs monieren häufig, dass sie in der Hierarchie immer weiter nach unten gereicht werden. Im Gegensatz zu den Unternehmensberatern kommen sie kaum an die Vorstandsebene heran. Meiner Meinung nach liegt das unter anderem daran, dass sie nicht dieselbe Sprache sprechen wie die Vorstände. Dort schaut man wesentlich mehr auf wissenschaftliche Fakten als in den Kreativabteilungen von Agenturen. Werber müssen weg vom Künstler-Image und hin zum Kommunikationsberater, der auch kreative Leistung anbietet. Dafür müssen sie anders mit ihren Kunden sprechen.

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