Über Wurzeln und Background
Gesellschaftlicher Wandel hat viel mit Sprache zu tun, meint unser Kolumnist Jürgen Siebert.
Bild: Norman Posselt
Die digitalen Abläufe in Design und Kommunikation bringen es mit sich, dass Auftraggeber und Dienstleister näher zusammenrücken. Waren die Kreativen im letzten Jahrhundert eher so etwas wie Befehlsempfänger, arbeiten sie heute mit ihren Klienten (endlich) auf Augenhöhe, als Partner oder Berater. Das bedeutet: mehr Einfluss, aber auch mehr Verantwortung. Zum Beispiel wenn es um gesellschaftliche Fragen in einem Projekt geht, um Nachhaltigkeit, um Compliance, bis hin zur geschriebenen und gesprochenen Sprache. Wir Kreative sollten diese Themen weder ignorieren noch ausklammern, sondern mitgestalten.
Vor vier Wochen habe ich mich dem Gendersternchen gewidmet, einem typografischen Kunstgriff zur Durchsetzung einer geschlechtsneutralen visuellen Kommunikation. Heute soll es um diskriminierungsfreies Sprechen und die oft gehörte Frage gehen: »Was darf man eigentlich noch sagen?« Der pikierte Unterton ist schon verräterisch, niemand will Wörter verbieten. Doch wer nichts ahnend die falschen verwendet, erntet Spott und Gegenwind …
Wir begeben uns hier auf das Minenfeld des »Physikalismus«, einer erweiterten Form des »Ableismus« (von able = fähig), eines Begriffs aus der US-Behindertenbewegung. Damit fasst man die Diskriminierung von Menschen zusammen, indem sie an bestimmten Fähigkeiten oder Eigenschaften gemessen und sprachlich darauf reduziert werden: Blinder, Depressiver, Sonderling, Flüchtling, Asylant.
Aber wie spricht man, ohne zu beleidigen, wenn »behindert« auch als Schimpfwort verwendet wird? Für behinderte Menschen ist genau das eine brauchbare Bezeichnung, weil sie besagt, dass eine Person im Alltag mit unliebsamen Momenten zu kämpfen hat. Noch besser ist die Formulierung »Menschen mit Behinderung«, nach dem Grundsatz »der Mensch zuerst«, denn die Beeinträchtigung ist nur eine Facette seiner Persönlichkeit. Analog dazu befürworten »Blinde« und »Gehörlose« die Bezeichnung »blinder« oder »gehörloser Mensch«.
Viele Initiativen für eine gerechtere Sprache starten in den USA. Manchmal werden die Begriffe direkt ins Deutsche übernommen. Ableitungen wie »gehandicapt« oder der Import von »Person of Color« zeugen eher von Ratlosigkeit, und auch Abkürzungen wie PoC, BPoC oder BIPoC leisten keinen Beitrag zu einer gerechteren deutschen Sprache. Sie ist aber die Voraussetzung dafür, das sich die Einstellung einer breiten Bevölkerung zu den genannten Personengruppen verändert. Als alternative Bezeichnungen dienen in unserer Sprache seit Längerem »Farbige« sowie »Schwarze«. Weil sie sich semantisch nicht allein auf die Hautfarbe beziehen, sondern einen soziohistorischen Hintergrund mittragen, greift auch hier das Prinzip »Menschen zuerst« – warum also nicht besser »Menschen von Farbe« sagen? In Deutschland lebende Menschen mit dunkler Hautfarbe wählen häufig die Eigenbezeichnung »Afrodeutsche«.
Weniger übereinander reden, mehr miteinander reden: Das wird unsere Wortwahl automatisch positiv beeinflussen.
Wie nennen wir nun unsere türkisch- und syrischstämmigen Landsleute? Die Tage des aus der Bürokratie in die Alltagssprache eingewanderten Begriffs »Migrationshintergrund« sind jedenfalls gezählt. Und was ist mit »Wurzeln«? Lady Bitch Ray forderte jüngst auf Twitter: »Hört bitte auf XY ›mit türkischen Wurzeln‹ zu schreiben. Wir sind keine Bäume.« Besser sei »Menschen mit Migrationsgeschichte/Background aus der Türkei«, was ziemlich deutsch klingt, oder »noch besser: Gar nicht markieren«. Und damit hat sie recht.
Sprache ist stets im Wandel. Dabei werden Grenzen immer wieder neu gezogen und verhandelt. Klar, dass dabei gestritten wird. Aber die Bereitschaft, den (Sprach-)Kritikern zuzuhören, hat zugenommen. Noch besser wäre es, Momente zu schaffen, bei denen wir mit Menschen mit anderen Perspektiven und Erfahrungen ins Gespräch kommen.
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