Sterne lesen: Neuer Teil der Siebert-Kolumne
Wie gendergerechte Sprache unsere Kreativität herausfordert, erklärt unser Kolumnist Jürgen Siebert
Bild: Norman Posselt
Liebe Leser*innen. Die Gesellschaft für deutsche Sprache e. V. (GfdS) hat gerade das Gendersternchen geprüft. Zur Erinnerung: Das * wird gerne als Instrument einer geschlechtergerechten oder genderneutralen Sprache eingesetzt. Man schreibt (und sagt) nicht mehr Leser oder Leserin, sondern Leser*in (Singular) oder Leser*innen (Plural). In der gesprochenen Sprache wird das Gendersternchen gelegentlich durch die sogenannte Gender-Pause realisiert: Leser [Pause] innen. Die Sprecher*innen der »Tagesschau« praktizieren das noch nicht, wohl aber die ersten Kommentator*innen.
Zurück zum Geschriebenen. Ein Pluralbeispiel findet sich am Beginn dieses Textes. Ein Singularbeispiel könnte so aussehen: Birge Weber ist Leser*in meines Buches. Diese Schreibweise ist für die Leserschaft nicht eindeutig, für mich als Autor ist es aber bequemer, weil ich mich nicht darum kümmern muss, ob Birge eine weibliche oder eine männliche Person ist. Selbst wenn ich auf Google ein Foto von Birge fände, kann ich nicht wissen, ob sich diese Person überhaupt einer der beiden binären Geschlechterrollen männlich oder weiblich zugehörig fühlt.
Sie sind sprachlos?! Aber warum denn: Es geht um geschlechterneutrale Kommunikation, die unsere Sprache vielfältiger machen soll, was sich bei geschriebenen Texten bereits abzeichnet. Denn neben dem * wird ja noch der Unterstrich (Leser_innen), der Doppelpunkt (Leser:innen), der Mediopunkt (Leser·innen) und die Binnenmajuskel (LeserInnen) verwendet. Letztere ist aber in Verruf geraten, weil sie einem generischen Femininum gleichkommt: Männer dürfen sich mitgemeint fühlen, doch wie sieht es mit der (verbalen) Integration von nonbinären oder intersexuellen Menschen aus?
Was genau sagt nun die GfdS zum *? Der Stern im Wort sei weder mit der deutschen Grammatik noch mit den Regeln der Rechtschreibung konform. Beispiele: Arzt*in oder Ärzt*in. Außerdem führe das Nebeneinander des Gendersternchens und alternativer Formen zu Uneinheitlichkeit. Auch in Bezug auf die Sprechbarkeit gebe es Probleme: »Für die Sprechenden und für die Zuhörerinnen und Zuhörer entstehen Unsicherheiten.«
Die deutsche Sprache gilt nicht gerade als eine leicht zu erlernende. Für Pädagogen, Sprachlehrerinnen und -lehrer sowie für die GfdS stehen daher orthografische und grammatische Richtigkeit, Einheitlichkeit und die (Vor-)Lesbarkeit eines Textes an erster Stelle. Dies müsse auch in einer diskriminierungsfreien Sprache gewährleistet bleiben. »Die GfdS rät daher ausdrücklich davon ab, das Gendersternchen und ähnlich problematische Formen zu verwenden«, endet die Pressemitteilung.
Und was machen wir jetzt? Wie kommen wir zu einer diskriminierungsfreien Sprache? Und wie vermeiden wir dabei, dass Deutsch für all jene, die es bereits beherrschen, zum Minenfeld wird und für die Menschen, die unsere Sprache gerne lernen möchten, nicht noch abschreckender wird?
Tatsächlich bringt uns sprachliche Kreativität weiter – und das viel mehr als Verbote, Gebote oder behördliche Wortschöpfungen wie »Migrationshintergrund«. Darüber hinaus hat das kreative Schreiben und Sprechen den Vorteil, dass wir unser Gehirn umfassender nutzen, was wiederum beim Erkennen und Verinnerlichen der zugrunde liegenden gesellschaftlichen Benachteiligung enorm helfen kann.
Ich habe drei Vorschläge. Zum ersten die Doppelnennung als eindeutigste Form der geschlechtergerechten Sprache – und als höflichste: Leserinnen und Leser, Bäuerinnen und Bauern. Dann gibt es eine bunte Palette grammatischer Ersatzformen wie substantivierte Partizipien oder Adjektive (der/die Bevollmächtigte, die Teilnehmenden, der/die Kranken . . .), oder man greift zu Sach- statt Personenbezeichnungen (Quelle statt Informant, Fachkraft statt Fachmann, Leitung statt Leiter), verwendet generische Personenbezeichnungen (Mensch, Person, Mitglied) oder bedient sich einer erklärenden Klammerkonstruktion: Wir suchen Maler (m/w/d). Wenn all das nicht funktioniert, bleibt immer noch die Schrägstrichlösung: Schülerinnen/Schüler, Lehrer/-in, alle Bewerber/-innen.
Vorsicht bei substantivierten Partizipien oder Adjektiven! Was bei Studierenden noch ganz gut funktioniert, kann bei Radfahrern oder Arbeitern unfreiwillig peinlich werden: in diesem Jahr bereits zwölf tote Radfahrende in der Stadt; heute um 9 Uhr demonstrieren die entlassenen Arbeitenden vor der Firmenzentrale . . .
Liebe Lesende, vielen Dank, dass Sie es bis hierhin geschafft haben!
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