Siebert-Kolumne: Marken – werdet endlich ehrlich!
Statt unnötiger Redesigns wünscht sich unser Kolumnist Jürgen Siebert sinnvolle Produkte
Bild: Norman Posselt
Das Design meiner Zahncremetube wurde aufgefrischt. Ist besser geworden. Auch den Inhalt haben sie verändert, nicht den Geschmack und die Inhaltsstoffe, sondern die Zähigkeit: Die Paste ist jetzt dünnflüssiger, woran ich mich erst gewöhnen muss, damit nicht zu viel Creme auf die Bürste läuft.
Dazu kam mir die Idee für eine Erfindung, die ich gerne in der »Höhle der Löwen« präsentieren würde. Leider lässt sich mit ihr kein Geld verdienen, und das aus zwei Gründen: Mehr als 1 Euro Verkaufspreis ist nicht drin … sodass ich niemals den Einzelhandelskönig Ralf Dümmel als Investor gewinnen könnte. Außerdem beschneidet meine Idee massiv die Umsätze einer Geschäftssparte, mit der es sich keiner der Löwen verscherzen möchte.
Ich spreche von einem Zahncremedosierer, einem kegelförmigen Gummistopfen, so groß wie die Kappe eines Fahrradventils, mit einem 1 Millimeter großen Löchlein. Klemmt man ihn in die Tubenöffnung, lässt sich die Zahnpasta kontrolliert dosieren und auf der Bürste landet nur noch ein Viertel der üblichen Menge.
Erbsengroß soll laut Experten der Klecks sein, mit dem wir uns morgens und abends die Zähne reinigen. In der Werbung wird gerne die 4-fache Menge an Zahnpasta aufgetragen. Denn die Hersteller haben ein maximales Interesse daran, dass wir ihre Tube in einem Monat aufbrauchen anstatt in vier Monaten.
Ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass es bei den großen Reinigungs- und Kosmetikunternehmen spezielle Abteilungen gibt, die sich den lieben langen Tag nur mit der Frage beschäftigen: Wie bringen wir die Leute dazu, Tuben, Flaschen oder Kartons so schnell wie möglich zu leeren? Die klassischen Stellschrauben bei Pasten, Flüssigkeiten und Pulvern sind Viskosität, Rieselfähigkeit und Öffnungsgröße. Wenn da nichts mehr geht, brütet man Dosierbomben aus, die hohe Schule des Maximalverbrauchs mit maximalen Gewinnen: Gel-Caps, All-in-1-Pods, 4-Kammern-Discs, 3-in-1-Kugeln oder Multi-12-Aktiv-Tabs.
Meine Frau gibt meiner Erfindung keine große Zukunft. »Das regeln die Verbraucher gerade selbst.« Die Tricksereien der Industrie hätten bald ein Ende, weil wir uns mitten in einer Phase des gesellschaftlichen Umdenkens befänden. Ob es an Corona oder an den erbitterten Debatten in den sozialen Netzen liegt: Die Menschen sind misstrauisch geworden, gegenüber allem und jedem. Gleichzeitig sehnen sie sich nach etwas Besserem, etwas Vertrauensvollem, nach Authentizität und Ehrlichkeit. Weil sie glauben, dass diese Werte für immer aus der Welt verschwinden werden … wie das Spitzmaulnashorn oder der Strandflieder.
Marken, Design und die Werbung sollten darauf reagieren. Doch statt offen und ehrlich mit ihrem Publikum zu sprechen, konzentrieren sie sich weiterhin darauf, es zu manipulieren. Ungesunde und nutzlose Produkte werden nicht verbessert, sondern rebranded: neuer Name, neue Verpackung, Unbedenklichkeitssiegel, »jetzt ohne dies und das«, was sowieso nie drin war.
Unternehmen könnten ihre Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, wenn sie einfach nur die Wahrheit sagen würden, ohne Tricksereien. Dieser Trend liegt in der Luft, hat allerdings noch nicht den Weg in die internen Strategiesitzungen gefunden.
Vielleicht könnten Designerinnen und Designer hier ein bisschen bei ihren Auftraggebern nachhelfen. Fragen kostet ja nichts.
Die Peter Schmidt Group empfiehlt ihren Kunden eine empathische Markenführung und hat in einer Studie den Unterschied zwischen guten Marken und besseren Marken beleuchtet. Nachhaltigkeit sei kein Nice-to-have, sondern es gehe um ethisches Handeln im großen Stil. Dringende Leseempfehlung.
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Was für ein Geschwätz!