Wir sprachen mit Olof Schybergson, Chief Design and Product Officer bei Accenture Song über den Wandel in der Designbranche
Olof Schybergson hat für alle bekannten Marken gearbeitet, die wir uns nur vorstellen können. Heute ist er Chief Design and Product Officer bei Accenture Song.
In seiner Arbeit trifft er die verschiedensten Köpfe aus der Designbranche und verbindet Designstrategie, Kreation und Business. Wir sprachen mit ihm über den Wandel in der Branche, die neuen Herausforderungen im Angesicht von KI und das zukünftige Rollenverständnis von Kreativen.
Designwirtschaft & Gesellschaft
PAGE | Olof, als Chief Design and Product Officer bei Accenture kommst du viel herum. Wie steht es um den Stellenwert und die Sichtbarkeit von Design in Deutschland?
Olof | Deutschland ist ein Land mit einer starken Designtradition. Die Bauhaus-Bewegung verknüpfte die Prinzipien des künstlerischen Individualismus mit Skalierbarkeit und Funktionalität – und wenn man bedenkt, wie sich das Design in naher Zukunft entwickeln wird, kann man sehen, wie relevant dieses Erbe wieder werden könnte.
Darüber hinaus ist Deutschland für klare Kommunikation und hochwertiges Produktdesign bekannt. Aber jetzt muss Design in Deutschland mutiger und innovativer werden, um eine führende Rolle dabei zu spielen, dass Europa insgesamt mit den Marktführern der beiden anderen großen Volkswirtschaften, China und den USA, Schritt hält.
Welche Rolle spielt Design dabei in Gesellschaft und Wirtschaft?
Design hatte schon immer die Aufgabe, den Menschen und sein Verhalten zu studieren und sicherzustellen, dass Lösungen und Prozesse entwickelt werden, die damit im Einklang stehen. Es geht darum, dass alles, was wir schaffen – sei es für Regierungen oder Unternehmen – auf die Bedürfnisse und Erfahrungen der Menschen abgestimmt ist.
Was sich jedoch verändert hat: Alles, was wir heute entwerfen, muss in einer zunehmend auf Technologie ausgerichteten Welt existieren können. Designer:innen müssen sicherstellen, dass Technologie den Menschen stärkt und befähigt – nicht umgekehrt. Je einflussreicher Technologie in den kommenden Jahren wird, umso wichtiger wird es für Designer:innen, Menschen und ihr facettenreiches Leben wirklich zu verstehen.
Außerdem arbeiten wir zunehmend an der Lösung gesellschaftlicher Probleme.
Ja – Design wird eine zentrale Rolle bei der Lösung fast aller Herausforderungen spielen, vor denen Gesellschaften und Volkswirtschaften stehen. Der Übergang zu nachhaltiger Energie zum Beispiel braucht Design, das uns hilft, ein gemeinsames Verständnis dafür zu entwickeln, wie unser neues Energiemodell aussehen wird. Heute ist Energie etwas sehr Abstraktes – wie viele von uns verstehen wirklich, wie sie funktioniert und wie selbst die grundlegendsten Aspekte des modernen Lebens von unserer aktuellen Energieinfrastruktur unterstützt werden? Der Wandel hin zu nachhaltiger Energie erfordert ein viel greifbareres und vielleicht sogar emotionales Verständnis dafür, woher unsere Energie kommt und wie sie erzeugt wird. Designer:innen werden hierbei eine führende Rolle spielen.
Ein weiteres, weniger offensichtliches Beispiel ist die zunehmende Polarisierung. Wenn Designer:innen Experten darin sind, Menschen zu verstehen und wir überzeugt sind, dass eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft schadet, dann müssen wir unsere Fähigkeiten einsetzen, die negativen Auswirkungen zu minimieren und das Menschliche zu maximieren. Designer:innen sind an der Weiterentwicklung von sozialen Medienplattformen beteiligt und wir haben Einfluss darauf, was durch Algorithmen hervorgehoben wird – sogar auf die Geschäftsmodelle, mit denen digitale Plattformen und journalistische Publikationen Gewinne erzielen. Wo immer es eine Lösung für diese Probleme gibt, wird Design zweifellos ein Teil davon sein.
Wenn Designer:innen Experten darin sind, Menschen zu verstehen, dann müssen wir unsere Fähigkeiten einsetzen, das Menschliche in der Gesellschaft zu maximieren
Skills und Berufsbilder
Design wird also immer komplexer. Welche Tätigkeiten werden in Zukunft Teil des Berufes sein?
Aus handwerklicher Sicht werden sich Designer:innen in Zukunft weniger auf statische Artefakte oder physische Produkte konzentrieren, sondern mehr auf die Entwicklung von Systemen. Designer:innen werden in eine höhere Abstraktionsebene eintauchen – ihre Hauptaufgabe wird darin bestehen, Regeln für ein System zu schreiben, das sich dann selbst zusammenfügt. Beispielsweise werden wir vermehrt personalisierte Benutzeroberflächen sehen – was Sie auf Ihrer App sehen oder sogar, wenn Sie ein Geschäft in der Innenstadt betreten, kann sich von dem, was jemand anderes sieht, stark unterscheiden.
Um das zu erreichen, müssen Designer:innen in der Lage sein, mit fortschrittlicher Technologie zu arbeiten und Daten zur Gestaltung von Erlebnissen nutzen zu können.
Eines aber wird sich nicht ändern: Gutes Design ist nichts, das nur in einem Bereich eines Unternehmens oder der Gesellschaft angesiedelt ist. Gutes Design bringt Organisationen näher zusammen, im Interesse der Kundenzentrierung und einer intuitiven Benutzererfahrung. In einer immer komplexer und chaotischer werdenden Welt wird starkes Design wichtiger denn je.
Welche Rolle spielen neue Technologien, wie KI, in unserem neuen Verständnis von Design?
Auch hier gilt, dass die neuen Technologien das Wesen des Designs verändern, von statischen Artefakten und Produkten hin zu einer systemorientierten Praxis. Die Beziehung zwischen Technologie und Design ist dabei symbiotisch und generative KI ein hervorragendes Beispiel dafür.
Generative KI hat vor etwa zwei Jahren einen enormen Aufschwung erlebt, obwohl die zugrunde liegende Technologie schon viel länger existiert hat. Was sich vor zwei Jahren verändert hat, war, dass jemand ein klares und einfaches Interface entworfen hat, über das Menschen mit dieser Technologie interagieren können: ChatGPT. So gesehen ist es nur durch gutes Design möglich geworden, dass Generative KI so relevant wurde.
»Design schafft Mehrwert, indem es Komplexität reduziert und das Menschliche betont«
Learnings und neue Perspektiven
Wie kann die PAGE-Community die kommenden Herausforderungen antizipieren, und worauf sollten sie sich konzentrieren, um ihre Fähigkeiten auf dem neuesten Stand zu halten?
Wenn man sich die Fähigkeiten anschaut, die in Zukunft für Arbeitgeber am wichtigsten sein werden, stehen Technologie und Design ganz oben auf der Liste. Für Designer:innen sind dabei vor allem kritisches Denken und kreative Problemlösungsfähigkeiten von zentraler Bedeutung. Sie sollten stets ihre Neugier und Abenteuerlust füttern, sich mit scheinbar unlösbaren Problemen auseinandersetzen, um ihre Standards zu erhöhen und zu beweisen, dass nichts unmöglich ist.
Was können unsere Leser aus deiner Erfahrung als Leiter des Bereichs Design und digitale Produkte bei Accenture lernen?
Dass niemand wirklich der »Meister« des Designs ist. Es gibt diese veraltete Vorstellung, dass man nahezu unfehlbar wird, wenn man 10.000 Stunden in etwas investiert. Aber das trifft auf Design heute nicht mehr zu; sofern es das jemals tat. Angesichts des zunehmenden Einsatzes von künstlicher Intelligenz wird Wissen künftig wesentlich weniger zählen als die persönliche Einstellung und Fähigkeiten.
In Zukunft wird erfolgreich sein, wer einen Weg findet, neugierig und hungrig zu bleiben, die menschliche Psychologie ständig zu hinterfragen und offen genug zu sein, um zu akzeptieren, dass die eigenen Vorannahmen möglicherweise falsch sind. Wenn Sie das können, glaube ich, dass Sie ein:e erfolgreiche:r Designer:in sein.