Schnittstelle Dialog
Die Zukunft der Benutzerführung ist nicht das grafische User Interface (GUI), sondern der Dialog.
Apps, Telefon-Hotlines und Websites vermitteln uns das Gefühl, sofort zu helfen. In Trockenübungen erweisen sie sich als elegant und leicht zu bedienen. Eine Nummer zu wählen, verspricht dabei immer noch der einfachste Handgriff zu sein. Doch die wahre Belastungsprobe findet weder im heimischen Sessel noch am Schreibtisch statt. Sie trifft uns unterwegs, auf Geschäftsreisen und im Urlaub … über Apps, in denen wir orientierungslos herumirren, obwohl sie zu Hause oder im Entwicklungsbüro einen passablen Eindruck hinterlassen hatten.
Wer sich schon mal in den Notsituationen des Alltags behaupten musste, zum Beispiel bei einer Autopanne oder Reiseumbuchung, der weiß, dass sogar ein simpler Anruf schnell aus dem Ruder laufen kann: Nummer erinnern oder finden, korrekt eintippen, Warteschlange überstehen, die richtige Person an die Strippe bekommen . . . Meist verlieren wir schon bei der Suche einer Telefonnummer die Nerven, vergessen alt- und neubewährte Helfer wie die Auskunft oder die Sprachsuche unseres Smartphones.
Apps scheinen nicht die Lösung zu sein. Zehntausende bieten uns ihre Hilfe an, doch rein statistisch gesehen, nutzen wir stets nur dasselbe Dutzend. Dem Investor und App-Entwickler Jonathan Libov ist selbst dies noch zu viel: »Jede App hat ein eigenes User Interface, mit dem ich mich auseinandersetzen muss.« Auf der Suche nach der universellen Schnittstelle landete er beim Dialog, neudeutsch auch »Messaging« oder »Texting« genannt. Seine These: Die Zukunft der Benutzerführung ist nicht das grafische User Interface (GUI), sondern der Dialog.
Wenn es in New York regnet, nimmt Libov den Bus, um ins Büro zu kommen. Widerwillig. Wer nur gelegentlich öffentliche Verkehrsmittel nutzt, für den ist schon das Bereithalten von Kleingeld ein Problem, ganz zu schweigen vom Fahrplanlesen. Jüngst bekam er an der Haltestelle den Tipp, die Abfahrtszeit seines Busses via Textnachricht an die New Yorker Verkehrsbetriebe zu ermitteln. Er schickte folgende Nachricht an Bus_Time: »23rd & 8th M23«. Die Antwort: »Nimm den M23 Richtung 1) East Side Crosstown oder 2) Chelsea Piers 12 AV Crosstown. Sende 1 oder 2« Er antwortet »1«. Und schon erschienen die Abfahrtszeiten: »Haltestelle 402126, M23: kommt jetzt; M23: 0,6 Meilen; M23: 0,9 Meilen. Sende R für Refresh.«
»War ich froh, dass ich mir nicht schon wieder irgendeine App aufs Telefon laden musste«, beschreibt Jonathan Libov später das Schlüsselerlebnis. Anders als die grafische Benutzerführung erschien ihm der Textdialog auf befreiende Weise vertraut: »Rechts meine Frage, links die Antwort, unten die Texteingabe …«.
Google Now und Siri gehen ähnliche Wege. Man spart sich das Tippen und spricht die Anfrage ins Gerät. Auch hier entsteht ein Dialog. Die textbasierte Interaktion ist schneller als eine grafisch vermittelte, schneller als Tabellen, Karten und Listen. Libov: »Der Wortwechsel ist die vertrauteste aller Kommunikationstechniken. (. . .) Texte lassen sich durchsuchen, übersetzen, vergleichen, verlinken und filtern. Die Breite, das Ausmaß und die Tiefe geschriebener Worte wird durch nichts anderes erreicht.«
»Der Wortwechsel ist die vertrauteste aller Kommunikationstechniken«
Einige Apps setzen bereits auf den Dialog als User Interface, ohne GUI. Etwa der virtuelle Gesundheitscoach Lark. Er wertet die HealthKit-Daten des iPhones aus, also die gespeicherten Bewegungen und Trainingseinheiten. Schon der Anmeldedialog erweist sich als überaus geschliffen und verständlich. Mögliche Antworten werden mir mundgerecht angeboten, sodass ich die passende Reaktion mit nur einem Fingertipp absenden kann. Meine Daten und Grafiken liefert Lark ausschließlich bei Bedarf, ebenfalls in einer Sprechblase.
Messaging ist die einzige Schnittstellenart, bei der die Maschine im selben Stil mit mir spricht wie ich mit ihr. Und es ist eine vertraute Form der Kommunikation. Noch bewegen wir uns mit Klicks auf Icons und Hyperlinks durchs Netz . . . Dass wir dabei auch häufig Umwege beschreiten, fällt kaum auf, denn es passiert ja permanent etwas unter unseren Fingern. Ein pointierter Dialog mit der Maschine kann schon heute Prozesse verkürzen, zu denen wir uns noch Schritt für Schritt hintippen.
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