Realitycheck: Agenturen für Nachhaltigkeit
Immer mehr Kreative versuchen, Umwelt und Business in Einklang zu bringen. Grundlegend nachhaltig ausrichten kann sich aber nur, wer das Prinzip Wachstum – auch das eigene – hinterfragt. Wir zeigen neue Ansätze und Erkenntnisse aus langjähriger Erfahrung.
Koplanar argumentiert gerne mit dem wirtschaftlichen Potenzial nachhaltiger Themen und dem Ruf der Konsument:innen nach Veränderung. So könne man Unternehmen zu einer gewissen Ernsthaftigkeit in ihren Bemühungen verhelfen. In der Umsetzung müssen die beiden Designer immer mal wieder Kompromisse eingehen. Das tun sie, weil sie eine Bewegung in die richtige Richtung bewirken wollen, auch wenn es nur kleine Schritte sind. »Wir begleiten Unternehmen auf ihrem Nachhaltigkeitspfad da, wo sie sind, und versuchen, ihre Ambitionen zu stärken«, so Schmidlin. Das langsame politische Vorankommen, etwa bei dem Erreichen der Pariser Klimaziele, finden die Designer sehr beunruhigend. Für sie bedeutet das: noch mehr Gas geben, mehr Zusammenarbeit, größere Ambitionen, bessere Umsetzung. »Wir hoffen, dass alle Designagenturen Haltung zeigen und gemeinsam am Überleben der Menschheit arbeiten.«
Konsequent nachhaltige Agenturen
Aber auch in Deutschland gibt es Büros und Agenturen, denen Sustainability ein wichtiges Anliegen ist. Bereits seit 1995 steht designgruppe koop im Allgäu für werteorientierte Gestaltung, Gründer Andreas Koop ist der Meinung, dass sich in den letzten Jahren in Bezug auf Nachhaltigkeit nicht viel getan hat. »Nur sehr wenige Unternehmen nehmen das Thema wirklich ernst und verzichten dafür in der Konsequenz auf Wachstum und Gewinn« (mehr dazu im Interview mit Andreas Koop).
Ambermedia aus Berlin bietet seit Anfang 2021 nur noch klimaneutrale Kampagnen an. Für alle gebuchten Aufträge errechnet die Agentur mit den Schwerpunkten Ambient Media, Guerilla-Marketing und Digital Out Of Home einen CO₂-Fußabdruck. Dafür investiert sie in lokale und internationale klimaausgleichende Projekte. Grundlage hierfür ist der von der Bundesregierung vorgeschlagene CO₂-Preis, den Ambermedia verdoppelt.
Grabarz & Partner eröffnete 2019 in Berlin den Grabarz JMP Space, der sich ausschließlich um Innovationsprojekte kümmert. Hier entstand im Herbst 2020 der Green Radar, ein Screening, das Unternehmen hilft, eine klare, grüne Strategie zu entwickeln. In Zusammenarbeit mit dem Marktforschungsinstitut Innofact und The Green Fusion Network bietet Grabarz JMP Unternehmen an, in vier Wochen zu einer umsetzbaren Nachhaltigkeitsstrategie zu kommen. Einer der ersten Kunden war der Lebensmittelhersteller BioZentrale, der dabei erfuhr, was für ein enormes Marketingpotenzial in seinen nachhaltigen Produktionsprozessen schlummert. Auch erfahrene Biounternehmen können also durchaus noch dazulernen.
»Wir wollen Unternehmen orientieren und inspirieren, damit Nachhaltigkeit für sie zum echten Wettbewerbsfaktor wird«

Sustainability: Nicht für jeden arbeiten
Mit below1 ging 2020 eine »Agentur für nachhaltige Kreativität« an den Start. Sie ist ein Joint Venture der Gruppe KNSKB+ und Nachhaltigkeitsplattform Utopia. Der Name entstand aus der Notwendigkeit, den Ressourcenverbrauch auf unter eine Erde pro Jahr – below1 – zu reduzieren. Momentan verbrauchen wir etwa 1,7 Erden jährlich. »Auf Dauer kommt keine Marke mehr an Sustainability vorbei – weil Konsumenten es wünschen, weil die Finanzmärkte es fordern, weil die Politik die Leitplanken vorgibt«, sagt Dr. Meike Gebhard, Geschäftsführerin von Utopia.
In den letzten Jahren standen die für uns alle unmittelbar erlebbaren Probleme Klimaschutz, Plastik und Tierwohl im Vordergrund. »Die sozialen Aspekte von Nachhaltigkeit spielen vor allem in den globalen Lieferketten von Unternehmen eine zentrale Rolle, für Verbraucher sind sie weiter weg«, so Gebhard. Below1 will gemeinsam mit den Auftraggebenden aber immer alle drei Nachhaltigkeitsdimensionen in den Blick nehmen: Ökologie, Ökonomie und Soziales. Nur so könne man glaubwürdig kommunizieren und Greenwashing vermeiden.
Auf der Website ist klar zu lesen, was below1 nicht tut: »Wir arbeiten nicht für Unternehmen, die Sustainability als Feigenblatt verstehen, ohne sich wirklich verbessern zu wollen.« Lässt sich das durchhalten, auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten? Für Meike Gebhard ist das ebenso eindeutig wie alternativlos: »Wenn wir diesen Grundsatz einmal verletzen, ist der Schaden – auch der wirtschaftliche – viel höher. Denn unsere Glaubwürdigkeit als Marke zu beschädigen, würde uns am Ende mehr kosten als der Verzicht auf einen Kunden.« Außerdem sei below1 nicht angetreten, um ein Thema zu besetzen, sondern um einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Welt zu leisten.
Abseits von Branchen wie Atomwirtschaft, Waffen- oder Tabakindustrie, für die below1 generell nicht arbeiten würde, schaut die Agentur bei potenziellen Kunden weniger auf den Status quo – Nachhaltigkeit bedeutet Transformation –, sondern vor allem darauf, ob sie das Thema ins Kerngeschäft integrieren oder im Kern business as usual betreiben und nebenbei ein bisschen sustainable auftreten.
»Below1 ist nicht angetreten, um ein Thema zu besetzen, sondern um einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Welt zu leisten«

Nachhaltigkeitskommunikation: Der richtige Zeitpunkt
Braucht es solche spezialisierten Agenturen überhaupt, wo Sustainability doch längst schon ein Megatrend ist? Ja, es braucht sie. Denn das Thema ist komplex. »Man benötigt ein tiefgehendes Verständnis von Nachhaltigkeit, um gut beurteilen zu können, ob es sich bei den Aktivitäten eines Unternehmens um substanzielles Engagement handelt. Ob die Ocean-Plastic-Kampagne ein Einzelauftritt ist oder auf einer Gesamtstrategie zur Vermeidung von Verpackungsmüll fußt«, so Meike Gebhard. Michael Volkmer, Gründer der Agentur Scholz & Volkmer, beschäftigt sich bereits seit über zehn Jahren mit dem Thema und sagt: »Allmählich wird man sattelfest und kann auch bei inhaltlich größeren, relevanteren und hochpolitischen Themen – etwa der CO₂-Reduktion im Rahmen eines Klimaschutzplans – mitsprechen. Vor ein paar Jahren hätte ich mich da nicht rangetraut.«
Fundiertes Wissen, Analyse, Beratung: Zum Handwerkszeug der Nachhaltigkeitskommunikation gehört eben mehr als die reine Kommunikation. Aber auch die hat es in sich. Denn natürlich sollen Unternehmen auf ihre nachhaltigen Erfolge, Produkte oder Dienstleistungen aufmerksam machen. Nur so kann Sustainability zum Wettbewerbsvorteil werden, der sich auch wirtschaftlich auszahlt. Aber wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Kampagne? »Wer seine grünen Aktivitäten an die große Glocke hängt, sollte seine Hausaufgaben gemacht haben«, sagt Michael Volkmer. »Wer sich nicht intensiv mit seinen Prozessen auseinandergesetzt hat, wer vergisst, seine Mitarbeiter mitzunehmen, wer nicht mal in kleinen, unspektakulären Bereichen gesehen hat, wie schwer Veränderung tatsächlich ist, dem kann das schnell um die Ohren fliegen, die Verbraucher sind heute durchaus sensibilisiert.«
Schön wäre es, ganz viele Kreative würden bald die notwendige Expertise erlangen, um noch viel mehr Unternehmen und Marken von der Notwendigkeit einer grundlegenden Nachhaltigkeitsstrategie überzeugen zu können. Die Zeit drängt.
»Im Kern geht es um Mitgefühl«
Die Agentur Scholz & Volkmer mit Büros in Wiesbaden und Berlin gilt als Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeitskommunikation. Wir sprachen mit Gründer Michael Volkmer über Wachstum, Sachzwänge und Return of Invest.

»Wie definieren Sie für Ihr Büro das Thema Nachhaltigkeit?«
»Den gleichen Mist mit Ökostrom zu produzieren und in Kartons aus Altpapier zu verschicken, macht nicht viel Unterschied« Für Andreas Koop, Gründer von designgruppe koop in Marktoberdorf, ist die nachhaltige Ausrichtung seines Gestaltungsbüros weniger strategische Überlegung als vielmehr persönliche Überzeugung.

Buchtipp zum Thema werteorientiertes Design

Wie entsteht ein Design, das nicht nur schön ist, sondern auch gut? Das allen dient? Welche Kriterien gibt es für eine werteorientierte Gestaltung? Diesen und noch viel mehr Fragen geht Andreas Koop in seinem Buch »Schön und gut« nach (Birkhäuser 2019, 159 Seiten, 29,99 Euro, ISBN 978-3-0356-1829-7). Eine Anleitung liefert er nicht, wohl aber 19 Kriterien, was werteorientiertes Design sein kann, sowie jede Menge Stoff zum Nachdenken, das dann hoffentlich zu Handlungen führt!
Dieser Artikel ist in PAGE 6.2021 erschienen, die Sie hier komplett runterladen können.



