In seiner Designkritik-Kolumne beschreibt Johannes Erler den ungewollten Effekt, den Plain Packaging
im Fall von Zigarettenschachteln haben kann – zumindest bei Designern …
Warnhinweis: Die folgenden Zeilen können Spuren von Albernheit und Leichtsinn enthalten! Dabei ist Rauchen zweifellos ungesund und kann töten. Jede seriöse Maßnahme, die Menschen vom Rauchen abhält, ist richtig und wichtig. Aber in dieser Kolumne geht es nun mal um Design. Und da ist mir, dem Raucher, neulich was Lustiges passiert.
Ich betrat nämlich in Frankreich einen Tabakladen – und sah schwarz. Statt der in Deutschland normalen, kruden Mischung aus schrillem Markendesign, Schockbildern und Warnhinweisen auf den Zigarettenschachteln sah die Auslage schön ruhig und angenehm aufgeräumt aus. Dann begriff ich, dass die Logos von den Packungen verschwunden waren. Stattdessen waren alle Schachteln einheitlich schwarz mit einem Hauch Knallgelb gestaltet und dazu noch exakt gleich typografiert (die Bildchen gab es immer noch). »Eigentlich ganz geil!«, dachte ich.
HIRN. »Plain Packaging« heißt, was seit 2017 in Frankreich und Großbritannien Pflicht ist. Vorreiter war bereits 2012 Australien, in den kommenden Jahren werden weitere Länder folgen (Deutschland ist aber erst mal nicht dabei). Die Maßnahme wird von allen Gesundheitsorganisationen unterstützt.
Der Gedanke dahinter ist, dass vor allem junge Einsteiger (75 Prozent der deutschen Raucher beginnen damit schon vor ihrem 18. Geburtstag) in ihren Peergroups auch auf das Image ihrer Zigarettenmarke achten. Wenn es jedoch kein verführerisches Markenerscheinungsbild mehr gibt, fällt vielleicht auch einer der Einstiegsimpulse weg.
Ich habe mir über den Effekt dieser Idee den Kopf zerbrochen, stundenlang mit Freunden diskutiert – und bin zu keinem Ergebnis gekommen. Der Beweis, dass die neutrale Packung hilft, steht selbst in Australien noch aus – was nicht heißt, dass es den Versuch nicht wert wäre. Bewiesen scheint hingegen, dass der Konsum gefälschter Schmuggelware wieder steigt, weil das Fälschen der einheitlichen Verpackungen einfach ist.
HAND. 65 Prozent der Fläche einer europäischen Zigarettenschachtel, so sieht es die EU-Richtlinie 2014/40/EU vor, muss mit Warnhinweisen bedruckt sein: mit Schockbildern und -sprüchen sowie dem knallgelben Infostreifen zur Suchtberatung. Die übrigen 35 Prozent gehören der Markengestaltung – sofern der Staat nicht Plain Packaging vorschreibt. Dann nämlich wird auch diese Fläche durch eine dunkle, olivgraue Farbe (Pantone 448C) ersetzt, und auf dem Sockel der Zigarettenschachtel steht dezent zentriert der Markenname in Helvetica.
»Plain Packaging folgt dem Designtrend maximaler Reduktion, wie ihn fast alle Luxusmarken eingeschlagen haben«
Die Farbkombination aus Schwarz, Olivgrau und Knallgelb ist geschmackvoll, die Gestaltung auf das Wesentliche reduziert. Im Prinzip sieht es so aus, wie gute Gestaltung ein über Jahre gewachsenes Gestaltungschaos elegant beruhigen würde. Und so folgt Plain Packaging dem aktuellen Designtrend maximaler Reduktion, wie ihn ausgerechnet nahezu alle Luxusmarken eingeschlagen haben – eine bizarre Umkehrung des beabsichtigten Effekts.
HERZ. Tief im letzten Jahrtausend waren Zigarettenschachteln noch Designikonen und ihre Gestalter Stars. Packaging auf Zigarette war eine überaus gut bezahlte Königsdisziplin. Ich kenne Designer, die hier mit größter Akribie feingliedrige Kunstwerke schufen. Wie gesagt: letztes Jahrtausend. Dann wurden die Schachteln von Jahr zu Jahr hässlicher – und haben es ja auch nicht anders verdient, aber ein bisschen schade war es schon.
Plain Packaging gibt mir nun etwas von dieser verruchten Lässigkeit zurück, mit der ich vor über dreißig Jahren mit dem Rauchen begonnen habe. Die Schachtel als cooler Code für Outsider auf dem Höhepunkt eines Gestaltungstrends: Ein bisschen schäme ich mich für diesen Gedanken.
PS: Im Juli dieses Jahres hat die Welthandelsorganisation in einem Grundsatzurteil den Schutz der Gesundheit über die Markengestaltung gestellt und damit Plain Packaging gesetzlich legitimiert. Nicht ausgeschlossen also, dass bald auch die Verpackungen von Alkohol, Süßwaren oder Junkfood neutral gestaltet werden müssen. Vielleicht sieht die Dose Hansa Pils oder die Tüte Chipsfrisch ja bald so aus wie ein Etui von Balenciaga oder eine Schatulle von Saint Laurent. Das wird lustig.
Zur Kolumne: »Hirn« meint die nüchterne, rationale Betrachtung. »Hand« untersucht die handwerkliche Qualität. »Herz« steht für den emotionalen, persönlichen Eindruck. Hier geht’s zu den anderen Beiträgen aus der Kolumne »Erlers Designkritik«.
Johannes Erler ist Partner des Designbüros EST ErlerSkibbeTönsmann in Hamburg, Mitglied im Art Directors Club Deutschland, Juror in zahlreichen Designjurys, Autor von Büchern über Design und Moderator der Designkonferenz TYPO Berlin | © Foto: Robert Grischek