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Ideen klauen, ja bitte!

Jürgen Siebert über die Kunst des Imitierens.

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© Norman Posselt

Immer wieder hört man, wie wich­tig Kreativität und Erfindungsgeist sei­en. Etwas Neuartiges zu schaf­fen gilt als das oberste Gebot im Design. Was einst einigen wenigen Künst­lern vorbehalten war, ist zum Erfolgsmodell der Creative Industries geworden, ja, zu einem sozialen Imperativ. Selbst Kin­der im Grundschulalter hänseln an­dere mit dem Etikett »Nachmacher«.

Dabei basiert unsere geistige Entwicklung (und die Evolution) auf dem Prinzip des Nachahmens. Das Imitieren ist essenziell für das Erlernen neuer Verhaltensweisen. Ohne Vorbilder würden wir die meisten Fertigkeiten nie lernen. Niemand weiß das besser als das Handwerk. Warum sollte dieses Prinzip plötzlich nicht mehr gelten? Wie kommt es zur Glorifizierung der Kreativität?

Verabschieden wir uns zunächst von dem Vorurteil, dass Kopieren oder Nachahmen ein Zeichen von Schwä­che ist.

Immerhin gibt es im Wirtschaftsleben auch die Devise »Wa­rum das Rad ein zweites Mal erfinden?«. Steve Jobs, Gründer eines durchaus als innovativ geschätzten Unternehmens, zitierte ger­ne Pablo Picasso, der gesagt haben soll: »Gute Künstler kopieren, großar­tige Künstler stehlen.« Das Wort »steh­len« wird in diesem Zusammenhang gerne im Sinne einer Straftat verstanden, gemeint ist aber »sich etwas zu eigen machen«.

Die Kunst des Imitierens besteht näm­lich darin, eine Idee aufzugreifen und diese mit dem eigenen Stilgefühl weiterzuentwickeln. Voraussetzung ist hier­für die Gabe der Beobachtung und des Zuhörens, also sich mit einer bestehenden (Geschäfts-)Idee intensiv auseinanderzusetzen. Man sollte seinen Wettbewerber erst mal verstehen, bevor man gegen ihn antritt. Wer dabei auch noch den Nutzer im Auge hat, ist auf dem besten Weg, eine neue Idee in die Welt zu setzen.

Erik Spiekermann macht kein Geheimnis aus seiner Methode, ein neu­es Alphabet zu entwickeln: »Wenn ich ei­ne Schrift in einem bestimmten Stil ent­werfen möchte, dann schaue ich mir eine gute Vorlage – sagen wir mal Garamond – sehr lange an und zeichne das Gesehene aus dem Gedächtnis neu.« Auf diese Art entsteht Spiekermanns ureigene Garamond.

Die physiologische Erklärung für diesen schöpferischen Prozess liegt in der Verlagerung von der rechten in die linke Gehirnhälfte. Wer etwas direkt nachzeichnet, bedient sich hauptsäch­lich der rationalen und logischen Impulse der linken Hemisphäre. Hier sind die Konzepte gespeichert, um Linien, Kurven, Zahlen und auch Buchstaben­konturen zu verknüpfen. Zeichnet man dagegen aus dem Kopf, wird immer wieder die rechte Gehirnhälfte adressiert, die neue Formen, Muster und Assoziationen beisteuert.

Woher kommt nun aber unser gesteigerter Zwang zur Originalität? Wir haben es uns selbst eingebrockt – begleitet von Kreativ-Rankings, Patent­ex­zessen, Copyright-Kanzleien, Plagiat-Preisen und ähnlichen Ritualen. Wir sind beeindruckt von Menschen, die vor frischen Ideen nur so sprühen. Vie­le Unternehmen holen sich Kreativ-Coaches ins Haus, um ihre Mitarbeiter zu schulen.

Vielleicht sollte das Streben nach Originalität bereits an den Hochschulen gebremst werden. Ein Professor berichtete mir, dass er von Erstsemestern auf die Frage, welches ihre Vorbilder seien, die Antwort enthielt: »Ich habe keine Vorbilder. Ich bin einfach ich selbst.« Aber kann man sich tatsächlich in einer freien Welt dem Einfluss anderer entziehen? Garantiert nicht. Einander zu imitieren hat etwas Soziales, einen verbindenden Effekt. Es ist einfach schön, Geschmack, Leidenschaft und Talent zu teilen. Da­gegen gibt es wohl kaum langweili­gere Gesprächspartner als »mit sich selbst zufriedene Menschen«. Oder je­ne, die von sich glauben, genia­le Er­fin­der zu sein.

»Es ist gleichgültig, wo du etwas herholst, entscheidend ist, wo du es hinbringst.«

Es ist eine Illusion zu meinen, dass man etwas schaffen könne, was nicht von den Werken anderer beeinflusst ist. Tatsächlich geben die Menschen mit den besten Ideen diese gerne weiter. US-Komödiant und Autor Louis C.K. erwiderte dem »Hollywood Re­por­ter« auf die Frage, was er davon halte, dass sämtliche Comedians seine Scherze kopieren: »Das ist mir völlig egal, dann schreib ich eben neue.« Eine gesunde Ein­stellung. Wahre Kreative wissen nämlich, dass die nächste Idee immer besser ist als die vorherige. Am Ende zählt die Fantasie, nicht das Wissen. Oder wie der Filmemacher Jean-Luc Godard sag­te: »Es ist gleichgültig, wo du etwas herholst, entscheidend ist, wo du es hinbringst.«

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