Im November wurde »postfaktisch« (post-truth) von den Oxford Dictionaries zum Wort des Jahres erkoren. Eine bittere Enttäuschung für alle, die sich dem Ideal der Aufklärung verpflichtet fühlen, wonach im demokratischen Diskurs nur eins zählt: Fakten, Fakten, Fakten. Im postfaktischen Diskurs dagegen wird gelogen, abgelenkt, verwässert, Tatsachen haben keine Relevanz fürs Zielpublikum (»Lügenpresse«). Entscheidend für die Angesprochenen ist, ob die Erklärungsmodelle in ihre Gefühlswelt passen.
Bis zur Brexit-Entscheidung dachte ich, wie vermutlich viele, Fakten zu ignorieren sei eine harmlose Marotte einiger Irrer . . . nicht meine Welt. Seit Trump ist es unsere Welt: »›Postfaktisch‹ hat sich von einem peripheren Begriff zu einem wichtigen Bestandteil in politischen Kommentaren entwickelt«, hieß es in der Begründung der Oxford Dictionaries.
Denkt man an die falschen Prognosen zu Brexit und Trump, scheint selbst die Mathematik den Fakten nicht mehr zu folgen. Und das in Zeiten von Big Data. Aber nicht nur die Meinungsforschung ist kopflos. Richtig erwischt hat es die Medienwelt. Die vierte Macht im Staat hat in nur zwölf Monaten ihre Deutungshoheit verloren.
Facebook, Twitter, WordPress und YouTube haben die klassischen Medien vom Thron gestoßen. Diese haben das Netz jahrelang unterschätzt und den Teich, in dem sie schwimmen, mit billigen SEO-Methoden vergiftet. Anstatt die Möglichkeiten der digitalen Technik für einen neuen Journalismus zu nutzen, haben sie ihre alten analogen Geschäftsmodelle mittels Clickbaiting quersubventioniert.
Genau diese Strategie haben nun Blogpartisanen in Osteuropa kopiert. Der »Guardian« hat das Dorf Veles in Mazedonien als Brutstätte erfundener Nachrichten ausgemacht. In der Annahme, dass der 18 Monate dauernde US-Wahlkampf im Netz auf weltweites Interesse stößt, wurden dort von einigen Bloggern rund 150 englischsprachige News-Sites aufgesetzt, die alle dasselbe Ziel hatten: mit schmissigen Schlagzeilen amerikanische Facebook-Nutzer anlocken.
So hieß es etwa auf All News About Politics: »Papst Franziskus verbietet den Katholiken, Hillary zu wählen«, Daily Wire titelte die frei erfundene Meldung: »Clinton: Trumps Tod wäre gut für die Wirtschaft«. Solche Fake News verbreiteten sich rasend schnell und trieben die Besucherzahlen der Quellen in die Hundertausende. Die auf den Seiten eingespielten Anzeigen warfen schon nach wenigen Wochen Anlaufzeit satte Werbeeinnahmen ab.
Buzzfeed News hat nach Trumps Sieg die soziale Interaktion (Engagement) für die zwanzig populärsten Election-Storys untersucht und festgestellt, dass im Wahlmonat November das Interesse für die Fake News erstmals das für die echten überstieg: um rund 20 Prozent. Allen voran die vom Political Insider erfundene Geschichte, dass Hillary Clinton Waffen an den IS verkauft habe.
Erst die US-Wahl hat das Silicon Valley wachgerüttelt. Doch Brexit und Trump lassen sich nicht einfach so wegfiltern.
Inzwischen sind Google und Facebook alarmiert und wollen den Nachrichtenfälschern den Geldhahn zudrehen. Seiten, die unwahre Inhalte verbreiten, fliegen aus den Werbeplattformen. Diese Erkenntnis kommt sehr spät. Erst die US-Wahl hat das Silicon Valley wachgerüttelt. Doch Brexit und Trump lassen sich nicht einfach so wegfiltern. Und auch die Verbreiter von Unwahrheiten verschwinden nicht vom Erdboden, indem man sie aus dem Werbenetz kickt.
Die Aufgeklärten unter uns müssen wieder lernen, erfundene von seriösen Nachrichten zu unterscheiden. Fake News werden bewusst als Waffe eingesetzt. Bekanntlich reagieren wir Deutsche schnell emotional, sobald Tiere gequält und Steuergelder verschwendet werden. Und genau mit diesen Themen schalten Betrüger unseren Verstand gerne aus und das Herz ein. Früher haben wir den Bauernfängern die Haustür geöffnet oder wurden durchs Telefon über den Tisch gezogen, heute klicken wir »Gefällt mir« oder teilen ungeprüft Falschmeldungen mit Freunden.
In der analogen Welt waren wir am Ende mit dem (finanziellen) Schaden alleine. In der digitalen Welt beteiligen wir uns per Mausklick an einem Großbetrug. Wie verlieren zwar kein Geld, aber Vertrauen. Und am Ende haben wir ein System mitgetragen, in dem Rattenfänger an die Macht kommen. Nur weil wir der »gefühlten Wahrheit« gefolgt sind. Nichts gegen Bauchgefühle . . . doch den Verstand können sie nicht ersetzen.