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Fake News aussieben

Lügen lassen sich schneller in die Welt setzen, aber auch schneller erkennen als je zuvor, meint unser Kolumnist Jürgen Siebert.

© Foto: Norman Posselt

Ende April widmete sich das Magazin TeenVogue.com dem Thema »Gun Control«. Auf dem animierten Cover der Sonderaus­gabe zum »March For Our Lives« sieht man Emma Gonzáles, eine der Überlebenden des Parkland-Amoklaufs und aktuell eine der populärsten Stimmen in der US-Jugend, wie sie eine Papierziel­scheibe zer­reißt. Hashtag: #neveragain.

Wenige Stunden später hatten Unbekannte das Video so bearbeitet, dass es aussah, als würde Emma Gonzáles dort die Präambel der US-Verfassung zerrup­fen. Anhänger der Alt-Right-Be­we­gung posteten die Fälschung auf Twitter, um Stimmung gegen US-Medien zu machen. Erst Stunden später stellten sie klar, dass es sich um »Satire« handle. Doch da kochten bereits Hunderte rechter Kanäle und Waffenlobbyisten ihr Giftsüppchen aus dem manipulierten Video, das sich wie ein Lauffeuer im Netz verbreitete.

Fake News, alternative Fakten, Lügenpresse: Nicht ohne Grund hat der Duden diese Begriffe aufgenommen. Wenn die sozialen Netzwerke millionenfach Verschwö­rungstheorien teilen, wenn selbst in der Politik mit der Wahrheit spekuliert wird, stellt sich doch die Frage: Wem kann ich über­haupt noch glauben? Bitte jetzt nicht voreilig »Keinem!« antworten. Rea­li­täts­apathie scheint die neue Volkskrankheit in westlichen Demokratien zu sein. Aber es gibt keinen Grund dafür: Fälschungen werden bald schneller erkannt werden als je zuvor in der Geschichte der Kommunikation.

Die Menschen belügen sich, seit sie miteinander reden. Wem konnte man in biblischen Zeiten glauben? Eine Fra­ge des Vertrauens und der Vernetzung (heute nennt man das Fakten­check). Spä­ter glaubte man vor allem jenen, die das Monopol des Publizierens und den Zugang zur dafür notwendigen Technik hatten. Mit der Demokratisie­rung der Produktionsmittel im 20. Jahrhundert – Druck, Fotografie, Radio, Tonaufzeichnung und Video – nahmen auch die Fälschungen im Dienste der Propaganda zu. Legendär sind die Bild­manipulationen kommunistischer Po­tentaten, die Widersacher oder in Un­gnade gefallene Personen aus Fotos wegretuschierten. Heute kann jeder, der einen Computer besitzt, solche Manipulationen in die Welt setzen.

Vor anderthalb Jahren wurde uns erstmals klar, wie das Netz das Geschäft mit der Wahrheit und Lüge verändert. Russlands Bemühungen, die Wahl des US-Präsidenten zu beeinflussen, sind immer noch nicht komplett aufgeklärt. Sicher ist bisher nur, dass die Trollfabrik Internet Research Agen­cy in Sankt Petersburg rund 4000 gefakte Accounts auf Twitter betrieb, deren Propaganda-Tweets mindestens 1,4 Millionen US-Wähler erreichten. Gewiss eine ausreichende Menge, um das Zün­glein an der Waage einer Prä­sident­schafts­wahl zu spielen.

Adobe präsentierte 2016 eine Art Pho­toshop für Sprache, die Voicesoftware VoCo. Schon 20 Minuten Sprach­ma­terial sollen ausreichen, um Charakteristika einer menschlichen Stimme zu analysieren und zu synthetisieren. Über eine simple Texteingabebox kann der User dann die fremde Stimme alles sagen lassen, was er ihr in den Mund legt. Für Donald Trump kam die Ankündigung von VoCo ein paar Wochen zu spät. Während er im Oktober 2016 noch zugeben musste, dass die »Grab ’em by the pussy«-Tonaufzeichnung am Rande einer TV-Show wohl echt sei, streitet er die Urheberschaft inzwischen wieder ab. »Wir glau­ben nicht, dass das meine Stimme ist«, zitiert ihn der »Spiegel«.

Auch die bislang vermeintlich sicherste Nachrichtenform, das Bewegt­bild, lässt sich heute spielend einfach fälschen, wie das Bei­spiel Emma Gonzáles zeigt. Face-Swap-Programme wie FakeApp erlauben es jedem, mit ein bisschen Geduld Gesichter in Videos auszutauschen. Hobbydesigner nut­zen die Tools, um sich selbst, ihre Freun­de oder Partner in Szenen von Musikvideos oder Spielfilmen einzumontieren. Wieder eine Manipulationstechnik demokratisiert.
Aber: Die digitale Welt ist anders.

Computer, die fälschen, können auch Fälschungen entlarven.

Niemand weiß das besser als die Opfer von VroniPlag. Soweit bekannt und im VroniPlag Wiki dokumentiert, wurde bereits 67 Personen durch die kollaborative Plagiatrecherche der Doktorgrad aberkannt. Crowd- und KI-gesteuerte forensische Verfahren werden schon bald manipulierte Videos und Fotos sicher identifizieren. Browser-Plug-ins können uns dann helfen, Dichtung und Wahrheit zu unterscheiden. Schöne (wahre!) neue Welt!

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