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Es lohnt sich, Klischees aufzubrechen

Alle vier Wochen finden in Hamburg die Creative Mornings statt. Das April-Motto war »beyond« und zu Gast die Journalistin Birgit Müller, Chefredakteurin von Hamburgs Straßenmagazin »Hinz&Kunzt«. Johannes Erler fasst zusammen.

Foto: Mitja Schneehage

beyond (bi’ɒnd), das englische Wort für »darüber hinaus«, »jenseits von«

Obdachlose lungern auf Platte rum, besoffen, dreckig, asozial – und bleiben das auch. Einmal Penner, immer Penner. Was natürlich Quatsch ist. Doch aus dieser Sackgasse an Vorurteilen und Erwartungshaltung herauszufinden ist schwer.

Hamburgs Straßen­ma­ga­zin »Hinz&Kunzt« ist kein Magazin über Obdachlose. Es wird aber von diesen auf den Straßen der Stadt verkauft, greift häufig das Problem der Obdach­losigkeit auf und hat sich vor mehr als 20 Jahren über die­ses Thema etabliert. Deshalb ist »Hinz&Kunzt« jetzt eben die Pennerzeitung. Aber das ist genauso Quatsch, sagt Chefredakteurin Birgit Müller, die mit einer professionel­len Redaktion eine Zeit­schrift über soziale Anliegen und Kultur macht. Nur ist auch dieses Klischee schwer aufzubrechen.

Irgendwann steckt man zu tief drin. Penner bleibt Penner, und Pennerzeitung bleibt Pennerzeitung, weil Hund ja auch Hund bleibt. Geht ja gar nicht anders. Und geht schon ganz früh los.

Der Clown, der Streber, der Weiberheld. Das sind so Prototypen aus der Schule, die wir alle noch kennen. Und begegnet man sich Jahre danach beim Klassentreffen, ist erst mal alles wie früher. Später stoßen wir dann auf den Ehrgei­zi­gen, den Träumer, den Spießer und hundert an­dere Typen mit Stempel auf der Stirn – weil alles andere bedrohlich wäre. Wir brauchen diese Schubladen wohl, um uns sicher zu fühlen, denn Vertrauen wächst aus Berechenbarkeit. Dabei nervt es, festgelegt zu sein. Zum Beispiel in unserem Beruf.

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Einmal Designer, immer Designer. Es ist schon schräg: Erst basteln wir jahrelang an unseren Karrieren, erarbeiten uns einen Ruf, schuften, um ernst genommen zu werden, und irgendwann sind wir dann Spezialisten. Spezialist für Editorial Design. Spezialist für Packaging. Spezialist fürs Ernsthafte oder Witzige oder fürs Akkurate. Aber dann kommt der Moment, an dem wir mehr sein oder uns verändern wollen. An dem wir Talente, die wir bisher zurückgehalten haben, weil sie unser Spezialistentum unscharf gezeich­net hätten, endlich allen zeigen möchten. An dem wir planen, Grenzen zu sprengen und beyond zu gehen – aber nur wenige nehmen uns das ab oder lassen es zu. Schuster, bleib bei deinem Leisten!

»Es lohnt sich, noch mal aufzubrechen. Man darf nur nicht darauf warten, dass andere einen tragen«

Auf der TYPO Berlin 2017, bei der es unter dem Motto »Wanderlust« um ein solches Umdenken ging, sprach der in den Niederlanden lebende tsche­­chische Designer Peter Bil’ak über solche Grenzgänge. Es war ein Plädoyer für das Generalis­ten­tum, optisch untermalt von fantastischen Beispielen aus vielen kulturellen Berei­chen weit jenseits des reinen Grafikdesigns, und so mancher Zuhörer im Saal schnaufte sehnsuchtsvoll. Man müsste mal, man könnte doch . . . wenn man nur dürfte.

Auf die Frage, wie er zu diesen traumhaften Aufträgen gelange, sagte Bil’ak, dass er zunächst selbst Vorschläge machen musste. Er sei genauso festgelegt gewesen und von allein kam niemand. Es lohnt sich also immer, noch mal aufzubrechen, man darf nur nicht darauf warten, dass andere einen tragen. Es bleibt mühsam. Leider. Oder zum Glück. Denn vielleicht hat das Ganze ja auch System.

Birgit Müller und ihr Team von »Hinz&Kunzt« jedenfalls, die von Monat zu Monat immer wieder gegen Klischees ankämpfen müssen, haben – wahrscheinlich genau weil sie ständig Gegenwind spüren – Großartiges geschaffen. Sie haben mit einer monatlich verkauften Auflage von 60 000 Stück »Hinz&Kunzt« nicht nur in Hamburg etabliert, sondern auch zu einer unverzich­t­baren Stimme in der Stadt gemacht. Und sie haben das Bild vom Penner verändert.

»Man muss den Obdachlosen seiner Uniformität entkleiden und so zeigen, wie er wirklich ist. Den Menschen dahinter«, sagt Birgit Müller. So einfach ist es. Und so schwer zugleich.

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Johannes Erler ist Partner des Designbüros ErlerSkibbeTönsmann, das die Creative Mornings im Hamburger designxport veranstaltet, und Mitbegründer des Designkollektivs Süpergrüp. Zu den anderen Beiträgen aus »Erlers Thema« geht es hier.

Foto: Robert Grischek

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