Jürgen Siebert über missverständliche Schriftzeichen.
Mit Interesse verfolge ich die Verbildlichung geschriebener Kommunikation durch Emojis. Der Unterschied zum Schreiben in Reinform ist gravierend. Bilder transportieren fix fertige Botschaften: Daumen hoch steht für »Prima«, ein rotes Herz für »Liebe«, eine Rakete für Tempo.
Symbole können direkt verständlich sein, oft aber sind sie eher missverständlich. Während es beim amtlichen Emoji No. 1 namens »Grinning Face« (lächelndes Gesicht) keinen Dissens geben dürfte, ist das bei No. 283 anders. Es heißt »Dancer« und zeigt eine Art Flamencotänzerin. Männliche Tänzer fühlen sich durch das Zeichen nicht repräsentiert. Daher wird im Sommer der männliche Tänzer eingeführt, im Stile eines John Travolta aus »Saturday Night Fever«. Ist das repräsentativ? Könnte ich damit eine Dame zum Walzer auffordern? Natürlich nicht, denn zum Walzer bittet man immer noch mit dem gesprochenen Wort.
Zum Glück gibt es eine internationale Vereinigung, das Unicode Consortium, das sämtliche Schriftzeichen der Menschheit sortiert, katalogisiert und in einen Standard packt. Es sorgt dafür, dass wir Schriftzeichen auf Tastendruck abrufen können, mittlerweile auch Emojis. Natürlich ahnten die Schriftwächter, auf was sie sich vor fünf Jahren einließen. Wie viele Emojis sollen es denn werden? 1000, 10 000? Aus dem Straßenverkehr wissen wir, dass Kommunikation mit einer überschaubaren Menge an Zeichen möglich ist. Aber all jene Dinge, die Menschen in den sozialen Medien beschäftigen – Haustiere, Essen, Kleidung, Musik, Kultur –, haben unendliche Facetten.
Mit der Katalogisierung der wachsenden Bildsprache muss Unicode von Release zu Release entscheiden, welche Zeichen hinzukommen (rund 100 bis 200 jährlich) und welche verändert werden müssen, weil sie in einzelnen Kulturkreisen nicht funktionieren. Eine erste Überarbeitung gab es vor zwei Jahren, als Hautfarben eingeführt wurden. Wann immer eine menschliche Figur oder ein Körperteil zu sehen ist, müssen diese in sechs Hauttönen angeboten werden. Selbst die Flamencotänzerin gibt es nun mit verschiedenen Haar- und Hauttönen.
Was die Political Correctness betrifft, muss sich das Konsortium also nichts vorwerfen lassen. Doch genau diese sorgt nun für den ersten politischen Streit. Mitte Februar forderte das indonesische Informationsministerium, Emojis mit angeblich homosexueller Konnotation aus den Messengern und Smartphones seiner Bürger zu entfernen. »Soziale Medien müssen die Kultur der Länder respektieren, in denen sie eine große Zahl von Nutzern haben«, zitierte »Der Spiegel« den Sprecher des Informationsministers. WhatsApp– und LINE-Anwender hätten sich über die bunten Bilder mit homosexuellen Motiven beschwert. LINE habe die betreffenden Emojis daraufhin gelöscht, denn mit 30 Millionen Usern ist Indonesien für das Netz, nach Japan, der zweitgrößte Markt. WhatsApp wird wohl bald folgen.
Emojis sind genauso »unschuldig« wie Buchstaben, und sie werden es auch bleiben, weil sie so allgemein wie möglich funktionieren müssen.
Dabei ist die Deutung der harmlosen Bildchen alles andere als eindeutig: Zwei Männer, ein Junge, ein Mädchen … Opa, Vater, Kinder, Enkel … alles ist möglich. Die Interpretation liegt im Auge des Betrachters. Gepaart mit der Fantasie von Zensoren, entsteht da ganz schnell etwas vermeintlich Anstößiges. Müssten die Sittenwächter gemäß ihrer Logik nicht alle Schriftzeichen verbieten, mit denen man »lesbisch« oder »schwul« schreiben kann? Emojis sind genauso »unschuldig« wie Buchstaben, und sie werden es auch bleiben, weil sie – ähnlich Verkehrsschildern – so allgemein wie möglich funktionieren müssen, damit ihr Vorrat überschaubar bleibt. Freuen wir uns einfach auf die nächste Sprachverwirrung. Sie wird kommen. Garantiert.