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»Der kreative Nachwuchs ist verwirrt und versteht die Designwelt nicht mehr«

Der ADC hat mit Prof. Richard Jung in diesem Jahr einen Jury-Chairman berufen, der in der Lehre tätig ist. Er setzt sich für eine klarere Systematik im Kreativmarkt ein, um mehr Durchblick bei Tätigkeitsfeldern zu schaffen.

Beim diesjährigen ADC Wettbewerb wird Prof. Richard Jung von der Hochschule Niederrhein in Krefeld als Chairman die Jury repräsentieren und bei den Sitzungen vermitteln. Er möchte die Chance auch nutzen, um auf das Tohuwabohu an Buzzwords, kreativen Jobprofilen und Leistungsportfolios von Agenturen hinzuweisen, das den Kreativnachwuchs – und die Auftraggeber – zunehmend verwirrt.

PAGE: Jean-Rémy von Matt, Lo Breier, Hartmut Esslinger, Erik Spiekermann: Zu deinen Vorgängern als Jury-Chairman beim ADC Wettbewerb gehören überwiegend Agenturgründer und Leute, die aus der Praxis kommen, nicht aus der Lehre. Wieso ist das dieses Jahr anders?
Richard Jung: Ich komme auch aus der Praxis, fokussiere mich aber seit über zehn Jahren auf Forschung und Lehre, weil mir das schon immer sehr wichtig war. Entsprechend habe ich mich in diesem Bereich engagiert – und das ist beim ADC nicht unbemerkt geblieben. Nachdem wir Werber, Editorial Designer, Produktdesigner und Schriftgestalter als Jury-Chairmen hatten, kommt nun ein Vertreter aus Forschung und Lehre.

Worauf willst du als Chairman besonderen Wert legen?
Die Rolle eines Chairmans ist ein bisschen wie die des Bundespräsidenten: Er hat repräsentative und vermittelnde Aufgaben. Er ist unparteiisch, hat aber einen gewissen Einfluss- und Gestaltungsspielraum, in dem er als neutrale Kraft – mit Abstand zum Tagesgeschäft – seine Meinung äußert.

Vor lauter Optionen, Innovationen, Trends, Buzzwords und Jobtiteln gibt es keinen Durchblick mehr.

Wozu möchtest du deine Meinung äußern?
Die Kommunikationsbranche ist von der exponentiell ansteigenden Medienvielfalt überrollt worden. Das ging so schnell, dass bisher niemand die Zeit hatte, Systematik in den Markt zu bringen. Vor lauter Optionen, Innovationen, Trends, Buzzwords und Jobtiteln gibt es keinen Durchblick mehr. Damit nehmen wir Außenstehenden – vor allem jungen Menschen – die Möglichkeit zu verstehen, was unsere Branche im sozialen und wirtschaftlichen Gefüge leistet. Der kreative Nachwuchs ist verwirrt und versteht die Designwelt nicht mehr. Die Folge: Zunehmend weniger wählen kreative Studiengänge, obwohl es immer mehr kreative Berufe gibt.

Was schlägst du vor?
Die Jurykategorien – nicht nur die des ADC-Wettbewerbs – spiegeln das Durcheinander der Branche wider. Den Wettbewerb dafür zu nutzen, eine nachvollziehbare Systematik zu schaffen und Begriffe zu definieren, wäre ein Anfang.

Die Agenturen sind ja selbst mit schuld an dem Chaos: Sie erfinden immer neue Nischen und Berufsbezeichnungen, um sich von ihren Wettbewerbern zu differenzieren. Von dieser Seite wird es voraussichtlich eher weniger Unterstützung für dein Vorhaben geben …
Es ist kein Vorhaben, sondern nicht mehr und nicht weniger als ein Hinweis, ein Anreiz zum Nachdenken. Begriffe helfen, zu begreifen. Selbstverständlich sind Begriffe auch Marketingtools, aber ist es wirklich ratsam, aus Eigennutz ständig neue, oft redundante Bezeichnungen in die Manege zu werfen? Denn nicht nur der Nachwuchs, sondern auch Auftraggeber verlieren die Orientierung. Hyperinflation, auch eine der Begrifflichkeiten, ist schlecht fürs Geschäft.

Ist es wirklich ratsam, aus Eigennutz ständig neue, oft redundante Bezeichnungen in die Manege zu werfen?

Und an der Hochschule ist die Welt noch in Ordnung?
Nein, an den Hochschulen existiert das Chaos genauso: Es gibt Studiengänge neben Ausbildungen, die sich Grafikdesign, Kommunikationsdesign, Mediendesign, visuelle Kommunikation nennen – und alle Begriffe meinen irgendwie das Gleiche.
Hinzu kommt die Trennung zwischen Design und Werbung, die bei Dozenten, Studenten, aber auch über die Hochschulen hinaus weit verbreitet ist: Werbung steht für Kommerz – im Gegensatz zum hehren Design, das sich um das Wahre, Schöne und Gute kümmert. Das ist natürlich Unsinn. Auch Werber sollten wahr, schön und gut gestalten – und auch diejenigen, die sich Designer nennen, müssen Geld verdienen. Ich habe nie begriffen, warum kreative Werber keine Designer sein sollen.

Was ist der gemeinsame Nenner?
Wir gestalten – inhaltlich und formal – öffentliche Kommunikation. Demnach sind wir Kommunikationsdesigner.  Doch obwohl dieser Begriff am besten beschreibt, was wir eigentlich tun, existiert er praktisch nur in den Hochschulen. Und auch dort nur als einer unter anderen.
Kommunikationsdesign ist eine Branche der Designwirtschaft, andere Branchen sind zum Beispiel Produkt- oder Modedesign. Kommunikationsdesign teilt sich wiederum auf in unterschiedliche Anwendungsbereiche, wie etwa Editorial Design, Textdesign, Fotografie, Film, Illustration, Interfacedesign, Dialogkommunikation, Kommunikation im Raum, Werbung und jede dieser Kategorien ließe sich weiter in Unterkategorien abstufen. Wie gesagt, darüber könnte man mal genauer nachdenken, um alte sowie neue Leistungen und Berufe unserer kreativen Branche nachvollziehbarer und damit – im wahrsten Sinne des Wortes – angesehener zu machen.

Gegen das Durcheinander an Jobprofilen gehen wir übrigens auch mit unserer Initiative Connect Creative Competence vor, bei der sich auch Richard Jung beteiligt hat und für Aufklärung beim Berufsfeld Motion Design gesorgt hat. Hier gibt es mehr Infos zu PAGE Connect.

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Zurück in die Werkstätten, Live- Vorlesungen und Workshops! In dem kostenlosen Booklet informieren (Fach-) Hochschulen, Akademien und Seminaranbieter über ihr aktuelles Programm zu Studiengängen, Aus- und Weiterbildungen in Design, Werbung und Medien vor.

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Was ist die Quelle dass Bewerber im kreativen Studiengängen zurück geht?

    Besten Gruß,
    Daria

  2. Lieber Richard,

    Deine Einschätzung und Anregung zur Benennung der Disziplinen und Studiengänge im Kommunikationsdesign kann ich nur unterstützen. Im Gespräch mit Interessenten für Studiengänge stelle ich zudem ein großes Bedürfnis der Leute nach Aufklärung fest – was ist mit den Begriffen eigentlich gemeint, was bedeutet das für den anstehenden Beruf, für was qualifiziert mich das konkret. Die Fragen stellen allerdings nur die, die sich per se schon für Design interessieren – den anderen ist die Hürde schon zu hoch.

    Beste Grüße

    Ralf Lobeck
    Prof. für Visuelle Kommunikation
    Studiendekan »Marken- und Kommunikationsdesign B.A.«
    AMD, Düsseldorf

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