Daten machen Krach
In seiner zweiten Kolumne zum Thema Design und Künstliche Intelligenz fragt sich Karel Golta, wie Designer KI-verarbeitete Daten nutzbar machen können.
Was für ein herrlich bizarres Bild: Shenzhen, die Tech-Mega-City im Dezember – und auf den Büro-Etagen und in den Konferenzräumen trifft man die Fleißigen und Strebsamen in dicken Winterjacken gehüllt. »Frostbüdel« würden Hamburger denken, oder hat das Reich der Mitte mittlerweile gar ein Energieproblem? Mitnichten. Die Antwort ist viel einfacher: Für die wenigen Wochen im Jahr, wo die Temperatur unter 18 Grad fällt, ist es effizienter die Mitarbeiter Jacken tragen zu lassen als Gebäude mit Heiztechnologie auszustatten.
Ganz anders sieht es mit der Ausstattung rund um das Thema Künstliche Intelligenz aus. Das Foto der KI-gesteuerten Smart-City Beobachtungs-Zentrale in Longgang, Shenzhen beeindruckt bestimmt nicht nur die NASA, sondern würde auch vortrefflich als Kulisse für einen Science-Fiction-Blockbuster dienen. Hier fließen die gigantischen Datenmengen zusammen, die in der ganzen Stadt gesammelt und mit Hilfe von KI verarbeitet werden.
Verarbeitet KI Datenflut nur in Datenkrach?
Und nein, ich stelle mir nicht die Frage, ob sie da im Winter auch dicke Mäntel tragen, sondern: Wie können die gut 30 Mitarbeiter die ganzen Säulen-, Torten- und Kurvendiagramme sowie weitere Informationsgrafiken, die auf dem enormen Display dargestellt werden, überhaupt mental erfassen und kontextuell verarbeiten? Wie sinnvoll ist es, aus unzähligen Datenströmen eine Vielzahl an Torten- und Balkendiagrammen oder Heatmaps zu machen? Selbst dem Sudoku erprobte Mitarbeiter dürfte es schwer fallen, aus dem links oben mittigen Diagramm die Abhängigkeit zur rechten Heatmap im Vergleich zum Balkendiagramm unten rechts außen herzustellen. Ganz im Ernst: Verarbeitet hier KI die Datenflut nur in Datenkrach?
Passen Design und Petabytes an Daten überhaupt zusammen?
Sollte es nicht gerade die Stärke von KI sein, aus Daten Werte zu schaffen, damit wir schneller, einfacher oder sinnvoller Entscheidungen treffen können? Oder ist es vielleicht nur eine Gestaltungsfrage? Ist der Zentralbildschirm einfach nicht nutzergerecht designt? Müssen Designer im Zeitalter von KI lernen bessere Grafiken zu gestalten? Passen Design und Petabytes an Daten überhaupt zusammen?
Designer machen Daten nutzbar
KI funktioniert nicht ohne Daten. Doch Daten haben keinen Wert, wenn sie nicht genutzt werden. Hier kommt das Design ins Spiel. Denn Designer gestalten Werte, indem sie etwas nutzbar machen – mehr und mehr mittels KI.
Der Arbeitsauftrag lautet somit: Gestalte Wert X (Output) für Zielgruppe Y (Nutzer meines Outputs), damit sie den Dateninput von Z (verarbeitet durch KI) nutzen können. KI ist dabei also die Enabling-Technology und ermöglicht Designern ein völlig neues Aktionsfeld und Marktchancen.
Ein gutes KI-Beispiel finden wir heute in der bildgebenden Krebs-Diagnostik. Die KI erkennt durch den Abgleich mit tausendfach gelernten Referenzdaten, ob und wo auf einem Bild Krebszellen sind. Der Onkologe validiert dies abschließend und zieht Schlüsse für die Therapie. Der Wert liegt dabei in der deutlich gesteigerten Diagnosesicherheit.
KI ist dabei also die Enabling-Technology und ermöglicht Designern ein völlig neues Aktionsfeld und Marktchancen
Und was kann der Designer dazu beitragen? Das US-amerikanische Startup Zensors hat eine künstlich intelligente Software entwickelt, mit der ich zeitliche Ereignisse, Objekte und vieles mehr innerhalb eines visuellen Aktionsbereiches aus Videodaten (sagen wir einer Live-Videokamera) aufs Einfachste auswerten kann. Damit kann man zum Beispiel ganz banal die Nutzung von Serviertabletts in der Kantine zählen, um dann automatisch neue nachzuliefern. Oder kontextuelle Informationen erheben, um den Besucherfluss in der Kantine zu optimieren, damit eine weitere Kasse besetzt wird. Und dies ganz einfach mit einem grafischen Interface und ohne Python-Kenntnis.
Jeden Tag kommen mehr und mehr solcher schwachen, künstlich intelligenten Softwaremodule auf den Markt. Wie heute mit Photoshop, Illustrator oder Sketch werden wir morgen mit diesen Modulen aus Daten super spannende und vor allem menschlich sinnvolle digitale Produkt- und Servicekompositionen entwickeln können. Da wir gerade am Anfang der digitalen Transformation stehen, sind der Fantasie kaum Grenzen gesetzt.
Vielleicht wird dann auch in Shenzhen aus Datenkrach Informationsmusik.
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