Unser Kolumnist Jürgen Siebert nimmt den Design-Thinking-Hype aufs Korn.
Im Sommer 2011 startete in Berlin die Nahverkehrs-App Touch&Travel, die Autofahrern wie mir einen roten Teppich zur U-Bahn entrollte. Sie erstellte ein Handy-Ticket, einen Code aus schwarzweißen Feldern auf dem Display: Vorbei der Ärger über komplizierte Fahrscheinautomaten und fehlendes Kleingeld. Einfach einsteigen und losfahren.
Tatsächlich war ein solcher Service längst überfällig. Trotzdem wunderte ich mich, dass ausgerechnet die Bahn das hingekriegt hatte: eine leicht zu bedienende App, eher selten aus Softwareschmieden von Großunternehmen. Zwar klemmte das System hier und da noch, aber die Basics funktionierten: einloggen, ausloggen, Rabatte berücksichtigen und am Monatsende die automatische Lastschrift.
Schon bald konnte man die Ticket-App deutschlandweit in allen Fernzügen nutzen. Im Dezember 2013 hatte Touch&Travel bereits 50 000 Kunden, zwei Jahre später 100 000. Vor einem Jahr teilte die Bahn mit, die App Ende November 2016 einzustellen. Trotz offensichtlicher Vorzüge hätten sich bundesweit zu wenige Kunden für das mobile Ticketing interessiert. Man habe die Funktionen in den DB Navigator integriert. Zurück auf Start.
Ich habe gar nicht erst versucht, ein U-Bahn-Ticket mit der amtlichen DB-App zu buchen. Wer schon einmal eine Zugfahrkarte im Internet bestellt hat, ahnt, was auf sie oder ihn zukommt. Es sind genau dieselben Gründe, warum ich den Anruf einer Telekom-Hotline meide oder Telefonnummern mit Google statt mit DasTelefonbuch.de suche. Ich erwarte keine kundenorientierte Lösung, sondern einen kafkaesken Datenbank-Spießrutenlauf, gespickt mit längst überholten Businessmodellen. Je länger ich klicke, umso genervter werde ich.
Warum gelingt es großen Unternehmen so selten, nutzerfreundliche Apps zu entwickeln? Die Antwort: Ihre Prozesse erlauben es nicht. Sie fahren auf dem »Wir sind verlässlich und berechenbar«-Gleis, was angesichts von Millionen Kunden nur verständlich ist. Aber: Warum nicht mal eine Weiche zu einer Nebenstrecke einbauen und experimentieren? Große Dienstleister mögen keinen Wandel, vor allem keine Disruptionen. Frei nach Thomas de Maizière: »Einen Teil unserer Kunden könnte das verunsichern.« Chaos oder Scheitern sind keine Optionen.
Design Thinking ist keine Designmethode, sondern eine Therapie.
Manche Unternehmen implantieren sich einen Start-up-Pilz und glauben, der würde in ihrer Kultur gedeihen. Prinzipiell sind solche Labs, Inkubatoren oder Coworking Spaces eine gute Idee. Auch Touch&Travel ist womöglich einst so entstanden. Doch um ein solches Baby aufzuziehen und das Laufen zu lehren, bedarf es Mut, Empathie und Fantasie. Wenn es stürzt, muss man es wieder aufrichten.
Das Zauberwort, um dieser Starre zu entkommen, heißt derzeit Design Thinking. Aber Vorsicht: Design Thinking ist eine Therapie, keine Designmethode. Die Zielgruppe dafür sind nicht die internen Designer oder das Marketingteam, sondern die Manager und Teamleiter. Sie sollen lernen, lockerzulassen, mit LEGO und Post-its eingefahrene Gleise aufzugeben und vor allem das Scheitern als eine Stufe zum Erfolg zu betrachten.
Design Thinking baut auf Motivation und den Wunsch, die Welt um sich herum zu verändern. Dieses Bestreben drückt sich am deutlichsten in Empathie und Kreativität aus: Empathie als Mitgefühl mit den Menschen, die Produkte und Services möglichst angenehm nutzen möchten, Kreativität als Antrieb, unglückliche Umstände zu beseitigen und durch Zufriedenheit, Glück und Freude zu ersetzen.
In den letzten Jahren hat man viel in Design Thinking investiert. Doch wer es als einen Prozess mit ein paar neuen Vorgehensweisen versteht, ist auf dem Holzweg. Design Thinking heißt Motivation und Sinneswandel. Die Reduzierung auf ein Rezept fördert weder Empathie noch Kreativität und schon gar keinen Optimismus.
Was können Unternehmen tun, damit Design Thinking funktioniert? Sie müssen die Passivität überwinden, die sie in ihren Mitarbeitern ausgelöst haben. Sie müssen alle dazu bewegen, neue Methoden als Zukunftschance zu betrachten, ohne die sich ihr Unternehmen nicht weiterbewegt. Die Geschäftsführung wiederum muss die Gelassenheit aufbringen, Neues auszuprobieren und Veränderungen zu ertragen. Und Albert Einstein folgen, der sagte: »Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.«