Noch nie wurden Wissensplattformen so intensiv genutzt – zugleich wird deutlich: Gestalterisch gibt es großen Nachholbedarf. Eine Riesenchance für Designer. Wir stellen spannende Konzepte vor.
Sich mit Kunst oder Wissenschaft im Internet zu beschäftigen ist steril, unpersönlich und höchstens in Quarantäne-Zeiten attraktiv? Keineswegs, wie die vergangenen Wochen zeigen. Die Begeisterung fürs Video-Conferencing ist gefühlt um 1000 Prozent gestiegen. Welch ungeahnte Nähe und Lebendigkeit damit möglich sind, beweisen Experimente wie »Skype a Scientist«. Über die schon 2017 gegründete Initiative kann man Wissenschaftler aller Kontinente und Fachgebiete ins eigene Wohn- oder Klassenzimmer holen. Die Videochats erlebten während des Lockdowns einen Boom – wie viel Spaß beide Seiten dabei haben, lässt sich auf Twitter unter @SkypeScientist nachlesen.
Das Projekt ist nur eines von unzähligen Beispielen für die erstaunlichen Entwicklungen der letzten Monate bei der Vermittlung von Wissen im Netz. So haben wir gelernt, dass sich die im real life so wichtige Inspiration durch Lehrerpersönlichkeiten auch online vermitteln lässt. Gleichzeitig hat der Traum von der weltumspannenden Bildung für alle neue Schubkraft erhalten.
Wissensplattformen & -Tools: Von Lo Fi bis High End
Die Tools dafür sind weitenteils da. Jede Menge Anwendungen und Plattformen, die bisher ein Nischendasein führten, erlebten nun Popularitätsrekorde. Das reicht von simplen digitalen Pinnwänden wie Padlet bis zu ausgefeilten Lernmanagementsystemen. Zehntausend neue Log-ins alle zehn Minuten verzeichnete zeitweise zum Beispiel das preisgekrönte itslearning aus Norwegen, nachdem weltweit Schulen und Hochschulen geschlossen wurden. Welche Tools sich in puncto Funktionalität, Benutzerfreundlichkeit und Sicherheit durchsetzen, wird sich herausstellen. Fast allen ist noch gemeinsam, dass sie visuell tatsächlich steril und unattraktiv daherkommen, als seien sie eher von knöchernen Pädagogen als von Designern gestaltet. Vielleicht auch ein Grund für den Erfolg der Lernplattform Moodle, die immerhin ein wenig Customizing erlaubt.
_gradient bietet auf Instagram Minilektionen für UI und UX Design. Kunst- und Kulturinstitutionen bespielen seit dem Lockdown ihre Kanäle intensiv: Das ZKM Karlsruhe etwa lädt via Instagram-TV (IGTV) zu Live-Führungen durch Ausstellungen ein. Bei Facebook und Twitter gibtʼs montags Kulturnews aus Corona-Zeiten, dienstags geht es rund ums Thema Nachhaltigkeit, am »WednesdAI« um künstliche Intelligenz und so weiter.
User Experience & User Interface: Chancen für Gestalter
Noch sieht vieles rough und improvisiert aus, aber die Vermittlung von Kultur und Wissen im Netz wird sich professionalisieren – auch gestalterisch. Unterschiedlichste kreative Disziplinen sind gefragt. Allen voran natürlich User Experience und User Interface Designer, aber auch Brandingexperten, die Angeboten ein unverkennbares Gesicht verleihen. Illustratoren können Visuals beitragen, womöglich auch live. Motion Designer braucht man für Erklärfilme oder animierte Elemente, die Sprecher in Videos unterstützen. Video-Sets müssen attraktiv und im Brand-Style gestaltet werden, denn auf Dauer sind Wohnzimmer-Look oder hässliche Flipcharts im Hintergrund nicht ausreichend. Auch die Aufbereitung von Inhalten durch VR- und 360-Grad-Spezialisten für womöglich immer mehr Besitzer von VR-Headsets könnte ganz neue Dimensionen erreichen. Und all dies braucht Werbung und Präsenz in den sozialen Medien.