Auf der Documenta Fifteen erzählt der Berliner Comic-Artist Nino Bulling auf umwerfende Weise und auf Seide von Sex, Fluidität und Freundschaft. Wir haben kurz vor der Eröffnung mit ihm gesprochen.
Sammler:innengruppen werden über die Documenta Fifteen (18.6.-25.9.) geführt, Journalist:innen und anderes Fachpublikum schlendert einen Tag vor der Eröffnung der wichtigsten Kunstschau der Welt durch die 31 Orte, die sie diesmal bespielt.
Einer davon liegt in der Kasseler Hafenstraße, in einem ehemaligen Lagergebäude und dort sind gleich im Erdgeschoss und in einem wunderbaren Raum mit Oberlichtern, die Arbeiten des Berliner Comic-Artists und Autors Nino Bulling zu sehen. Und es ist ein Ausstellungsort, den man auf keinen Fall verpassen sollte.
Es war eine tolle Überraschung, dass er zur Documenta Fifteen eingeladen wurden und zeitgleich macht er mit seiner Graphic Novel abfackeln/firebugs Furore, die einmal mehr so berührend wie politisch und absolut zeitgemäß ist.
Die Besucher:innen wollen sich gar nicht trennen. Sie haben viele Fragen an Nino Bülling, streifen immer wieder die Seidenbilder entlang, die auf Gesichtshöhe im Raum von Leidenschaft, Sex, von Unsicherheiten und Freundschaft erzählen.
Vor Ort haben wir mit Nino Bulling gesprochen.
»Seide weckt natürlich viele Assoziationen«
So viel Aufmerksamkeit wie hier auf der Documenta bekommt man als Comic-Artist selten, oder?
Nino Bulling: Das ist wirklich sehr geballt. Und dann ist ja auch noch mein neues Buch unmittelbar vor der Eröffnung erscheinen. Das ist alles ganz schön viel auf einmal gerade, aber natürlich sehr toll.
»abfackeln/firebugs« heißt deine neue Graphic Novel und sie ist großartig. Dennoch ist es nicht selbstverständlich als Comic-Artist auf der Documenta auszustellen … Nein. Man muss eingeladen werden. Daran führt kein Weg vorbei.
Und du bist toller Weise eingeladen worden. Wie kam es dazu? Es ist ungefähr zwei Jahre her, dass ich gefragt wurde, ob ich Ruangrupa (das indonesische Künstler-Kollektiv, das die Documenta kuratiert) etwas über Comic erzählen kann. Das habe ich natürlich total gerne gemacht und mich mit ihnen getroffen. Ich habe das nicht als individuelles Scouting oder so wahrgenommen, aber als dann plötzlich die Einladung kam, war das natürlich sehr toll.
Was es schwer zu entscheiden, was du hier ausstellst? Klar war mir, dass ich nicht unbedingt eine Geschichte im klassischen Sinne zeigen möchte. Diese hier basiert auf »abfackeln/firebugs«. Es sind die beiden selben Figuren und ich sehe es als eine Art Spin-off oder als eine alternative Version der Geschichte, die in dem Buch festgeschrieben ist.
»Ich hatte Lust auf etwas Haptisches«
Diese Seidenmalereien sind dann schließlich direkt für die Documenta entstanden. Genau. Und zwar aus der Überlegung heraus, wie ich den Kosmos des Buches in diesen Raum bringe ohne ihn einfach zu verdoppeln. Gleichzeitig wollte ich nicht digital arbeiten, sondern hatte Lust auf etwas Haptisches, darauf in Textil zu arbeiten und auch, auf großer Fläche. Wie der Zufall will, habe ich einen kleinen Workshop für Seidenmalerei von einer Freundin besucht und das Material hat mich sofort fasziniert. Es passt sehr gut, um eine intime Geschichte zu erzählen und auch eine, in der es um Fluidität geht. Ich finde das alles kann Seide sehr gut transportieren.
Was ist das Besondere für dich an dem Material? Seide weckt natürlich viele Assoziationen. Sie ist ein luxuriöses Material, sehr schön und schmeichelnd, sie kühlt und hat etwas sehr Intimes. Das fand ich sehr passend, denn schließlich geht es in der Geschichte um Sex und auch um Freundschaft. Gleichzeitig ist Seide transparent und lässt hier den Raum drum herum durchscheinen. Er ist eine ehemalige Lagerhalle, man sieht die Strukturen und die Zahlen an den Wänden, die wahrscheinlich die Positionen für Güter gekennzeichnet haben.
Sie erinnern gleichzeitig an Seitenzahlen finde ich. Genau. Und man sieht sie durch die Tücher hindurch. Genauso wie man die anderen Motive durch sie hindurch sieht. Dadurch verändern sich die Bilder je nach Sonnenstand. Am schönsten sind sie wenn das Licht am Morgen sehr schräg durch die Oberlichter fällt. Dann leuchten die Bilder richtig.
Darf man sich den Ort, an dem man auf der Documenta ausstellt, selber aussuchen?
Wir durften uns alle Orte anschauen wenn wir wollten und das habe ich auch gemacht. Ich war wirklich überall, aber mit keinem Ort so richtig glücklich bis ich hierherkam. Da war mir sofort klar, dass er es ist. Ich habe die ganze Zeit etwas mit Licht gesucht. Das war ganz instinktiv, denn da hatte ich das Malen auf Seide noch gar nicht entwickelt. Wahrscheinlich ist es auf eine Art auch in Reaktion auf den Raum entstanden.
Lyrische Linien
Wie ist es anstatt auf Papier auf Seide zu malen? Ich fand es sehr spannend. Am besten ist wenn man die Seide richtig straff aufzieht. Gemalt habe ich darauf dann mit dem gleichen Pinsel, den ich auch für Papier benutzte und mit dem man sowohl dicke als auch sehr dünne Linien zeichnen kann. Nur größer war es, weil das Format es ja auch ist. Und auch die Tusche war dieselbe.
Verrückt, dass die Tuschelinien gar nicht ausfransen. Ja, das denkt man eigentlich. Aber das ist auch eine Erfahrungssache. Man muss die richtige Menge an Farbe nehmen damit diese nicht zerfließt oder »aufblüht«.
Die Arbeit ist wunderbar lyrisch und wie sie sich in Wind und Licht bewegt ist wirklich toll. Auch wie sie mit den Arbeiten von Fadi Aljabour aus besprühtem Fell, Textilien und Teer korrespondieren von denen aus man in deinen Raum tritt. Schön, dass du sagst. Danke.
Ich danke dir, dass du dir die Zeit genommen hast.
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