Von wegen harte Fakten: In einem Visual Essay der New York Times bringt einem die gefeierte Informationsdesignerin und Pentagram-Partnerin Giorgia Lupi die erschütternde Erfahrung ihrer Long Covid Erkrankung nahe.
Daten sind das Werkzeug der preisgekrönten Informationsdesignerin und Pentagram-Partnerin Giorgia Lupi. Sie helfen ihr, mit dem Leben fertig zu werden, wenn sie verängstigt oder verwirrt ist und nach Antworten sucht, sagt sie.
Und so begann sie im April 2020 die Daten über die seltsamen Symptome zu sammeln, die sie nach ihrer Covid-Infektion ereilten. Wie eine Grippe hatte Covid sich angefühlt und kaum klang es ab, kamen extreme Müdigkeit, brennende Schmerzen im ganzen Körper, Nebel im Kopf und Benommenheit auf.
Täglich notiert Giorgia Lupi seither detailliert ihre Symptome und deren Schweregrad in einer Tabelle, dazu die eingenommenen Medikamente, Lebensmittel, ihre körperliche Bewegung und deren Folgen.
Sie teilt diese Daten mit ihren Ärzten, aber auch mit ihrem Designteam bei Pentagram. Kann sie arbeiten, tut sie das vom Homeoffice aus und hält ihre Mitarbeitenden so auf dem Laufenden darüber, wie es ihr geht.
1374 Tage ist es her, dass sie mit Aufzeichnungen begann, die sie am 14. Dezember als ergreifende Data Storytelling Experience in der New York Times veröffentlicht hat.
Sie sagt über Long Covid, dass es einem den Verstand zermalmt und das Herz bricht und die beständigen Schmerzen einem alles nehmen, was man vorher einmal war.
Das visualisiert sie anhand ihrer Data und zeigt wie schon zuvor in ihrem Informationsdesign, dass Fakten alles andere als trocken sind, sondern vielmehr das Material von Erzählungen.
Ob es dabei um Mikroplastik, um die Plattform Wyth oder die hoffnungsvollen Aktionen, Spenden und Hilfeleistungen zum Beginn der Pandemie geht.
So emotional wie ihre Datenvisualisierungen zur eigenen Long-Covid-Erkrankung aber waren sie bisher noch nicht.
Voller Gefühle, Schmerzen und Schicksalsschläge stecken sie, wollen anderen Erkrankten zeigen, dass sie nicht allein sind – und das Verständnis für die chronische Krankheit schärfen, die eben nicht mit etwas zusätzlichem Schlaf, Mental Health oder Vitaminen zu heilen ist.
Weltweit sind schätzungsweise 65 Millionen Menschen von Long Covid betroffen. Es gibt sogar Erhebungen, die besagen, dass nahezu jeder fünfte Erwachsene, der in den USA an Covid erkrankt ist, jetzt an Long Covid leidet. Doch trotz dieser enormen Zahlen haben die Betroffenen immer noch das Gefühl, dass ihr Leiden bagatellisiert wird.
Mehr als 200 verschiedene Symptome sind bisher bei Long Covid Erkrankten festgestellt worden. Um ihre eigenen Symptome zu visualisieren, hat Giorgia Lupi ein Set aus 21 verschiedenen Symptomgruppen entwickelt. In 13 farbige Kategorien unterteilt, visualisiert sie in vielfarbigen Pinselstrichen auch die Intensität der Symptome und dabei entstehen lyrische Daten-Bilder, die so tragisch wie schön sind.
Und die zudem mit Linien, Punkten, Strichen und andere Markierungen für Arzttermine, Therapien, Tests, Diäten und Scans versehen sind.
In den drei Jahren und neun Monaten ihrer Erkrankung hatte sie bisher 233 Arzttermine bei 46 verschiedenen Doktoren.
Sie hat 59 Bluttests gemacht, wurde 12 Mal geröntgt, hatte 15 M.R.I.s, vier Gehirnscans, war sechsmal in der Notaufnahme, in vier Forschungs- und einer klinischen Studie, hat 63 verschiedene Medikamente genommen und 95 verschiedene Nahrungsergänzungsmittel. Unzählige Körpertherapien kommen hinzu und ihre medizinischen Kosten betragen mittlerweile mehrere zehntausend Dollar.
Das schlimmste aber seien die Angst und die Ungewissheit. Das schwierigste, die Hoffnung nicht zu verlieren. Morgens, wenn sie aufwache, habe sie für einen kurzen Moment das Gefühl, die Alte zu sein, schildert sie in der New York Times. Bevor die Realität der Krankheit dann wieder mit aller Wucht einsetzt.
Scrollt man durch Giorgia Lupi’s visuelles Essay, verändern die Bilder sich, kommen Symptome als Pinselstriche hinzu, legen sich Schichten übereinander hinzu und machen das Ausmaß der Schmerzen und des Leidens sichtbar machen und dazu stapeln sich Röntgenbilder, Bluttests und Scans.
Viele Details ihrer Datenvisualisierung hat Giorgia Lupi in der New York Times zum ersten Mal öffentlich gemacht, möchte Trost spenden und Mut machen.
Und hat zudem die Gemeinschaft der an Long Covid Erkrankten gefragt, was sie sich für die Zukunft wünschen wieder tun zu können und Hunderte haben geantwortet:
zu springen
wieder klare Gedanken zu fassen
zu küssen
zu reisen, um die Familie zu sehen
durch die Natur zu laufen
finanziell unabhängig zu sein
und vieles vieles mehr.
Giorgia Lupi selbst hofft, irgendwann keine Daten über ihre Krankheit sammeln zu müssen.
Hier das gesamte Visual Essay in der New York Times.