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Healthcare-Kommunikation: Neue Chancen für Kreative!

Digitalisierung und Covid-19 haben die Gesundheits­kom­mu­nikation gründlich verändert. Für Kreative bietet sich ein wachsender Markt, in dem gerade viel Neues passiert

Healthcare Design: Zwei Hände um eine Teigkugel zeigen, wie eine Brust-Tastuntersuchung funktioniert
Das »Bread Exam« von den zu IPG Health gehörenden Agenturen McCann Health London und McCann Paris bringt Mädchen und Frauen das Abtasten der Brust nahe. Mehr dazu im Artikel

Eine Kampagne wie die, die IPG Health während der Corona-Pandemie für ein Schweizer Pharma­unternehmen entwickelte, dessen Namen wir nicht nen­nen dürfen, hätte es so vor ein paar Jahren nicht gegeben: Konzeption und Art-Direktion wurden von einem standortübergreifenden Team aus London, Frankfurt und München geleitet. Statt in einem klas­si­schen Shooting erstellte es die Szenerien fotorea­listisch per CGI. Die Models wurden unter Corona-Auflagen in kleinstem Kreis und per Remote-­Art-Direction im Studio fotografiert und im Anschluss alles zusammengeführt.

»Covid-19 sorgte dafür, dass sich in der Gesundheitsbranche viele Prozesse änderten und Innovatio­nen katalysiert wurden«, sagt Marius Becker, Associate Creative Director bei IPG Health in Frankfurt am Main. »Der Launch eines neuen Medikaments, also von der Entwicklung bis zum Verkauf, geht über Jahre und lässt sich auch durch eine Pandemie nicht verschieben, also stellte die Branche sehr schnell auf digitale Lösungen um – Mobile Working war da für uns sehr hilfreich.«

Cover der "Healthcare Bible" für die Medizinische Hochschule Hannover

Doppelseite aus der "Healthcare Bible" für die Medizinische Hochschule Hannover
Gesundheitsbibel
Manchmal muss es eben mutig und laut sein. In Zusam­menarbeit mit dem Institut für Human­genetik der Medizinischen Hochschule Hannover entwickelte Health Angels pro bono die »Healthcare Bible«, eine Momentaufnahme rund um Themen zum neuen Gesundheitsdenken. Hier durften sich die Kreativen mal richtig austoben – und ließen sich das nicht zweimal sagen. Zu bestellen über info@health-angels.agency.

Kommunikation als Teil der Therapie

Auch die kreativen Konzepte veränderten sich – raus aus dem medizinischen Elfenbeinturm hin zu einer stärkeren Consumer-Orientierung. »In der Pandemie haben sich plötzlich viel mehr Menschen für medizi­nische Themen interessiert als sonst, und diverse Vi­rologen, allen voran Christian Drosten haben gezeigt, wie nahbar man diese Themen vermitteln kann«, sagt Karin Reichl, Geschäftsführerin bei der zur Hirschen Group gehörenden Agentur Health Angels in Hamburg und Düsseldorf. Diesen Ansatz wollen die Krea­tiven weiterführen und interagieren deshalb viel mit den Consumer-Agenturen der Group. »Es kann passieren, dass ich eine Maßnahme für OBI sehe und denke: Wow, wenn wir das ein bisschen drehen und dann noch die Healthcare-Regularien einhalten, können wir das auch für uns nutzen – schließlich sind Patient:innen und Health Care Professionals (HCP) wie etwa Ärzte letztlich auch Consumer«, so Reichl.

 

Seit der Pandemie hat Gesundheit für die meis­ten von uns deutlich an Relevanz gewonnen – das wiederum erhöht den Informationsbedarf. »Patien­t:innen und HCPs brauchen eine individuell relevante Orientierung im Informationsdschungel der diver­sen Absender. Die früher so beliebten Stock­fotos funktionieren in Kampagnen nicht mehr – die Bildwelt muss passgenau zur Lebenswelt der Zielgruppe passen«, weiß Reichl.

Anders als früher beziehen Kampagnen heute vermehrt das Umfeld der Patient:innen mit ein. Für die Ipsen Pharma GmbH etwa entwickelte Health An­gels die Initiative »Räume zum Reden«, um Ange­hörigen, die schwer kranke Familienmitglieder unterstützen oder pflegen, eine Stimme zu geben. Inzwischen hätten alle verstanden, dass Kommunikation eine Therapiesäule sei, für die Geschäftsführerin ist das die vielleicht wichtigste Folge von Covid-19: »Sie trägt dazu bei, dass Patient:innen ihre Therapien besser annehmen und dabei bleiben sowie verstehen, dass sie mit Ärzten besser kommunizieren können, weil sie selbst mehr verstehen. Kommunikation ist Teil einer gelungenen Therapie«, so Karin Reichl.

Branding für Solici vom Cambridge Healthcare Research: Bildlogo Branding für Solici vom Cambridge Healthcare Research: Faltprospekte und Poster

Branding für Solici vom Cambridge Healthcare Research: Mobile Ansicht
Vom Schatten ins Licht
Solici ist die Strategic Competitive Intelligence Division von Cambridge Healthcare Research, den Marken­claim »Bringing opportunity to light« visualisierte UnitedUs aus Brighton mit schönen Farbverläufen von dunkel zu hell. Das O erinnert mal an die Sonne, mal an einen Scheinwerfer oder eine Petrischale unter dem Mikroskop. Typografisch setzten die Kreativen auf einen Mix aus Neue Haas Grotesk und der Serifenschrift Tobias Regular.

Social-Media-Persönlichkeiten nutzen

Noch relativ neu ist in der Healthcare-Kommunikation das Arbeiten mit Influencer:innen. »Gerade bei dem Thema Disease Awareness setzen immer mehr unserer Kund:innen auf Authentizität und Nahbarkeit. Influencer:innen können da ein geeignetes Mittel sein, um zu kommunizieren, vor allem wenn es darum geht, Patient:innen über Social-Media-Kanä­le zu erreichen«, so IPG Health Creative Director Marius Becker. Allerdings muss man in diesem streng regulierten Markt genau hinschauen, mit wem man zusammenarbeitet.

Kampagne für Betroffene mit schwarzem Hautkrebs

Kampagne für Betroffene mit schwarzem Hautkrebs
Individuell
Ein einziger Buchstabe macht aus der »Mutation« eine »Mutaktion«. Die Kampagne von Health Angels für Novartis klärt Patient:innen und ihr Umfeld über die Mutation des BRAF-Gens bei schwarzem Hautkrebs auf. Dabei stehen Betroffene im Fokus, das zeigt auch die individuell auf die jeweilige Patient:innengruppe zugeschnittene Bildsprache.v

Health Angels beispielsweise hat mit dem Influencer Ralf Bohlmann und dem Dermatologen Prof. Dr. Marcus Maurer einen Podcast zum Thema Nesselsucht aufgesetzt, der sehr gut funktioniert. »Wichtig ist, dass man einen Mediziner hat, der so spricht, dass Nichtmediziner ihn verstehen, und einen Influ­encer, der genau weiß, was er darf und was nicht«, erklärt Karin Reichl. So dürfe er kein Heilsversprechen geben, keine verschreibungspflichtigen Medi­ka­men­­te empfehlen und auch die Medikamen­ten­marke nicht nennen, sondern nur den Wirkstoff. »Wir probieren hier alle gerade viel aus, aber ich den­ke es ist ein Bereich, in dem wir ständig analysieren, zuhören und lernen müssen«, erklärt Reichl.

Begrenzter kreativer Spielraum

Für Kreative, die Lust auf Gesundheitskommunikation haben, eröffnen sich interessante Jobs – wenn auch mit eigenen, sehr strengen Regeln. Das macht sich schon bei den sogenannten OTC(Over the Coun­ter)-Mitteln, also den nicht verschreibungspflich­ti­gen Arzneien, bemerkbar – noch eindeutiger sind die gesetzlichen Vorgaben bei RX-Arzneien, den re­zept­­pflichtigen Medikamenten. Es ist ein anderes Ar­bei­ten als etwa im Consumer-Bereich. »Als Kreative in Health-Agenturen brauchen wir das gleiche Mind­set wie etwa Sanitäter:innen: eine gesunde Obses­sion für Menschen und ihre Gesundheit«, sagt Marius Becker. Da die Healthcare-Kommunikation regulierter und wesentlich sensibler ist als in anderen Branchen, lässt IPG Health jede ihrer Arbei­ten von den agentureigenen Medical Writern sorg­fältig überprüfen und auf Kundenseite einem Legal Check unterziehen.

Kreative müssen die möglichen Spielräume genau kennen und oft einen langen Atem haben, mal eben ein schnelles Refreshment ist eher nicht drin. Als ahnungsloser Verbraucher fragt man sich beim Anblick der einen oder anderen Nasenspray- oder Hustensaftverpackung ja schon, weshalb die nicht mal eine neue Gestaltung bekommen. »In die Falle sind viele Agenturen schon getappt, wollten einfach mal die Farben oder die Schrift erneuern, aber das geht gar nicht, denn jede noch so kleine Ver­än­de­rung bedeutet endlos lange Zulassungsverfahren«, erklärt Karin Reichl.

Illustration für die App Eyedar zum Thema Echoortung Illustration für die App Eyedar, die verdeutlicht, wie blinde und sehbehinderte Menschen durch Echoortung ihre Umgebung räumlich wahrnehmen können.

Logo von der App Eyedar
Hörend sehen
Neue Technologien können den Alltag und die Lebensqualität steigern. Ein Beispiel dafür istdie App Eyedar, entwickelt von der zum IPG-Health-Netzwerk gehörenden Agentur Area23, die es blinden Menschen mittels Echoortung ermöglicht, ihre räumliche Umgebung zu hören.

Klar sein muss man sich auch darüber, dass viele der Kampagnen nicht öffentlich zu sehen sind, sie hängen nicht an Litfasssäulen, laufen nicht im Fernsehen und sind auch nicht in Social Media präsent. Immerhin haben inzwischen alle großen Kreativwettbewerbe eine Health-Kategorie, in die man seine Arbeiten einreichen kann. Und mit dem Global Healthcare Illustration Award gibt es jetzt sogar einen für Illustrationen in diesem Bereich.

Neben Interesse für Medizin, Wissen um all die Re­gulierungen und viel Einfühlungsvermögen in die Be­dürfnisse von Pa­tientinnen und Patienten brauchen Kreative in Health-Agenturen auch Abstand zum Job. »Wir befassen uns täglich mit schwerwiegenden, teils unheilbaren Krankheiten, daher müssen wir mehr als andere auf uns achten«, weiß Marius Becker. »Dafür ist die Arbeit sinnstiftender und verantwortungsvoller als eine Kampagne für Waschpulver oder den neuesten Protein-Shake.«

Visual Identity von Vox.Bio, mit plakativem X durch das eine Rakete startet.

Visual Identity von Vox.Bio: Aufwendig gestaltete Broschüre mit Ringbindung
X im Mittelpunkt
In der neuen Identity von Vox.Bio, der Markt­forschungsabteilung von Cambridge Healthcare Research spielt das x die Hauptrolle. UnitedUs setzte die das x begleitenden Botschaften wie »Know your strategy will succeed« oder »Know that your launch will land« mal mit Fotos, mal rein typografisch in Szene. Dafür nutzten die Kreativen die wunderbare Serifentype SangeBleu Kingdom. Als Textschrift gesellte sich die serifenlose SuisseIntl dazu, ebenfalls von der Foundry Swiss Typefaces.

Spezialisten oder Generalisten?

Um optimal auf die speziellen Gegebenheiten und Re­gulierungen der Branche eingehen zu können, entstanden explizit auf Healthcare-Kommunikation spe­zialisierte Agenturen. »Wir benötigen Spezialisten, weil wir es mit einem extrem sensiblen Bereich zu tun haben: dem Leben und der Gesundheit von Menschen. Die Kommunikation braucht wirklich Fachwissen, auch in der Kreation«, sagt Marius Becker. Tatsächlich gibt es nur wenige »normale« Agentu­ren, die sich Projekte in dieser Branche zutrauen. Eine da­von ist UnitedUs aus Brighton. »Der Healthcare-Sek­tor ist aus Sicht einer externen Agentur unglaublich kompliziert zu verstehen, aber mit Neugier und dem Willen, zuzuhören und zu lernen, kann es sehr lohnend sein, dort zu arbeiten«, sagt Luke Taylor, Partner bei UnitedUs. »Das Wichtigste ist, emotionale Intel­ligenz in die Projekte einzubringen – das gilt im Übrigen auch für andere Branchen.«

Luke Taylor ist sich der Tatsache bewusst, dass die Verantwortung in der Healthcare-Kommunikation ausgesprochen hoch ist. Schließlich würden Kon­su­ment:innen aufgrund von Kampagnen Ent­schei­dun­gen treffen, die sich unmittelbar auf ihr Wohlbe­fin­den auswirken können. »Healthcare-Brands müssen besonders vertrauenswürdig auftreten, und das erreicht man durch konsistente Kommunikation über einen längeren Zeitraum.«

Faltbroschüre für "The Power of Knowing"

Schriftzug "The Power of knowing" vertikal und in kräftigem Rot

Akademisch
UnitedUs entwickelte ein Rebranding für Cambridge Healthcare Research, ein führendes Beratungs- und Forschungsunternehmen im Gesundheitswesen. Um die verschiedenen Zielgruppen gezielter ansprechen zu können, entstanden die Untermarken Solici und Vox.Bio, auch für deren Branding zeichnet UnitedUs verantwortlich. »The Power of Knowing« ist der rote Faden, der verkörpert, wofür Cambridge Healthcare Research und seine Unter­marken stehen. Vor allem durch die prominent eingesetzte Serifenschrift BW Darius wirkt die neue Identity akademisch und vertrauen­erweckend.

Aufklärung statt Produktwerbung

Eine alternde Bevölkerung sowie Fortschritte in Technologien und Therapien sorgen dafür, dass der Gesundheitsmarkt weiter wächst. »Kampagnen werden sich stärker darauf konzentrieren, Patienten aufzuklären und zu befähigen, fundierte Entscheidungen über ihre Gesundheit zu treffen, anstatt nur für ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Dienstleis­tung zu werben«, so Luke Taylor.

Um in Zukunft in der Healthcare-Kommunika­tion noch zielgerichteter und individualisierter arbeiten zu können, wird die Kommunikation noch da­ten­ge­triebener werden, Gesundheitsökonomen und Da­tenanalysten werden die Kreativteams verstärken, davon ist Karin Reichl überzeugt. »In der Pharmaindustrie gilt ›No Outcome no Income‹, und das wird sich auch in der Kommunikation durchsetzen. Als Agenturen werden wir daran gemessen werden, wie spezialisiert wir sind und wie schnell wir auf gerade benötigte Ressourcen zugreifen können.«

Den durch Covid-19 begonnenen Trend zu einem stärkeren Gesundheitsbewusstsein und mehr Prä­ven­tion fortzuset­zen, betrachtet Marius Becker als zukünf­tige Aufgabe. »Bereits jetzt sind authenti­sche Kommunikation, Transparenz und Nachhaltigkeit bei unseren Kunden von großer Bedeutung, wir sind da wesentlich weiter als andere Branchen. Für Agen­turen und Kreative gilt es, innovative Freiräume zu nutzen und auszubauen.«

Healthcare Design: Zwei Teigkugeln mit Mehl bestäubt. Davor ist zu lesen "The Bread Exam", wobei das x in Exam in Form der rosa Brustkrebsschleife ist.
Selbstuntersuchung: Das »Bread Exam« von den zu IPG Health gehörenden Agenturen McCann Health London und McCann Paris bringt Mädchen und Frauen das Abtasten der Brust nahe. Da die Selbstunter­suchung in manchen Kulturen ein Tabuthema ist, zeigten Influencerinnen aus fünf Ländern die dazu nötigen Hand­griffe beim Brotbacken und Teigkneten.

In der Tat erschließt sich Healthcare-Kommunikation innerhalb der strengen Auflagen immer neue kreative Möglichkeiten, um die Menschen zu bewegen und ihr Verhalten positiv zu beeinflussen. Das »Bread Exam« von IPG Health aus London und Paris etwa ist so ein Beispiel (siehe oben) oder auch die Sugar Kids von VMLY&R Health (siehe unten). Neue Apps wie Eyedar von Area23 (linke Seite oben) nutzen modernste Technologien, um wie in diesem Fall blinden Menschen zu ermöglichen, ihre räumliche Umgebung zu hören. Und weil das Thema immer mehr ins Bewusstsein der Menschen dringt, interessieren sich auch immer mehr kreative Talente für diese Sparte – ich denke, die Healthcare-Branche blickt in eine gesunde Zukunft.

Bunte Kinderstatuen von Kindern, die ganz aus Zucker hergestellt sind.
Ganz aus Zucker: Aufmerksamkeit erregen, Emotionen wecken und so Diskussionen anstoßen. Das gelang der Agentur VMLY&R Health aus Madrid und Barcelona. Da der Zuckerkonsum spanischer Kinder extrem hoch ist, schuf sie im Auftrag des spanischen Gesund­heitsministeriums eine Sammlung von Kinder­skulpturen aus Zucker und platzierte sie am Hauptbahnhof Madrid.

Dieser Artikel ist in PAGE 04.2023 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.

PDF-Download: PAGE 04.2023

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