Jürgen Siebert verrät, welche Vorteile ihm der Umstieg vom Auto auf das Fahrrad gebracht hat. Spoiler: Nicht nur gespartes CO2!
Vor zwei Jahren habe ich mich vom Auto verabschiedet. Seitdem erledige ich sämtliche Wege und Einkäufe mit dem Rad. Einzige Ausnahme: Wasserkästen, die lasse ich liefern. Dass ich bis heute laut meiner Bike-App 8200 Kilometer gefahren bin, dabei 650 Liter Diesel und 3,5 Tonnen CO2 eingespart habe, ist ein prima Nebeneffekt, für mich aber nicht mehr der größte Ansporn. Viel wichtiger sind Veränderungen in meinem Leben, die ich vor dem Umstieg aufs Rad nicht ahnte. Ich lerne meine Stadt neu kennen, fühle mich mobiler als je zuvor, habe mein Wunschgewicht und halte es – und ich arbeite klarer, effizienter, kreativer. Den letzten Punkt möchte ich gerne vertiefen.
Wenn ich mit dem Rad unterwegs bin, kommen mir nach wenigen Minuten eine Menge nützlicher Gedanken. Mir fällt es auf einmal leicht, das große Ganze zu sehen. Eine Ideenblockade löst sich plötzlich wie von selbst. Aber warum? Ich glaube, dass es mit dem Gleichgewicht zwischen der niedrigen Aufmerksamkeit zu tun hat, die mir das Radfahren abverlangt, und der Freiheit, die es mir gibt. Der hieraus resultierende Geisteszustand unterscheidet sich deutlich von denen, die ich vom Autofahren, Joggen, Spazierengehen, Lesen oder vom Schreibtisch kenne.
Radeln: Der Geist ist im Flow
Dass Bewegung den Geist anregt, wussten schon die Philo- sophen der Antike: Mens sana in corpore sano. Sport kurbelt Atmung und Herzfrequenz an, worauf mehr sauerstoffreiches Blut und Nährstoffe ins Gehirn gelangen. Das aktiviert die grauen Zellen und sorgt für mehr Energie in unserer Denkzentrale. Doch das allein ist nicht der Grund für die Auswirkungen des Radfahrens. »Unsere Forschung zeigt, dass es nicht die Bewegung an sich ist, die uns hilft, flexibler zu denken«, sagt die Neurowissenschaftlerin Dr. Barbara Händel von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Verantwortlich dafür sei vielmehr die Freiheit, selbst- bestimmte Bewegungen auszuführen. Mit anderen Worten: Das kontinuierliche Radeln in ruhigen Straßen oder im Park versetzt unseren Geist in einen Flowzustand, der Assoziationen auslöst. Wechselnde Sinneseindrücke produzieren im Tempobereich zwi- schen Gehen und Autofahren neue Ideen.
Damit nicht genug: Das Fahrradfahren hat auch eine Langzeitwirkung auf unser Gehirn. Ein niederländisches Forschungsteam um Dr. Alena Svatkova führte 2015 mit zwei Versuchsgruppen über sechs Monate ein tägliches Indoor-Radtraining durch. Danach wurden die Gehirne der 81 Probanden mit denen einer Kontroll- gruppe verglichen, die kein Training absolvierte. Es stellte sich heraus, dass die Ausübung einer erlernten körperlichen Fähigkeit die Konnektivität des Gehirns verbessert, also die Verbindungen zwischen den Synapsen zunahmen. Dabei spielt auch die Belastungsintensität eine Rolle, die individuell unterschied- lich ist. Wer zu schnell oder zu langsam radelt, kommt nicht in den Zustand »freien Denkens«.
Wechselnde Sinneseindrücke produzieren im Tempobereich zwischen Gehen und Autofahren neue Ideen
Drei Jahre später fanden Forscher der Stanford University und der Université Côte d’Azur die physiologische Erklärung für den Kreativpush beim Radfahren. Durch die kontinuierliche sportliche Bewegung wird die Aktivität des Frontallappens heruntergefahren und damit auch einige Filter und Warnsysteme, die unsere kognitiven Funktionen steuern. Die Folge: Raum für mehr Originalität und Kreativität.
Nachdem ich das verstanden habe, setze ich das Fahrradfahren gezielt ein. Wenn mich eine Sorge plagt: 20 Minuten in die Pedale treten vertreibt alle dunklen Wolken. Wenn ich blockiert bin, bei einer Aufgabe feststecke oder keine Entscheidung treffen kann: Eine Radfahrt bringt Klarheit. Zurück am Schreibtisch, weiß ich genau, was zu tun ist.
Wenn ich eine halbe Stunde zu einem Termin nach Kreuzberg fahre und zurück, habe ich eine Stunde Zeit für mich und meine Ideen. Im Büro oder zu Hause verbringe ich nie einen so langen Zeitraum nur mit meinen Gedanken. Überall lauern Ablenkungen: der Schreibtisch, Social Media, eine Zeitung oder ein Buch. Auch sie sorgen für Zerstreuung und lösen Geistesblitze aus. Doch auf dem Rad bleibe ich mental stets bei mir, ohne von den Sichtweisen anderer abgelenkt zu werden. Die beste Voraussetzung, um auf originäre Ideen zu kommen.
Radfahren ist okay.
Viel wichtiger:
BRAUN hat das Design geändert.
Darüber müßen !!!!! wir reden.