
Sucuk und Bratwurst – Kings of cool
Von Mainz nach Berlin und in die Welt hinaus: Die 3D-Visionen von Sucuk und Bratwurst sind gefragt wie nie und so unique wie die vier Freunde selbst. Wir haben das Kreativkollektiv in Berlin besucht

Sucuk und Bratwurst – von Tumblr zu Dior
»Überperfektionistisch« nennt Denis den Sucuk-und-Bratwurst-Stil, »sehr clean und aufgeräumt«. Von anderen wird er auch schon mal als hypnotisch beschrieben oder als »Dystopian Gothic«. Dabei wollen die vier sich keinesfalls festlegen. Viel lieber sind sie ganz sie selbst. Und so unique wie ihre schon legendäre Geschichte, die bis in die Marienkäfergruppe eines Mainzer Kindergartens führt. Seite an Seite pinkelten Lukas Olgac und Alessandro Belliero dort vom Klettergerüst und sind seither unzertrennlich. Später kam noch Lukas’ jüngerer Bruder Denis dazu und dann dessen Schulfreund David Gönner.
Zu viert tauchten sie in die Graffitiszene ein, malten als Crew und fanden irgendwann, »dass es cool wäre, nicht immer nur Geld für all das auszugeben, sondern auch welches damit zu verdienen«. So starteten sie 2012 ihren Tumblr-Blog, nannten ihn Sucuk und Bratwurst, posteten Grafikdesign, Renderings und Fotomontagen und warfen sich selbst in Pose. Als sie begannen, mit 3D zu experimentieren, fragte das »adidas Originals Magazin« einen Bildbeitrag zum Thema Zukunft an. Die Aufträge wurden mehr, und Denis und Alessandro brachen ihr Studium an der Hochschule für Gestaltung Offenbach ab. Jetzt sind die vier Ende zwanzig und Valentino, Alexander Wang, Moncler und Dior gehören zu ihren Kunden. Nike sowieso, das Musiklabel Live from Earth, der Hip-Hoper Yung Hurn, Bilderbuch und auch Lena Meyer-Landrut. Sie sind in der freien Kunst unterwegs – und werden für ihre 3D-Visuals und Animationen gefeiert.

In 3D abheben für Moncler, Valentino oder Alexander Wang
Für das italienische Modelabel Moncler ließen sie eine Kamera beständig ins Bild hineinfahren, in das Auge von Will Smith und an unendlichen Kopien von ihm entlang, bis sie schließlich mit einem formvollendeten Zoom auf dem Logo landeten. Bewegung und Timing der 3D-Animation sind so perfekt, dass man immer wieder auf Repeat klickt. Lange haben sie daran gefeilt, sagen sie, am Ende aber verlassen sie sich immer ganz auf ihr Gefühl. Wie bei den Garavani Bags, die sie für Valentino in Bewegung setzten. Sie ließen Äste und rosa Blüten über die Luxustaschen ranken oder sie mit Blumen in Schwarz und Weiß durch die Lüfte fliegen. Für Alexander Wang steckten sie Eiswürfel in Brand und antworteten auf das Briefing, eine Daunenjacke »fluffy and unexpected« zu inszenieren, mit einem Knalleffekt: Ein Jackenärmel bläht sich auf, platzt und Popcorn fliegt hoch und einem entgegen.
Genauso steil geht auch ihr Weg nach oben. Digitale Arbeiten sind begehrter denn je, die Anfragen werden immer mehr. Oft geht es darum, Produkte in 3D zu visualisieren, aber verstärkt auch um Lookbooks. Schließlich braucht man in Zeiten der Pandemie so kein Set mit vielen Leuten. Deshalb interessieren sich neben Sportbrands zunehmend große, klassische Marken für das Digitale. Diesen muss man allerdings erst einmal erklären, wie das überhaupt funktioniert. »Wir hatten Gespräche, die einem Crashkurs glichen«, sagt Josefine. »Selbstverständlich braucht man für ein Shooting nicht mehr nach Kapstadt zu fliegen und hundert Leute zu beschäftigen. Das kann man auch zu Hause mit einem wesentlich kleineren Team und ein paar Rechnern machen.« Nur dass auch das sehr viel Arbeit bedeutet und nicht unbedingt schneller oder günstiger ist, das müssen diese Brands erst einmal verstehen.
Überraschungseffekt für den New Yorker Modemacher Alexander Wang: Statt Daunen schießt Popcorn aus der animierten Jacke (https://is.gd/AW_popcorn)
Sucuk und Bratwurst: Im Kollektiv kreativ
Ob Lookbook oder Animation, alle Arbeiten von Sucuk und Bratwurst entstehen gemeinsam. Auch bei Telefonaten mit den Auftraggebern sind sie nach Möglichkeit geschlossen dabei. »Schon deshalb, weil dann immer jeder auf demselben Stand ist«, sagt Lukas. Vor allem aber, weil sie ein Team sind. Ein Kreativkollektiv, wie sie sagen. Jeder ist gleichberechtigt und »jenseits von Strukturen zu arbeiten ist absolut wichtig für uns«, meint Denis. Sie wollen ihre Freiheit, sind Familie und keine Businesspartner. Und wenn sie mal nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen? »Dann sagen wir uns einfach direkt unsere Meinung. Da fühlt sich niemand persönlich angegriffen, wir kennen uns ja schließlich schon ewig.«
Entdeckt einer von ihnen etwas Interessantes, ob das im Internet oder auf der Straße ist, ein Still, einen Schatten oder ein Foto von ASAP Rocky, der sich Augen auf die Fingernägel gepinselt hat, dann schickt er es herum. Auch wenn einer eine Idee hat und einfach loslegt. »Dann heißt es entweder ›Wow!‹«, sagt Lukas, »oder wir diskutieren, ob es besser funktioniert, wenn wir die Textur ändern oder das Licht.« So entwickeln sich dann nach und nach die Bilder, »bis sie eine gewisse Stärke haben und wir finden, dass sie jetzt richtig geil geworden sind«. Hauptsächlich arbeiten sie in der 3D-Software Blender. Fehlt ihnen mal ein Skill, eignen sie sich diesen unterwegs an. Per Google, Trial and Error oder mit YouTube-Tutorials. »Zwischendurch heißt es dann immer ›Ej, wie soll das denn gehen?‹ oder ›Ej, spul’ noch mal zurück!‹«, lacht Denis und zieht das Ej ganz lang.


Ihr wichtigstes Tool: Die Macht der Bilder
In Sachen Social Media allerdings muss ihnen niemand mehr etwas beibringen. Instagram ist heute ihr wichtigstes Tool. Verlinken sie ihre Artworks schon mal mit Leuten, die sie interessant finden, generieren sie mit ihren 65 000 Followern quer durch die Design-, Kunst- und Fashion-Szene mittlerweile selbst jede Menge Aufmerksamkeit.
Dass Labels wie Alexander Wang sie über Instagram kontaktieren, ist Standard, »die Website spielt keine große Rolle mehr«, sagt Josefine. Umso mehr aber Motive, die in der täglichen Bilderflut nicht untergehen. Sie müssen mit einem Blick zu erfassen und gut ausgeleuchtet sein, sagen sie. Nichts darf Schatten werfen und die Form muss gut erkennbar sein. Sie dürfen keinen unruhigen Hintergrund haben und so noch nicht dagewesen sein. Das googeln sie dann.
Auch Gegensätze ziehen an: Mal mergen sie einen Dobermann und einen Chihuahua, mal entwerfen sie aus Plüsch einen fünfköpfigen Schwan. Der ist Kuscheltier und Ungeheuer zugleich. Manchmal sind sie aber einfach nur albern. Wenn sie einen Croc aus Emmentaler schnitzen. »Da waren die Löcher schon drin«, lacht Lukas. Als »Cheese Feet« haben sie ihre Käseskulptur auf Instagram gepostet.

Sehen & gesehen werden: mittlerweile selbst ein Brand
Vor allem aber zeigen sie sich auch selbst. Wer hinter Sucuk und Bratwurst steht, das ist so bekannt wie die Arbeiten selbst. Sie posen mit einrasierten Alienaugen im knallgrün gefärbten Haar, mit Maulkorb und Vorhängeschlössern, auf denen »Don’t worry« steht – und im eigenem Merchandise. Die T-Shirts mit ihrem Logo im Death-Metal-Stil sind heiß begehrt. Nicht, dass den einer von ihnen hören würde. Es sah einfach gut aus. Sie modeln in »Never Trust Nobody«-Hoodies, auf denen eine rote Rose bittere Tränen weint, mit silbernen Ringen im Stacheldraht-Fuck-Finger-Look und im »Smoking«, einem Anzug im Zigaretten-Design. Der ist gerade ausverkauft – wie vieles andere auch. Schließlich sind sie mittlerweile selbst ein Brand. Und ein sehr angesagter dazu.
Ihr Stil trifft einen Nerv, ihre Attitude ist auf den Punkt. Irgendwo zwischen cool und nahbar, selbstbewusst und charmant. »Mama we did it«, haben sie zu ihrem Meeting mit dem Alexander-Wang-Team in New York geschrieben und sind später mit Victory-Zeichen an der Shibuya Crossing in Tokio zu sehen, der berühmtesten Straßenkreuzung der Welt. Dort wurde der neue Wang-Store im Shopping-Palast Shibuya Parco eröffnet – mit ihren Animationen. Jede Viertelstunde flimmerten sie fünf Sekunden lang über die Kreuzung mit ihren Tausenden Fußgängern. »Gucci hatte sogar 30 Sekunden. ›Wow, dachten wir, die haben richtig geblecht‹«, lacht Denis. »Natürlich war es sau-nice, dorthin zu fliegen, aber auch stressig.« Sie wollten alles bestmöglich festhalten, doch immer lief einer ins Bild oder ging irgendwas anderes schief. Auf dem Foto, das sie unter einem ihrer Plakate zeigt, die dort überall hingen, lächeln sie allerdings ganz entspannt. »Dass war natürlich das Ziel«, lachen sie.

Doch sie zeigen sich nicht nur selbst, sie wollen auch andere sehen. Egal, wo sie sind, verabreden sie sich mit Leuten, die sie interessieren. Von Anfang an haben sie das gemacht. Sie haben den Fotografen Daniel Sannwald getroffen, ein Foto mit ihm gemacht und es gepostet. »Wie Fans, weil wir so stolz darauf waren«, sagt Lukas. Inzwischen arbeiten sie regelmäßig mit ihm zusammen. Auf dem Weg nach London haben sie den Musiker Visionist kontaktiert, in Mailand das Magazin »Kaleidoscope« oder auch mal jemanden von Nike getroffen. Manchmal drei Leute an einem Tag. Und einmal sogar Michèle Lamy, Ikone, Muse und Ehefrau von Fashiondesigner Rick Owens. Denis hat ihr die gepiercten Nippel mitgebracht, die Sucuk und Bratwurst gemeinsam mit Yung Hurn als Handyhalter gestaltet haben. Sie trägt sie als Teufelshörner am Kopf.
»Hey, we’re coming to Berlin. Can we meet?«, bekommen sie heute selbst häufig zu hören. Von 3D-Künstlern, Gestaltern, Musikern oder Studierenden. Man trifft sich im Studio oder im Café. »Auch wenn es nicht mehr so einfach wie früher ist, versuchen wir, die Zeit dafür zu finden«, sagt Lukas. Denn, wie haben sie auf Instagram gepostet: Do what you love and be kind.