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Debattenkultur im Netz

Mit Verbreitung der sozialen Netze sind auch Designer zunehmend mit der verbalen Aggression ihrer Mitmenschen konfrontiert.

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Man kann von Dieter Bohlen halten, was man will. Doch als er einst in der »Superstar«-Jury gegen die Einstellung »Der Klügere gibt nach« wetterte, hatte das Größe: »Diese Devise ist scheiße. Wenn sich die Begabten und Intelligenten zurückziehen, übernehmen die Doofen die Macht. In einer solchen Welt will ich nicht leben.«

Mit Verbreitung der sozialen Netze sind auch Designer zunehmend mit der verbalen Aggression ihrer Mitmenschen konfrontiert. Wer selbst bloggt beziehungsweise twittert, ist sicherlich schon mal tiefer in ein emotionales Wortgefecht hineingerutscht, als ihr oder ihm lieb ist. Die Debattenkultur im Internet ist meist aggressiv, verletzend und nicht selten hasserfüllt.

Da in den digitalen Medium, wie im richtigen Leben, der Lauteste zuerst gehört wird, »schwimmen« die negativen Stimmen stets an der Oberfläche. Zudem wirkt Empörung ansteckend, wenn sie geduldet wird oder gar Beifall bekommt. Die Hemmschwelle für Hass sinkt in der Anonymität und vor dem Bildschirm, denn der Angreifer muss niemandem ins Gesicht schauen, wenn er loswettert.

Steigen die Aggressionen in Foren und Kommentaren, ziehen sich die besonnenen Stimmen bald zurück.

Ob derb oder unterschwellig vorgetragen: Steigen die Aggressionen in Foren und Kommentaren, ziehen sich die besonnenen Stimmen bald zurück. Was sol­len sie auch tun? Wer zanksüchtigen Zeitgenossen lieber aus dem Weg geht, wird einem angespannten Netz-Wortwechsel nicht lange folgen. »Zeitverschwendung« lautet die verständliche Diagnose. Haben die Besonnenen das Feld erst geräumt, siegt der Hass und feiert sich selbst.

Es gibt Mittel, dem Hass zu begegnen, auch wenn sie mühsam und anstrengend sind. Warum sollten wir diesen Weg beschreiten? Weil es um die Kultur der Zukunft geht. Wir dürfen das Netz, in dem wir täglich arbeiten, nicht den Hassern und Trollen überlassen. Sich klug gegen Provokateure zu wehren ist der Kulturkampf der Gegenwart. Darüber hinaus ver­fei­nert das Sprechen und Argumentie­ren unser Handeln, einschließlich Selbst­reflexion und -marketing.

Manchen hilft es, transparent zu beschreiben, was einen bewegt oder auch ärgert, um sich Luft zu machen und nach Hilfe zu fragen. Andere fahren gut damit, sich von außen Unterstützung zu holen beim Abblocken von Angriffen und beim Aufbau einer Schutzblase. Wieder andere versuchen ein selbstgerechtes Weltbild mit Humor ins Wanken zu bringen. Dies führt häufig zu einer Solidarisierung der Community. Man sollte sich aber, gerade als »große Marke«, nicht verleiten lassen, Störenfriede bloßzustellen.

Zwei Dinge sind wichtig, um eine Internet-Diskussion zu lenken: Präsenz und Haltung. Gerade die klassischen Medien haben es jahrelang versäumt, eine Debattenkultur im Netz aufzubauen. Sie benutzten die Kommentarfunktion in ihren Blogs und auf den Newsseiten als kos­ten­losen Suchmaschinen-Treibstoff: je mehr Leser sich fetzen, umso besser die Traffic-Zahlen. Das war dumm und unheilbar. Wir kennen alle die Spätfolgen: Im physischen Leben sinken die Printauflagen und Zuschauerzahlen, im zukunftsträchtigen Netz wurde keine neue, treue Leserschaft aufgebaut.

In meiner Leserschaft ist kein Platz für Menschenfeindlichkeit, für Rassismus, Sexismus oder Technik-Grabenkämpfe.

Eine Community-Redaktion, die sich bei Diskussion wegduckt, macht sich arbeitslos. Sie muss auf Kritik reagieren und offen für Widerspruch sein. Sie muss Nutzer unterstützen, die beleidigt sind oder aus der Diskussion gedrängt werden. Das erfordert Haltung. »In meiner Leserschaft ist kein Platz für Menschenfeindlichkeit, für Rassismus, Sexismus oder Technik-Grabenkämpfe.« »Ich dulde keine Trolle.« Solche Äußerungen erinnern die Leser daran, dass auch auf der anderen Seite Menschen sitzen.

Rechtlich ist der Hass-Sprache sowieso kaum beizukommen. Daher stehen wir als Zivilgesellschaft in der Pflicht, uns online zu engagieren. Die Plattform-Betreiber müssen virtuelle Räume schaffen, in denen eine respektvolle Debattenkultur entstehen kann. Neben der rechtlichen Absicherung durch allgemeine Geschäfts­bedingungen helfen knappe Spielregeln für das Debattieren:
• Jeder Kommentierer hinterlässt mindes­tens eine nicht sichtbare E-Mail-Adresse.
• Direkte und indirekte Diskriminierun­gen sind unerwünscht.
• Konstruktive Debatten werden belohnt.

Wer sich intensiver mit dem Thema »Hate Speech« auseinandersetzen möchte oder muss, dem empfehle ich den kos­ten­losen PDF-Ratgeber der Amadeu An­tonio Stiftung.

Die durch das Familienministerium geförderte Publikation »Geh sterben!« wen­det sich gegen die »Sprache des Hasses im Netz«. Sie hilft, Hate Speech und ihre Codes zu identifizieren, und gibt An­re­gun­gen zum Widerspruch.

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