
Umfangreiches Projekt: Fontfamilie für den Cornelsen Verlag
Bei der Entwicklung der Schriftfamilie CV Dida mussten Viktor Nübel und Botio Nikoltchev vieles im Kopf haben: Grundschüler und Abiturienten, Fibeltexte und Mathegleichungen, gedruckte Bücher und Lern-Apps
Eine gründliche Analyse ergab die Vor- und Nachteile der bisher genutzten Schriften. Beim Blick auf die FF Schulbuch etwa zeigte sich, dass diese Helvetica-Variante mit ihren geschlossenen Formen und der engen Spationierung nicht wirklich für Kinder geeignet ist, die gerade lesen und schreiben lernen. »Wir wollten aber keine radikale Veränderung, sondern eine Optimierung als organische Weiterentwicklung«, erklärt Botio Nikoltchev. Also öffneten sie die Buchstaben, vergrößerten die Laufweite und verringerten die sehr große x-Höhe, um so den Unterschied zwischen Groß- und Kleinbuchstaben deutlicher zu machen.

»Unsere Versalien sind nicht mechanisch auf eine einheitliche Breite gebracht, sondern haben klassische Proportionen«, erklärt Botio Nikoltchev. »Die Formen der Glyphen, die luftigere Laufweite und Details wie die runden Punkte und die Häkchen an einigen Buchstaben bringen Lebendigkeit und Freundlichkeit ins Schriftbild.« Diese Eigenschaften sorgen auch dafür, dass die Dida Sans getaufte Schrift in Printmedien und auf dem Bildschirm gleichermaßen gut funktioniert. Eingesetzt wird sie überwiegend in Größen zwischen 10 Punkt und 14 Punkt. »Da hilft die großzügige Spationierung beim Lesen am Screen, aber es ist noch keine Punktgröße, bei der die Laufweite im Print unangenehm auffällt«, sagt Viktor Nübel.


Föderalismus in der Schriftgestaltung
Auch wenn Typedesignern das stilistisch nicht immer gefallen mag: Für Lese- und Schreibanfänger gibt es behördlich festgelegte Anforderungen an eine Schrift, die man einhalten sollte, erleichtern sie das Lesenlernen doch ungemein. Dazu gehören etwa die 7 mit einem Querstrich, ein ß mit Unterlänge, ein ausgeprägter oberer Teil beim kleinen t oder das Löffel-l.
Wie wir alle spätestens seit Corona wissen, sind die Schulen Sache der Länder, bis hin zu den Formen der Buchstaben. So bestand ein Kultusministerium auf ein R, bei dem der schräge Strich aus dem Stamm kommt, ein anderes wollte unbedingt ein M, dessen Spitze bis auf die Grundlinie reicht, und ein drittes eine 9 mit Anstrich oben. Zu wilde Blüten trieb der Föderalismus zum Glück aber nicht, bei den meisten Buchstaben herrschte Einigkeit, etwa bei der Forderung nach einem einstöckigen a, an das in der Dida zur besseren Unterscheidung noch ein Häkchen kam. »Dank der heutigen Technik ist es ja kein Problem, alle benötigten Zeichen als Alternativen zu hinterlegen«, so Viktor Nübel. »Und man lernt dazu: So eine 9 mit Anstrich, die ja eher aussieht wie ein g, hatte ich vorher noch nie gesehen.«

Trotzdem: Alle Vorgaben in OpenType-Features zu packen, erschwerte das Anwenden der Schrift und verwässerte das gestalterische Konzept. Deshalb beschlossen die Gestalter gemeinsam mit Matti Wachholz-Hausmann, Leiter Produkt- und Content-Design bei Cornelsen, dass Dida Sans ein Grundschulkind bekommen sollte: Dida Junior, in der all diese Vorgaben umgesetzt sind. Die erwachsene Dida Sans enthält dagegen das doppelstöckige g und a (das Häkchen allerdings blieb) – und damit auch eine etwas andere Optik im Text. So wird für Schüler auch visuell deutlich, dass sie nicht mehr in die Grundschule gehen. Für viel Text auf kleinem Raum gibt es zudem die etwas schmalere Version Dida Compact.
Besonders lange Texte, zum Beispiel in den Medien für die Erwachsenenbildung oder gymnasiale Oberstufe, lesen sich besser mit einer Antiqua, deshalb gestalteten Viktor Nübel und Botio Nikoltchev im nächsten Schritt die Dida Serif. Referenz war die bislang eingesetzte Century Schoolbook, die mit ihren stark geschlossenen Formen und der engen, starren Anmutung nicht mehr zeitgemäß erschien. »Auch hier wirkte das Öffnen der Buchstaben und Erhöhen der Laufweite Wunder, außerdem verzichteten wir auf die tropfenförmigen Serifen. Einzelne Buchstaben, etwa C und S, sehen ohnehin ganz anders aus«, sagt Viktor Nübel. Wichtig für digitale Medien: Der Kontrast der Dida Serif fällt deutlich geringer aus, so lässt sie sich auch in kleinen Größen am Bildschirm sehr gut lesen.
Dida 1.0: Fonts in Progress
Um dieses Großprojekt gut begleiten zu können, stellte der Cornelsen Verlag eine Expertenrunde zusammen, zu der nicht nur Mitarbeiter aus der Marketing- und der Digitalabteilung gehörten, sondern auch der Designer und Satzprofi Christopher Halm sowie UI Typographer Frank Rausch. Viktor Nübel baute noch eine Projekt-Website, eine Art digitales Specimen, mit dem die Runde jeden Zwischenstand im Detail sehen, alle Schnitte und Zeichen begutachten und die Schrift auch ausprobieren kann. Sehr hilfreich, vor allem als Corona keine physischen Treffen mehr zuließ. Die Site basiert auf Nübels Web-App FontDrop!, die alle relevanten Infos zu einer Schriftdatei liefert. Aber nicht nur die Experten, auch künftige Anwender beurteilten die Dida. So bekamen Lehrer an Grundschulen und Gymnasien sowie Schüler der Oberstufe Layouts mit verschiedenen Schriften vorgelegt und wurden zu ihren Eindrücken befragt. CV Dida erhielt durchweg positives Feedback, vor allem auch wegen des gut unterscheidbaren a.

Abgeschlossen ist das Projekt nicht. Es fehlen noch einzelne Zeichen, etwa für die Naturwissenschaften in der Oberstufe. Und es soll noch eine Sans entstehen, die für längere Fließtexte optimiert ist. »Wir sehen das wie bei einer Software: Jetzt haben wir Dida 1.0, in zwei Jahren vielleicht 1.5«, so Viktor Nübel. Bis die Dida-Familie in allen 10 000 Lernprodukten zu sehen sein wird und so das Markenbild des Cornelsen Verlags formt, wird noch einige Zeit vergehen. Eingesetzt wird sie momentan schon in einigen Grundschultiteln, etwa »Meine Fibel« oder »Mathefreunde«. Hoffen wir, dass es nicht zu lange dauert, bis CV Dida durchgängig in allen Klassenstufen vertreten ist.

Beim Blick in die (ur)alten Fibeln ihrer Kinder wundert es Antje Dohmann angesichts der dort verwendeten Serifenlosen mit ihren verwechslungsanfälligen Buchstaben, dass die drei Jungs überhaupt lesen gelernt haben.
Dieser Artikel ist in PAGE 05.2021 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.