Mit seiner Schriftfamilie Arbeiter Neue erzählt der Typedesigner Murathan Biliktü die Geschichte seines Großvaters und die vieler anderer türkischer Gastarbeiter in Deutschland.
PROJEKT Gestaltung der Schriftfamilie Arbeiter Neue DESIGNER Murathan Biliktü, (Type-)Designer und Gründer der Foundry Biliktu, Toronto, https://biliktufoundry.com TOOLS Illustrator, Glyphs, Dinamo Font Gauntlet ZEITRAUM September 2021 bis Januar 2022
»Eine Riesenratte, hier gibt’s Riesenratten, die fressen uns bestimmt auf«, schreit der achtjährige Muhamed im Film »Almanya« entsetzt beim Anblick eines Dackels an der Leine. Die Szene brachte uns zum Lachen, verdeutlichte aber auch, wie fremd sich türkische Gastarbeiterfamilien in Deutschland gefühlt haben müssen. Turhan Biliktü, Großvater des Typedesigners Murathan Biliktü, kam 1956 nach Deutschland, um sich über Innovationen zu informieren und neue Erfahrungen zu sammeln. Der Elektroingenieur arbeitete in einer Gießerei, kehrte 1958 in die Türkei zurück und gründete dort sein eigenes Unternehmen. »Mein Opa war selbstbewusst und ein Freigeist. Wenn er uns von Deutschland erzählte, waren das stets positive Geschichten«, sagt Murathan Biliktü. »Trotzdem dachte er an das Land nie als einen Ort, den er sein Zuhause nennen würde. Er fühlte sich dort immer anders und fremd.«
Die Berichte seines Großvaters ließen den 24-Jährigen nicht los, und 2020 beschloss er, als Hommage an ihn eine Schriftfamilie zu gestalten, die er Biliktu nannte und auf Behance präsentierte. Kurz darauf entfernte er sie aber wieder, weil er mit ihr doch nicht 100-prozentig zufrieden war. Einen Schnitt der Familie, Biliktu Grotesk Arbeiter, nahm er sich 2021 erneut vor, er bildet die Basis für die Entwicklung der Arbeiter Neue. »Das Projekt ist nicht nur meinem 2013 gestorbenen Opa gewidmet, sondern einer ganzen Generation von Gastarbeitern, die ihn auf die Idee brachten und in seiner Entscheidung bestärkten, die Reise nach Deutschland zu wagen.«