Inwiefern sich das Design von Onlineshops in letzter Zeit verändert hat – und welche E-Commerce-Trends wir demnächst erleben werden, beschreiben Marc O. Schürmann und Julia Saswito von Triplesense Reply im Interview.
Viele Jahre lang waren die meisten Onlineshops eher für männliche Zielgruppen gestaltet – was wir vor drei Jahren in diesem Interview thematisiert haben. Wir wollten wissen, was sich seitdem getan hat und haben Julia Saswito, Geschäftsführerin der Agentur Triplesense Reply, und Marc O. Schürmann, Head of User Experience, zum Thema befragt. Die beiden E-Commerce-Experten berichten nicht nur von bisherigen Veränderungen – sondern geben auch einen Ausblick auf die nächsten Onlineshop-Trends, beispielsweise künstliche Intelligenz.
Die Gestaltung von Onlineshops war lange Zeit eher auf die Bedürfnisse von Männern ausgelegt. Vor drei Jahren haben wir zu diesem Thema mit zwei Ihrer Mitarbeiterinnen gesprochen – was hat sich seitdem getan?
Julia Saswito: Wir haben damals einige Details für die Gestaltung von Onlineshops vorgeschlagen, auf die vor allem weibliche Zielgruppen Wert legen – und die mittlerweile üblicher sind. Dazu gehört etwa die Darstellung von Produkten in Aktion oder aus verschiedenen Perspektiven. Auch die Einbindung von Kundenbewertungen ist inzwischen verbreitet: Diese ist besonders für weibliche Zielgruppen wichtig, da Frauen tendenziell mehr auf den sogenannten Social Proof achten. Zudem kann man mittlerweile beobachten, dass die Erlebbarkeit und Vergleichbarkeit von Produkten gesteigert wurden, was Frauen ebenfalls besonders wichtig ist. Es hat sich also einiges getan. Generell ist sowohl die Gestaltung als auch das UX-Design im E-Commerce im Vergleich zu vor einigen Jahren wesentlich besser geworden. Das liegt auch daran, dass immer mehr in das Thema Datenanalyse investiert wird, so dass Marketingverantwortliche prüfen können, was wirklich funktioniert. Auch die zunehmende Relevanz von Social Media hat einiges beeinflusst.
Hat sich durch die etwas »weiblichere« Gestaltung von Onlineshops auch das Nutzerverhalten von Männern und Frauen verändert?
Saswito: In Bezug auf das Nutzerverhalten gibt es nach wie vor Unterschiede. Frauen kaufen vor allem deswegen anders, weil sie größtenteils andere Dinge kaufen – daran hat sich nichts geändert. In der Tendenz bestellen Männer mehr Technik, Frauen mehr Fashion. Der große Trend ist, dass seit Neuestem beide Gruppen sehr viele Artikel aus dem Home-Bereich kaufen. Wenn man Mode oder Schuhe shoppt, hat man andere Ansprüche und Wünsche als beim Kauf eines Fernsehers. Es kommt zudem darauf an, ob der Nutzer Dinge kauft, weil er wirklich einen Bedarf hat oder weil er sie mag.
»Personalisierung ist zunehmend möglich – und das wird auch die Richtung sein, in die sich der E-Commerce verstärkt hinbewegen wird.« – Julia Saswito
Marc O. Schürmann: Ein weiterer Punkt ist, aus welchem Anlass man kauft. Möchte man schnell einen Zubehörartikel oder ein T-Shirt bestellen oder geht man shoppen, weil man das Produkt total interessant findet? Männer shoppen auch, wenn sie einfach nur ein spannendes Gerät haben wollen – etwa im Technikbereich. Dann schauen sie sich Produkte wochenlang an, überlegen gründlich, lesen Kundenrezensionen. Weil sie das Gerät nicht unbedingt brauchen, sondern weil es der Unterhaltung dient. Der Ablauf ähnelt also dem, ein schönes Outfit zu kaufen – auch wenn es um ganz andere Produkte geht. Der Kontext ist dabei immer entscheidend.
Saswito: Frauen shoppen zudem mehr mobil. Auch der Informationsprozess läuft häufiger mobil ab als bei Männern. Das muss man als E-Commerce-Betreiber auf jeden Fall berücksichtigen. Zudem kaufen Frauen nicht nur für sich, sondern auch für Familie und Freunde ein. Für bestimmte Anlässe shoppen sie öfter im Voraus. Dadurch sind Frauen eher ansprechbar für saisonale Aktionen und Angebote. Interessant ist, dass Frauen stärker als Männer auf Bonusprogramme anspringen.
»Viele Shop-Betreiber haben erkannt, dass eigene Inhalte, selbstproduzierte Bilder und Texte auch für die Suchmaschinen ausschlaggebend sind.« – Marc O. Schürmann
Was für den einen Kunden ein Bedarfsartikel ist, kann für den nächsten ein Unterhaltungsprodukt sein. Wie spricht man beide Zielgruppen gleichzeitig an?
Schürmann: Grundsätzlich muss man als Anbieter gewisse Entscheidungen treffen. Hat man einen E-Shop für Festplatten, wird anhand der Kundendaten ersichtlich, dass man hauptsächlich männliche Kunden hat, richtet man die Produktseiten entsprechend aus, indem man etwa die technischen Daten in den Vordergrund stellt. Außerdem dürfen Produktseiten nicht nur einen Inhalt abbilden, sie sollten immer eine gute Mischung bieten. Neben den technischen Daten sollten Marketer auch Anwendungsbeispiele zeigen oder Nutzerbewertungen einbinden. Eine Produktseite kann nie zu lang sein, sie muss umfassend informieren und individuelle, an die Zielgruppe angepasste Inhalte enthalten. Dieser Bereich hat sich in den letzten Jahren definitiv verbessert. Viele Shop-Betreiber haben erkannt, dass eigene Inhalte, selbstproduzierte Bilder und Texte auch für die Suchmaschinen ausschlaggebend sind.
Saswito: Man darf sich nicht zu allgemeinen Schlussfolgerungen hinreißen lassen – jedoch können Onlineshop-Betreiber grundsätzlich versuchen, bestimmte Kundengruppen auf der Website zu erkennen. Etwa wenn man mit ihnen bereits eine Geschäftsbeziehung hat, sie per Login oder durch andere Trackingmethoden wiedererkennt. Auch die Herkunft oder verwendete Geräte lassen Annahmen zu. Bestimmten Gruppierungen können daraufhin bestimmte Inhalte angeboten werden. Personalisierung ist zunehmend möglich – und das wird auch die Richtung sein, in die sich der E-Commerce verstärkt hinbewegen wird.
Diese Einsicht trägt auf Kundenseite sicher auch zu der Bereitschaft bei, mehr in die Gestaltung von Produktseiten zu investieren.
Saswito: Mittlerweile ist auf Kundenseite klar, dass Content-Strategie und Content-Produktion sehr wichtig sind, um Produkte attraktiv darzustellen und Leads zu generieren. Der Return on Invest ist einfach auszurechnen – etwa wenn man sich im Fashion-Bereich ansieht, wie sich durch den Einsatz von Videos die Abverkaufszahlen für bestimmte Produkte steigern lassen.
»Multimodaler Commerce und die Ergänzung von Online- und stationärem Handel wird immer wichtiger.« – Julia Saswito
Als Gegentrend zu sehr individuellen Inhalten, etwa auf Produktseiten, setzen einige große E-Commerce-Betreiber auf maschinell erstellten Content. Was lässt sich diesbezüglich erwarten?
Saswito: Durch künstliche Intelligenz hat sich sehr viel getan, sowohl in der Text- als auch in der Bildbearbeitung. Jeder E-Commerce-Betreiber muss für sich selbst bewerten, wie die maschinell erstellte Beschreibung im Vergleich zu manuell geschriebenen Texten performt – und wie sich das Ergebnis zur Kostenersparnis verhält. Demnächst werden wir im E-Commerce sehen, dass viel mit Automatisierung und künstlicher Intelligenz experimentiert wird. In der Regel mit dem Fokus, schneller zu werden, Kosten zu sparen – oder beides. Es ist auch zu erwarten, dass es daraufhin eine Welle gibt, in der man gezielt auswertet, inwieweit das wirklich funktioniert.
Welche weiteren E-Commerce-Trends erwarten Sie in der nächsten Zeit?
Saswito: Multimodaler Commerce und die Ergänzung von Online- und stationärem Handel wird immer wichtiger. Lange Zeit hat wurden Onlineshops als Ergänzung gesehen, mittlerweile bauen die reinen Online-Anbieter selbst neue Arten von Commerce und Retail auf. Es geht nicht mehr darum, auf welchem Kanal man verkauft. Es geht vielmehr darum, dass man verkauft und dieses Erlebnis möglichst ganzheitlich gestaltet – mit hoher Wiedererkennbarkeit in der Customer Experience. Persönlich hoffe ich zudem, dass es uns gelingt, komplette Customer Journeys mit validen Daten durchzumessen. So könnten wir noch besser verstehen, wie das Zusammenspiel zwischen Mobile, Online, stationärem Handel, Social Media und persönlichem Austausch funktioniert.
Schürmann: Ein weiterer Trend für E-Shops könnten Conversational Interfaces sein, die es ermöglichen, während des Einkaufens mit einem Mitarbeiter oder Bot zu chatten. Vermutlich werden auch Virtual sowie Augmented Reality an Relevanz gewinnen. Ein gutes Beispiel ist die Ikea-AR-App, über die Interessierte ausprobieren, wie ein Möbelstück in der eigenen Wohnung aussieht. Damit verschmelzen Online und Realität immer mehr – und werden auch auf diese Weise immer kontextbezogener und individueller.