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Ecodesign

Gutes Design ist längst mehr als schöne Gestaltung, und viele 
Kreative machen sich heute Gedanken um die ökologischen und ethischen Aspekte ihrer Arbeit. Aber: Wie weit geht ihre Verantwortung?

 

Gutes Design – Böses Design

Dieser Beitrag wurde erstmals in der Printausgabe von PAGE 07.2012 veröffentlicht | Autorin: Antje Dohmann

Inhalt

1 Ein kleines bisschen besser

2 Kommentar von Stefan Wölwer (Interaction Designer & Professor, HAWK Hildesheim)

3 »Designer haben keine Ahnung, was Nachhaltigkeit wirklich bedeutet« – ein Interview mit Michael B. Hardt

1 Ein kleines bisschen besser

Das ideale Produkt ist hochästhetisch und seine Usability perfekt. Hergestellt wird es aus umweltfreundlichen Material­ien in einem Vorzeigebetrieb. Die beglei­ten­de Kommunikation lädt dieses Produkt emotional so auf, dass wir gar nicht anders können, als es zu kaufen – wie beim iPhone. Die zentral in den USA gemachte Werbung ist sehr bemüht, nicht nur ein Smartphone in Szene zu setzen, sondern einen Lifestyle zu vermitteln, in dem der User Teil der Community ist. Mit Erfolg, die iPhone-Sättigungsrate unter Kreativen liegt gefühlt bei 99 Pro­­zent. Dabei hat das Gerät durchaus dunkle Seiten, die wir auch alle kennen. Die Bilder der chinesischen Arbeiter beim iPhone-Hersteller Foxconn, die ob der unmenschlichen Arbeits­bedingungen Selbstmord begehen, hat niemand vergessen – auf die Absatzzahlen haben sie dennoch keine Auswirkungen.

Reicht es, dass sich Agenturen und Designbüros Gedanken um Aussehen, Usability, Service und Kampagnen machen oder liegt es nicht auch in ihrer Verantwortung, Einfluss auf Material­wahl und Produktionsbedingungen zu nehmen?

»Den Kunden auch hinsichtlich der verwendeten Materialien zu beraten, gehört absolut zur Aufgabe des Designers«

sagt Petra Knyrim, Mit­gründerin von nowakteufelknyrim in Düsseldorf. »Wir weisen im­­mer auf die Möglichkeit hin, nachhaltig zu produzieren, müs­sen aber auch sagen, dass es oft teurer ist.« Nicht immer sto­ßen sie bei den Kunden auf offene Ohren. Einfacher ist es, wenn es um deren Geldbeutel geht. »Etwa bei der Auflage: Die meis­ten wis­sen es zu schätzen, wenn wir noch mal nachfra­gen: Braucht ihr wirklich 5000 Briefe oder reichen nicht vielleicht auch 3000?«

Florian Haller, Hauptgeschäftsführer der Serviceplan-Gruppe, warnt davor, sich zu überschätzen. »Wer als Designer die gesamte Verantwortung für den Inhalt von Produkten und Kampagnen übernimmt und von sich verlangt, dass da am Ende nur Gutes herauskommt, lädt sich zu viel auf. Denn am Ende des Tages sind wir die Dienstleister unserer Auftraggeber und von diesen abhängig.« Die Verantwortung des Gestalters sei es, sei­nen Kunden gut zu beraten – auch in Richtung Nachhaltigkeit. »Ein iPhone-Designer muss sich nicht für die Produktionsbedin­gungen verantwortlich fühlen. Das kann er ja nicht direkt beeinflussen. Aber er berät seinen Kunden Apple gut, wenn er ihm sagt, dass es die Menschen interessiert, wie die Geräte hergestellt werden. Und dass zum Thema Nachhaltigkeit auch die Pro­duktionsbedingungen gehören. Was Apple dann tut, liegt nicht in seiner Hand. Die Entscheidung fällt derjenige, der das Geld ausgibt. Wenn man damit nun gar nicht leben kann, muss man eben die Reißleine ziehen und den Auftrag ablehnen.«

»Design und Verantwortung« – das Thema ist aktuell wie nie und in allen Medien präsent. Woran liegt das? »Nachhaltigkeit ist zum Megatrend geworden«, sagt Florian Haller: »In unserer schnelllebigen Zeit besinnen wir uns zurück auf Dinge, auf die wir uns verlassen können. Sicherheit, Vertrauen und Partnerschaftlichkeit sind Werte, die enorm gestiegen sind, während rei­ner Lustgewinn und die Suche nach Abenteuern an Bedeutung verlieren. Überträgt man das aufs Design, landet man sehr schnell beim Thema ›Design und Verantwortung‹.«

Eine grundsätzliche Verantwortung von Designern sieht Petra Knyrim in der Wahl des Kunden. »Stefan Nowak und ich ha­ben an der Fachhochschule Düsseldorf studiert, und da die Stadt eine Werbehochburg ist, wurden wir auch eher in diese Rich­tung ausgebildet. Während des Studiums haben wir in gro­ßen Agenturen Praktika gemacht und gemerkt: Das ist es nicht. Schon damals war uns klar, es gibt Kunden, für die wir nicht arbeiten wollen. Da verzichten wir lieber auf den Porsche vor der Haustür.« Diese Haltung führt dazu, dass nowakteufelknyrim ab und zu Aufträge ablehnt. »Um uns das leisten zu können, sind wir mit 10 Mitarbeitern bewusst klein geblieben«, so Knyrim. »Wir waren auch schon mal 15, mit Freien sogar 20. Da hat man dann Verantwortung für seine Leute und ist genötigt, Dinge an­zunehmen, die man gar nicht machen will. Deshalb haben wir uns wieder verkleinert. Zu zehnt kann man auch größere Projek­te stemmen, aber der Berg, den man jeden Monat erwirtschaften muss, ist nicht ganz so hoch.«

Aber auch die Münchner Kommunikationsdesignagentur Kochan & Partner, die mit über 60 Mitarbeitern deutlich größer ist, hat ihre Prinzipien: »Wir lehnen konsequent Aufträge von Unternehmen ab, die – durch ihre Produkte oder durch ihr Han­deln – direkt den Frieden auf dieser Welt gefährden, die un­ter menschenverachtenden Bedingungen produzieren oder un­se­re Umwelt aktiv zerstören. Oft fallen alle drei Aspekte ohnehin zusammen«, ist Martina Grabovszky, Managing & Creative Director bei Kochan & Partner, überzeugt. Generell ist es richtig, dass größere Agenturen eher Kompromisse eingehen müssen.

»Wenn wir nur für Auftraggeber arbeiten würden, die edel, gut und hilfreich sind, hätte ich genau zwei Mitarbeiter und einen Hund«

wurde Erik Spiekermann, mit edenspiekermann Chef von rund 100 Mitarbeitern in der »Süddeutschen Zeitung« zitiert. Und wie sieht es bei Serviceplan aus? Würde Florian Haller für die Atomlobby arbeiten, wenn er im Grunde seines Herzens Atomkraftgegner wäre? »Grundsätzlich sollten wir nicht als Mo­ralapostel auftreten, sondern von Fall zu Fall entscheiden. Aber es gibt sicher Grenzen, wo auch ich sagen würde: Hier macht unsere Arbeit keinen Sinn. Wenn man das Gefühl hat nichts Sinnvolles beitragen zu können, sollte man es auch nicht tun.«

Gewissenskonflikte sind Oliver Durant, Director of Animation bei wearecaptive in Lissabon, nicht fremd. Vor Kurzem realisier­te das Animationsstudio den Clip »Total Energy«, der die Ak­tivi­täten und Visionen des Energieriesen mit seinen beinahe 100 000 An­­­gestellten in hübschen, bunten Bildern präsentiert (siehe Galerie). »Es ist sehr wichtig für uns, für welche Kunden wir arbeiten. Vor dem Total-Projekt haben wir ohne Honorar ei­ne Animation für amnesty produziert, in der es um den inhaf­tier­ten tibetanischen Filmemacher Dhondup Wangchen ging – ein Thema, das uns sehr berührt hat. Aber nicht alle Projekte kön­nen so persönlich sein. Wir müssen kommerzielle Aufträge an­­nehmen, um die anderen finanzieren zu können, und die po­si­ti­ven Effekte unserer Jobs für die good guys sorgfältig gegen die negativen Effekte abwägen, die die Arbeit für die bad guys haben kann. Das ist unsere persönliche Robin-Hood-Strategie.«

In den schönen, bunten Bildern des Illustrators Dermott Flynn sieht auch ein Mineralölkonzern wie Total freundlich und harmlos aus.

wearecaptive für den Mineralölkonzern Total
Bild: Illustration: Dermott Flynn
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Wo auf dieser Skala zwischen good und bad guys ist jetzt ein Mineralölkonzern wie Total angesiedelt? Die Kreativen bei
wearecaptive begannen mit einer gründlichen Recherche über das Unternehmen, und natürlich tauchten hinsichtlich der Um­welt- und gesellschaftlichen Auswirkungen eine Reihe frag­­wür­diger Dinge auf. Sollten sie den Auftrag besser ablehnen? »Wir schlugen uns eine Weile mit dieser Frage herum. Allerdings kam es mir auch heuchlerisch vor, ein Unternehmen zu boykot­tieren, dessen Produkte wir in der Vergangenheit alle genutzt haben. Ich kenne Kreative, die davon träumen, mal für einen Kunden wie Honda zu arbeiten. Aber wie umweltfreundlich auch immer sich die Marke präsentiert: Ihre Autos fahren nach wie vor mit Benzin, und so sind sie Mithelfer der Ölindustrie und ein Katalysator für all die Auswirkungen, die diese auf uns hat.«

Wearecaptive nahm den Auftrag an – etwas leichteren Herzens, weil es sich »nur« um einen internen Film handelte, der bei Präsentationen innerhalb der Total-Gruppe zum Einsatz kommt. Ausschlaggebend war letztlich der Gedanke, dass man mehr Einfluss hat, wenn man kooperiert, als wenn man Total boy­kottiert und den Job anderen überlässt. »Auf diese Weise konnten wir ein bisschen was von unserem Ethos und ein wenig Positivität und Kreativität in das Unternehmen hineintragen«, meint Oliver Durant. In der Tat war die Führungsebene von dem fast sechsminütigen Video begeistert. »Die Tatsache, dass ein großer Konzern sich in eine kreative Animation verliebt, ist absolut begrüßenswert«, so Durant. »Wir arbeiten mit talentier­ten Menschen zusammen, die das, was sie tun, reflektieren und denen es nicht nur ums Geld, sondern primär um Kre­a­tivität ­geht – zum Beispiel dem Illustrator Dermott Flynn, der die Bil­der gezeichnet hat. Wenn ein Projekt wie das für To­tal sol­che Leute unterstützt, ist das für mich eine gute Sache.«

Das in Deutschland produzier­te Buch über den Künstler Thomas Stricker kostete in der Herstellung pro Stück 50 Euro, in China wären es 9 Euro gewesen. Trotzdem hat nowak­teufe­l­knyrim noch nie ein Buch in China drucken lassen.

Wo zieht man die Grenze? Wenn man nicht länger für Energiekonzerne arbeitet, darf man auch nicht mehr Jobs aus der Automobilbranche annehmen und so weiter. Einen Auftrag der Rüstungsindustrie abzulehnen, mag ja eine klare Sache sein, an­dere Fälle dagegen weniger. Was ist zum Beispiel mit IKEA, ei­nem Superkunden für Kreative, der ausgefallenen Ideen immer offen gegenübersteht und sich seine Kommunikation einiges kosten lässt? Das Unternehmen präsentiert sich nach außen sehr sympathisch. Glaubt man der Markenkommunikation, geht es in der IKEA-Familie noch gemütlicher zu als in Bullerbü. Glaubt man allerdings dem Buch »Die Wahrheit über IKEA« des ehemaligen IKEA-Managers Johan Stenebo, stehen Mitarbeiter­bespitzelung, Urwaldrodung, Kinderarbeit und Steuerflucht auf der Tagesordnung. Ist es da vertretbar, eine Kampagne zu entwickeln, die das Heile-Welt-Image puscht? Von den deutschen und schwedischen Agenturen, die für IKEA arbeiten, war niemand bereit, über dieses Thema zu sprechen. Was ja dann irgendwie auch eine Aussage ist.

Florian Haller plädiert für einen entmoralisierten Umgang mit solchen Fragen. »Jedes Unternehmen, jede Marke hat Problemstellen, aber Werbung ist ja nun mal kein Dokumentarfilm.

Unsere Aufgabe ist es, die Stärken, die positiven Seiten und die Chancen in den Vordergrund zu stellen.

Es gibt nur wenige Mar­ken, die einwandfrei ethisch sind und dazu hundertprozentig nachhaltig. Wichtig ist, dass sie authentisch sind. Man kann heute kein Erscheinungsbild entwickeln, das völlig neben der Realität einer Marke liegt. Hätte Schlecker vor einigen Jahren mit den freundlichen Kollegen und dem tollen Umgang mitei­nan­der geworben, wäre das binnen kürzester Zeit dekuvriert und über einen Shitstorm im Netz verbreitet worden. Da muss man als Marke heute sehr aufpassen. Kommunikation und Realität dürfen nicht dramatisch voneinander abweichen.« Dementsprechend verläuft die Grenze für Haller genau dort, wo er das Gefühl hat, nicht mehr authentisch zu sein. »Weniger aus der moralischen Perspektive heraus, die steht uns gar nicht zu. Ich würde dem Kunden klarmachen, dass diese Kommunikation für ihn keinen Sinn macht, nicht zielführend oder vielleicht sogar kontraproduktiv ist.«

Ecodesign statt Ökodesign: Der Anglizismus hilft Gestaltern, das Thema in der Gesellschaft und beim Kunden positiv zu be­set­zen und ökologisches Bewusstsein vom Rau­sche­bart- und Bir­­kenstock-Image zu befreien. »Verwendet man heute das La­bel ›Öko‹, stellt sich zwangsläufig das Bild vom selbst gestrick­ten Pulli tragenden Althippie ein, der eher rück- als fortschrittlich daherkommt«, sagt Günter Horntrich, der an der Köln International School of Design die einzige deutsche Professur für Öko­logie und Design innehat. »Bei ›Eco‹ verhält es sich anders herum. Versieht man sein Produkt mit diesem Zusatz, impliziert man, dass es allen aktuellen und künftigen Anforderungen an Umweltverträglichkeit entspricht und trotzdem keine Wünsche in puncto Ästhetik oder Anwendbarkeit offenlässt. ›Eco‹ ist somit das Anzeichen nachhaltig gestalteter Produk­te für den Verbraucher und das Ideal, das der Gestalter versucht zu erfüllen.«

Manch ökologisch produzierendes Unternehmen hängt dies bewusst nicht an die große Glocke, um eben nicht in die Ökoecke gedrängt zu werden. Eines von ihnen ist die Büttenpapierfabrik Gmund. Was der Papierhersteller vom Tegernsee in den vergangenen zwan­­zig Jahren in Energiesparmaßnah­men und umweltfreund­liche Produktion investiert hat, ist vorbildlich. Trotzdem verkauft er seine Papiere nicht unter ei­nem Öko-, Pardon, Eco-Label, denn das würde die internationalen Glitzerunternehmen wie Ferrari, das Filmfestival de Cannes oder die Veranstalter der Oscar-Verleihung, die zu seinen Kunden gehören, eher abschrecken. »Wirklich umweltfreundliches Papier sollte nicht hergenommen wer­den, weil es umwelt­freund­lich, sondern weil es eine Bereicherung ist«, meint Gmund-Geschäftsführer Florian Kohler.

Bei ihrer Product-fit­ness-80-Serie verbraucht die japanische Marke Muji 20 Prozent weniger Material als ver­gleichbare Produkte.

Für Kreative bedeutet das: ökologisch gestalten – ja, den Kun­den auf alle Möglichkeiten hinweisen – ja, Ökologie als Verkaufs­argument nutzen – eher nein. Schließlich sollte Nachhaltigkeit selbstverständlich sein. »Ökologisches Design wird künf­tig als der Schlüssel zur Veränderung angesehen werden«, ist Günter Horntrich überzeugt. »Denn die Gestaltung entscheidet maßgeblich über die ökologischen und sozialen Auswirkun­gen eines Produkts – und zwar über den gesamten Lebenszyklus hinweg: in der Herstellungs-, Gebrauchs-, Rückführungs- und Entsor­gungs­phase. Die Möglichkeiten, ökologisches Design zu realisie­ren, sind breit gefächert. Sie reichen von der Auswahl verträglicher Materialien über Konstruktion und Gebrauchsbedingun­gen bis hin zur späteren Weiterverwendung und -verarbeitung sowie der umweltgerechten Entsorgung.« Ökologisches Design könne der Kreative also als Herausforderung begreifen, die ihn zu Innovationen antreibe und ihm neue Arbeitsfelder und Gestaltungsmöglichkeiten eröffne.

Bei nowakteufelknyrim ist Umweltbewusstsein selbstverständlich; sowohl was das Verhalten der Mitarbeiter angeht – sie trinken Fair-Trade-Kaffee, beziehen Ökostrom, trennen den Müll und fahren Fahrrad – als auch beruflich. »Wir machen gerade den Katalog zum Buchdesignwettbewerb der Stiftung Buchkunst und hatten uns fest vorgenommen, dass es das erste, zu 100 Pro­zent klimaneutrale Buch wird«, erzählt Petra Knyrim. »Leider mussten wir feststellen, dass sich das noch gar nicht realisieren lässt. Es gibt zu viele Zwischenwege und -lieferan­ten, die wir gar nicht kontrollieren können.«

Gerade bei Büchern ist nowakteufelknyrim sehr sensibel, was die Produktion angeht. »Wir haben noch nicht in China drucken lassen, auch wenn die Versuchung groß ist. Der Band ›Skulpturale Fragen‹ von Thomas Stricker, den wir gerade fertiggestellt haben, kostete in der Produktion 50 Euro. Bei den Büchern, die die Agentur aus der Nachbarschaft in China hat drucken lassen, sind es 9 Euro. Und ein Laie sieht nicht mal den Unterschied.« Trotzdem wollen die Düsseldorfer ihren Prinzipien treu bleiben, wenn auch nicht sklavisch. »Für kleine Kunden mit sehr wenig Geld haben wir auch schon bei Online-Druckereien produzieren lassen, obwohl wir wissen, dass die Herstellungsbedingungen dort nicht ideal sind und sie zum Beispiel auf Gefängnisdruckereien zurückgreifen.«

Gutes Design ist verantwortunsgvolles Design. Und De­sig­ner tragen eine Menge Verantwortung: Für die ökologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen ihres Handelns, für den Kundenauftrag, die Mitarbeiter und nicht zuletzt für sich selbst und die eigene Kreativität. Sie leisten ihren Dienst an Gesellschaft und Umwelt, indem sie Einfluss darauf nehmen, dass Produkte und Projekte entstehen, die nicht nur gut aussehen und gut fun­ktionieren, sondern auch auf einer soliden wirtschaftlich­en Basis stehen und ökologisch sowie sozial verträglich sind.

Das ist oft unbequem, aber notwendig.

Sich auf einen »Das geht mich alles nichts an«-Standpunkt zurückzuziehen, kann man sich heute weniger leisten denn je. Es sei denn, man heißt Alessandro Manzini. Der Designer von Land­minen ist besonders stolz auf seine kleinen, farbenfrohen Schmetterlingsminen. Zu trauriger Berühmtheit brachte er es durch ein YouTube-Video, in dem er gefragt wurde, was wäre, wenn ein Kind diese bunten Dinger aufhebe. Er antwortete darauf lediglich mit einem Achselzucken: »Ich bin nur ein De­signer, ich designe.«

Gut wäre es also, wenn Kreative und Kunden nachhaltiges Gestalten nicht als Last, sondern als Chance und möglichst bald als völlig normal ansehen würden, zumal Unternehmen wie Freitag, New Balance, Gmund oder Muji beweisen, dass Nachhaltigkeit und Profit sich keinesfalls ausschließen müssen.

Am Ende stünde für uns alle dann gutes Design und eine nicht nur schöne, sondern auch ein bisschen bessere Welt.

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2 Nachklingen lassen

Stefan Wölwer, Interaction Designer und Professor an der HAWK Hildesheim, plädiert für mehr Musikalität in der Nachhaltigkeitsdiskussion

Dass wir uns über Nachhaltigkeit im Design überhaupt unterhalten müs­­sen! Jeder Gestaltungsprozess be­in­hal­tet selbstverständlich auch die Be­­rück­sichtigung von Ressourcen und sollte demnach über das bloße Gestalten von Formen und Flächen hinausgehen. De­­sign muss immer auch die Umwelt ei­nes entstehenden Produkts und des spä­­teren Nut­zers bedenken.

Da in der Praxis aber oft nur auf die schöne Ober­fläche geachtet wird, schadet es nicht, wenn wir noch mal darüber sprechen. Richtig spannend wird es ja, wenn wir den Begriff der Nachhaltigkeit einmal aus dem Diktat der ökologisch fo­ku­ssierten Definition herausnehmen und diesen – ganz musikalisch (aus dem en­glischen sustain) – als natürlich nach­klingenden Wert des Designs für uns alle betrachten. Design sollte ei­nen fortlaufenden Nutzen für den Anwender darstellen.

Das betrifft besonders die digitalen Medien, die ein fast un­­begrenztes Nachklingen ermöglichen. Wie aber lässt sich eine derart beschriebene Nachhaltigkeit gewährleis­ten? Da kommt jetzt das Interaction De­sign ins Spiel. Hier verstehen wir es, Pa­­ra­meter zu bestimmen, Prozesse zu pla­nen und die Partitur zu schreiben. Und wir haben ein sehr gutes Verständ­nis von Technologie und deren kreati­vem Potenzial.

Deshalb können Interaction Designer wesentlich zur Thematik Nachhaltigkeit und Verantwortung bei­tragen. Sei es nun bei der Interaktion im Raum, mit Objekten oder zwischen Menschen und den Systemen, die sie bedienen.

Sicher, zu Beginn habe ich darauf hingewiesen, dass dies grundsätzlich für das gesamte Design gilt. Aber Interaction Designer legen nun mal bereits von Haus aus den Fokus auf den Ablauf der Dinge und die aktive Einbeziehung des Anwenders. Dann klingt’s auch gut!

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3 »Designer haben keine Ahnung, was Nachhaltigkeit wirklich bedeutet«

Michael B. Hardt studierte Grafikdesign in Saarbrücken und machte sich 1977 als Designberater selbständig. Von 1992 bis 1994 war er Chairman des Bureau of European Designers Associations und von 1995 bis 1997 Icograda-Vizepräsident. 2002 verlieh ihm die Nationale Akademie der Küns­te im norwegischen Bergen eine Professur. Derzeit lehrt er an der Universität von Lapp­land im finnischen Rovaniemi, wo er zum Thema Designzukunft und Nachhaltigkeit pro­moviert. Damals erschien sein zusammen mit Joachim Kobuss verfasstes Buch »Erfolgreich als Designer – Designzukunft den­ken und gestalten«. Michael B. Hardt lebt schon seit vielen Jahren in Skandinavien. Damals verlegte er seinen Wohnsitz in die schwedische Provinz Västernorrlands län. Im Winter wohnt sein nächster Nachbar zwölf Kilometer entfernt, dort befindet sich auch der Briefkasten der Familie Hardt.

Was verstehen Sie unter nachhaltigem Design?
Michael B. Hardt: Sustainable Design ist eine Leerformel, ein Pleonasmus. In seinem Buch »Sciences of the Artificial« von 1969 definierte Herbert A. Simon: »Design beschreibt Maßnahmen, die darauf abzielen, bestehende in präferierte Situationen zu verändern.« Eine nicht nachhaltige Lösung kann niemals eine präferierte Situation her­beiführen, somit ist Design per se nachhaltig. Auch der Begriff Design ist eine Worthülse. Was wir heute als Design bezeichnen, ist allenfalls Dekoration. Den Beruf des Designers gibt es noch nicht, er ist erst im Entstehen begriffen. Noch fehlen die weltweit anerkannten Definitionen für ihn. Der De­signer des 21. wird mit dem Pseudode­signer des 20. Jahrhunderts nicht mehr viel gemeinsam haben.

Ist es »böses Design«, wenn man für Kunden arbeitet, hinter deren Produkten man nicht steht, um seine Mitarbeiter auch weiterhin angemessen bezahlen zu können?
Auf jeden Fall. Allerdings muss man fragen, ob es sich dann überhaupt um Design handelt. Aber nennen wir es einmal fälschli­cher­weise Design. Dann leistet der Gestalter Bei­hilfe zum Betrug und in manchen Fäl­len sogar Beihilfe zum Totschlag. Es scheint, dass die Mehr­zahl der Designer des 20. Jahrhunderts nichts aus der Erfahrung des Dritten Reichs gelernt haben: Man unterstützt blind be­geistert und entsprechend unkritisch ein perverses Sys­tem, und im selte­nen Falle eines kritischen Hinterfragens be­ruft man sich auf Befehlsnotstand – wovon soll man leben?

Das sind schwere Vorwürfe.
Sie finden diesen Vergleich eine Zumutung? Denken Sie doch mal nach: Designer tragen erhebliche Mitverantwortung an den gro­ßen Problemen in dieser Welt. Es gibt eine Rei­he namhafter Wissenschaftler, die he­raus­gefunden haben, dass wir 90 bis 95 Pro­zent unseres Verbrauchs sparen könnten, ohne auf Lebensqualität verzichten zu müs­­sen. Anstatt zur Lösung der globalgesell­schaft­lichen Aufgabe beizutragen, wie die wachsende Menschheit bei abnehmenden Ressourcen und zunehmenden Klimaschäden überleben kann, gefallen sich die Kreativen in der Rolle der Hofnarren und gestalten bun­te Illusionen, die das System der Wegwerfgesellschaft weiter anheizen, statt nützliche Visionen zu entwickeln.

Das heißt, Kreative haben in Sachen Nachhaltigkeit noch einiges zu lernen?
Designer haben keine Ahnung, was Nachhaltigkeit wirklich bedeutet. Um nachhaltig gestalten zu können, muss man zuerst einmal begreifen, was Nachhaltigkeit ist, wie sie fun­ktioniert und wie man sie künstlich schaf­fen kann. Dies lernt man nicht in einem Wochenendseminar. Ich rate dringend davon ab, den Begriff Nachhaltigkeit als leeres Marketingversprechen zu propagieren. Das Thema ist zu wichtig, um es zu verramschen. Der entstehende Beruf des Designers ris­kiert sonst damit seine Glaubwürdigkeit. Erst wenn man Nachhaltigkeit gelernt hat, kann man sie in die Arbeit integrieren.

Was raten Sie Designern?
Keine Zwitterlösungen zu suchen. Entweder konsequent weiterzumachen wie bisher oder konsequent neu anzufangen. Das setzt allerdings voraus, den Beruf neu zu lernen. Ich habe das in den letzten drei Jahren gemacht und bin immer noch dabei. Das Umdenken ist nicht einfach. Der größte Markt des 21. Jahrhunderts wird der Umbau unse­rer Gesellschaft von einer massenkonsu­mie­renden Wegwerf- hin zu einer nachhaltig effizienten Nutzengesellschaft. Damit verbunden ist auch das Beheben der sozialen, ökologischen und ökonomischen Schä­den. Der Designer des 21. Jahrhunderts wird an dieser Aufgabe entscheidend mitwirken und davon profitieren. Der Designer des 20. Jahrhunderts hat hingegen erheblich zu den genannten Schäden beigetragen. Er ist ein Auslaufmodell.

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