Visual Trend: Urban Nature
Betonlandschaft versus grüne Wildnis: Aus dem Gegensatz zwischen Stadt und Natur lassen sich neuartige, inspirierende Bildsprachen entwickeln. Wir zeigen spannende Beispiele, die das visuelle Cross-over dieser heterogenen Welten für die Kommunikation nutzen.
Viel überzeugender bewegt sich Bacsac, der französische Hersteller textiler Pflanzgefäße, im visuellen Spannungsfeld urbaner Natur (siehe unten). Die Marke nutzt die Stadtlandschaft, um die eigenen Produkte wirkungsvoll in Szene zu setzen. Zu den komponierten Bildwelten gehört eine Dachterrasse mit Häusermeerblick. Geprägt von Waschbetonplatten und Metallgittern, ist sie – für sich betrachtet – wenig idyllisch. Durch die minimalistischen Pflanzsäcke und die wuchernde Begrünung wirkt das Ganze jedoch, als hätte sich hier jemand mit wenig Aufwand eine wahre Oase inmitten einer Steinwüste geschaffen. Mit dieser visuellen Sprache vermittelt die Marke Bacsac zudem auf prägnante Weise ihr erklärtes Ziel, die Natur in die Stadt zurückzubringen – es geht ihr eben nicht nur um private Wohlfühlzonen, sondern zugleich um das große Ganze.

Zauber des Gewöhnlichen

»Everyday Florals, Green Grasses, and Woody Earth Notes« – so umschreibt das Parfumstudio J.Pera aus Los Angeles die Duftkomposition Jardin. Das ihr zugrundeliegende Konzept widmet sich der »virtue in the ordinary«, was auch die Fotografien zum Launch des Produkts vermitteln. Ein einfaches kleines Gebäude, davor ein herabgerollter hellblauer Shooting-Hintergrund, der sich als solcher zu erkennen gibt; als Ständer für Pflanztröge ein alter Bürohocker – Inbegriff urbanen Alltags – oder ein Stapel leerer Plastikeimer, an dem noch Farbreste kleben. Bei aller Normalität der Gegenstände sind diese Stillleben dennoch sorgsam arrangiert und farblich fein nuanciert, wobei der Kontrast aus natürlich gewachsenen und industriell gefertigten Formen einen ganz eigenen Charme entfaltet. Gewöhnliches kann ungewöhnlich schön sein, zeigt J.Pera und weckt damit die Neugier, hierzu die Analogie im Reich der Düfte mit der Nase zu erkunden.

Auf den Verpackungen steht an prominenter Stelle »Hand Made and Compounded in L.A.«, was die urbane Herkunft des Produkts betont. Das Label wurde 2020 vom Künstler und Parfumeur Jill Zachman gegründet. Beim Kreieren der Düfte unterstützt ihn Carlos Avila, Creative Director von J.Pera. Der Auftritt des Studios bietet insgesamt eine eigenständige Ästhetik – ein spannendes Kontrastprogramm zum branchenüblichen visuellen Parfumpathos.

Gut gestylt gärtnern

Auch beim Säen, Graben, Jäten, Rupfen und Zupfen braucht man sein Modebewusstsein nicht mehr an den Nagel zu hängen. Das Fashionlabel Flora Animalia aus Los Angeles hat als Zielgruppe die wachsende Schar der Städter:innen mit grünem Daumen im Blick und bietet chic geschnittene, bequeme Kleidung aus Leinen und ökozertifizierter Baumwolle an, mit der man gut gestylt gärtnern kann.
Gründerin Rozae Nichols hat schon zuvor große Erfolge gefeiert, etwa mit der Marke Clover Canyon, deren Kleider etwa Michelle Obama, Beyoncé oder Oprah Winfrey trugen. Als sie Flora Animalia aus der Taufe hob, suchte sie hierfür einen besonderen Ort: einen Hybrid aus Workspace und Urban Garden mitten in L.A. Auf dem Hinterhof eines früheren Fischhandels ließ sie Kanalbaubetonrohre senkrecht platzieren, um sie als Hochbeete zu nutzen. In den skulpturalen Kreisformen baute das Team unter anderem Karotten, Mais, Kürbisse, Bohnen, Blattgemüse oder Granatäpfel an. Dieses moderne Paradies zwischen Strommasten und altem Gemäuer nutzte die Marke auch für ihren Imagefilm, der in Kooperation mit Mercy For Animals entstand: In traumähnlichen Zeitlupenbildern zeigt er die kollektive Freude am Urban Gardening und lenkt den Blick zugleich auf die Details der Schnitte und deren Funktionalität.

Vor Kurzem ist das sechsköpfige Team in andere Räume umgezogen, bleibt dem Thema Gärtnern aber weiterhin treu. »Der Garten ist zu einer Art Metapher für meine Sehnsucht geworden, ein einfacheres, reduzierteres Leben zu gestalten und zu führen«, erklärt Rozae Nichols auf der Website. »Getting Back to Nature« ist aus ihrer Sicht heute so dringend erforderlich und bedeutsam wie nie zuvor. Auch in der neu bezogenen Location veranstaltet Flora Animalia deshalb Workshops und Events, die sich mit Themen wie pflanzenbasierter Lifestyle, Umweltschutz oder Tierrechte befassen. Für Rozae Nichols ist das Modelabel eine Art Werkzeug, ihren eigenen Überzeugungen Ausdruck zu verleihen und die Hinwendung zur Natur zu fördern.

Begrünte Begegnungsorte
Ob New York, Stockholm, Mailand, London oder Dublin – an all diesen Orten hat Vestre stilvolles Stadtmobiliar für soziale Treffpunkte platziert. Neben Bänken, Tischen, Stühlen oder Lounge-Chairs hat das in Norwegen ansässige Unternehmen auch verschiedene Pflanzkästen im Programm, die sich mit den urbanen Möbeln perfekt kombinieren lassen. Der Katalog von 2022 trägt den Titel »re-connect«, was die Ziele auf den Punkt bringt: Zum einen will die Marke durch die Gestaltung von Orten, an denen Leute zusammenkommen können, Sozialkontakte und Teilhabe an der Gesellschaft fördern, zum anderen geht es darum, den Menschen wieder mehr Bezug zur Natur zu ermöglichen. Vestre hat zum Beispiel eine Bank namens Log entwickelt, die es erlaubt, einen abgestorbenen liegenden Baumstamm oder einen Stapel Äste einzurahmen, sodass man von ihr aus den langsamen Zersetzungsprozess verfolgen kann. Dies soll deutlich machen, dass alte Bäume für den Erhalt der biologischen Vielfalt von großer Bedeutung sind, da sie Lebensraum für Insekten, Pilze, Flechten, Moose und Pflanzen bieten.

Das Unternehmen hat sich zum Ziel gesetzt, der nachhaltigste und transparenteste Möbelhersteller der Welt zu werden – im Juni 2022 eröffnete Vestre 100 Kilometer westlich von Oslo eine neue Fabrik, die 90 Prozent weniger Energiebedarf als vergleichbare Produktionsstandorte hat. Der hohe Designanspruch und die nachhaltige Ausrichtung des Unternehmens spiegeln sich auch in der visuellen Kommunikation wider. Die Bildwelten zeigen zum Beispiel das Potenzial der Pflanztröge aus den Serien Bloc, Stripes und Pop, mit denen sich die Natur auf markante Weise in die Stadt integrieren lässt. Außerdem gelingt es Vestre, Alltagsszenen als besonders wertvolle Momente erscheinen zu lassen. Das Bild eines familiären Picknicks im Park – an einem Tisch mit zwei Bänken aus der Plinth-Serie – wirkt wie zufällig aus dem echten Leben gegriffen, erweist sich bei näherer Betrachtung jedoch als perfekte Inszenierung, deren präzise aufeinander abgestimmten Farbtöne eine magische Atmosphäre erzeugen. So gelingt es der Marke, Quality Time jenseits von Klischees darzustellen – und zu zeigen, dass Vestre durch die Verbindung von Produktgestaltung und Social Design die Lebensqualität verbessert.

Dieser Artikel ist in PAGE 04.2023 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.



