PAGE online

Sucuk und Bratwurst – Kings of cool

Von Mainz nach Berlin und in die Welt hinaus: Die 3D-Visionen von Sucuk und Bratwurst sind gefragt wie nie und so unique wie die vier Freunde selbst. Wir haben das Kreativkollektiv in Berlin besucht

Sucuk und Bratwurst
Vorhang auf für Alexander Wang, für den Sucuk und Bratwurst Plakate und 3D-Anima­tionen entwirft – und das mit Style und mit Humor

Bester Berliner Altbau, hochherrschaftlich mit Stuck an den Decken und dazu rohe Wände. Der perfekte Mix aus imposant und rotten samt Sportgeräten und dem Designersofa Togo. In der Küche steht Denis Olgac und schnippelt Früchte für die Frühstücksflocken, die auf dem Herd köcheln, sein Bruder Lukas kümmert sich ums Wasser, und Josefine Kidon-Selzer, seit Februar für Projektmanagement und Kommunikation zuständig, wirft noch einen kurzen Blick auf ihr Phone.

Bei Sucuk und Bratwurst liegen Job und Privatleben eng beieinander. Am Ende des Flurs der Brüder-­WG stehen zwei Tische vorm Fenster, ein paar Rech­ner darauf, die Wände sind kahl. Aufs Wichtigste konzentriert ist das Arbeitszimmer, in dem sie in andere Welten abheben. Dorthin, wo silbrig glänzende Cyborgs im Licht eines Sonnenuntergangs baden, eine Orange wie ein Planet durchs All schwebt und ein Heißluftballon mit Saturnring und Herz über einen aalglatten Ozean. Wo rot und blau leuchtende Röntgenskelette sich in den Armen liegen und eine schimmernde Kobra mit aufgerissenem fliederfarbenen Maul zischt.

Sucuk und Bratwurst
Mit Arbeiten wie dem Print »Born To Cuddle Ready To Die« mischen sie in der Kunstszene mit

Rein ins Auge von Will Smith: 3D-Animation für Moncler

 

Sucuk und Bratwurst

Sucuk und Bratwurst

Sucuk und Bratwurst
Rein ins Auge von Will Smith und mitten durch seine Synapsen: Die 3D-Animation für Moncler fasziniert durch Kamerafahrt und perfekten Rhythmus (zu sehen unter https://is.gd/WS_moncler)

Sucuk und Bratwurst – von Tumblr zu Dior

»Überperfektionistisch« nennt Denis den Sucuk-und-Bratwurst-Stil, »sehr clean und aufgeräumt«. Von anderen wird er auch schon mal als hypnotisch beschrieben oder als »Dystopian Gothic«. Dabei wollen die vier sich keinesfalls festlegen. Viel lieber sind sie ganz sie selbst. Und so unique wie ihre schon legendäre Geschichte, die bis in die Marienkäfergruppe eines Mainzer Kindergartens führt. Seite an Seite pinkelten Lukas Olgac und Alessan­dro Belliero dort vom Klettergerüst und sind seither unzertrennlich. Später kam noch Lukas’ jüngerer Bruder Denis dazu und dann dessen Schulfreund ­David Gönner.

Zu viert tauchten sie in die Graffitiszene ein, malten als Crew und fanden irgendwann, »dass es cool wäre, nicht immer nur Geld für all das auszu­geben, sondern auch welches damit zu verdienen«. So starteten sie 2012 ihren Tumblr-Blog, nannten ihn Sucuk und Bratwurst, posteten Grafikdesign, Renderings und Fotomontagen und warfen sich selbst in Pose. Als sie begannen, mit 3D zu experimentieren, fragte das »adidas Originals Magazin« ei­nen Bildbeitrag zum Thema Zukunft an. Die Aufträge wurden mehr, und Denis und Alessandro brachen ihr Studium an der Hochschule für Gestaltung Offenbach ab. Jetzt sind die vier Ende zwanzig und Valentino, Alexander Wang, Moncler und Dior gehören zu ­ihren Kunden. Nike sowieso, das Musiklabel Live from Earth, der Hip-Hoper Yung Hurn, Bilderbuch und auch Lena Meyer-Landrut. Sie sind in der freien Kunst unterwegs – und werden für ihre 3D-Visuals und Anima­tionen gefeiert.

Sucuk und Bratwurst

Sucuk und Bratwurst
Für Valentino hingegen ließen die Gestalter formvollendet Blumen regnen und sprießen (https://is.gd/Valentino_Bag)

In 3D abheben für Moncler, Valentino oder Alexander Wang

Für das italienische Modelabel Moncler ließen sie eine Kamera beständig ins Bild hineinfahren, in das Auge von Will Smith und an unendlichen Kopien von ihm entlang, bis sie schließlich mit einem form­vollendeten Zoom auf dem Logo landeten. Bewegung und Timing der 3D-Animation sind so perfekt, dass man immer wieder auf Repeat klickt. Lange haben sie daran gefeilt, sagen sie, am Ende aber verlassen sie sich immer ganz auf ihr Gefühl. Wie bei den ­Garavani Bags, die sie für Valentino in Bewegung setz­ten. Sie ließen Äste und rosa Blüten über die Luxustaschen ranken oder sie mit Blumen in Schwarz und Weiß durch die Lüfte fliegen. Für Alexander Wang steckten sie Eiswürfel in Brand und antworteten auf das Briefing, eine Daunenjacke »fluffy and unexpec­ted« zu inszenieren, mit einem Knalleffekt: Ein Jackenärmel bläht sich auf, platzt und Popcorn fliegt hoch und einem entgegen.

Genauso steil geht auch ihr Weg nach oben. Digitale Arbeiten sind begehrter denn je, die Anfra­gen werden immer mehr. Oft geht es darum, Pro­duk­te in 3D zu visualisieren, aber verstärkt auch um Lookbooks. Schließlich braucht man in Zeiten der Pandemie so kein Set mit vielen Leuten. Deshalb interessieren sich neben Sportbrands zunehmend gro­ße, klassi­sche Marken für das Digitale. Diesen muss man allerdings erst einmal erklären, wie das überhaupt funktioniert. »Wir hatten Gespräche, die ei­nem Crash­kurs gli­chen«, sagt Josefine. »Selbstverständlich braucht man für ein Shooting nicht mehr nach Kapstadt zu fliegen und hundert Leute zu beschäftigen. Das kann man auch zu Hause mit einem wesentlich kleineren Team und ein paar Rechnern machen.« Nur dass auch das sehr viel Arbeit bedeutet und nicht unbe­dingt schneller oder günstiger ist, das müssen diese Brands erst einmal verstehen.

Sucuk und Bratwurst

Sucuk und Bratwurst

Überraschungseffekt für den New Yorker Modemacher Alexander Wang: Statt Daunen schießt Popcorn aus der animierten Jacke (https://is.gd/AW_popcorn)

Sucuk und Bratwurst: Im Kollektiv kreativ

Ob Lookbook oder Animation, alle Arbeiten von ­Sucuk und Bratwurst entstehen gemeinsam. Auch bei Telefonaten mit den Auftraggebern sind sie nach Möglichkeit geschlossen dabei. »Schon deshalb, weil dann immer jeder auf demselben Stand ist«, sagt Lukas. Vor allem aber, weil sie ein Team sind. Ein Kreativkollektiv, wie sie sagen. Jeder ist gleichberechtigt und »jenseits von Strukturen zu arbeiten ist absolut wichtig für uns«, meint Denis. Sie wollen ihre Freiheit, sind Familie und keine Businesspartner. Und wenn sie mal nicht auf einen gemeinsa­men Nenner kommen? »Dann sagen wir uns einfach direkt unsere Meinung. Da fühlt sich niemand persönlich angegriffen, wir kennen uns ja schließlich schon ewig.«

Entdeckt einer von ihnen etwas Interessantes, ob das im Internet oder auf der Straße ist, ein Still, einen Schatten oder ein Foto von ASAP Rocky, der sich Augen auf die Fingernägel gepinselt hat, dann schickt er es herum. Auch wenn einer eine Idee hat und einfach loslegt. »Dann heißt es entweder ›Wow!‹«, sagt Lukas, »oder wir diskutieren, ob es besser funktioniert, wenn wir die Textur ändern oder das Licht.« So entwickeln sich dann nach und nach die Bilder, »bis sie eine gewisse Stärke haben und wir finden, dass sie jetzt richtig geil geworden sind«. Hauptsächlich arbeiten sie in der 3D-Software Blender. Fehlt ihnen mal ein Skill, eignen sie sich diesen unterwegs an. Per Google, Trial and ­Error oder mit YouTube-Tutorials. »Zwischendurch heißt es dann immer ›Ej, wie soll das denn gehen?‹ oder ›Ej, spul’ noch mal zurück!‹«, lacht Denis und zieht das Ej ganz lang.

Sucuk und Bratwurst
Humor zeigt auch die Selbst­darstellung der vier als klassische Skulpturen­gruppe

Sucuk und Bratwurst

Sucuk und Bratwurst
Denis Olgac im legendären »Smoking« von Sucuk und Bratwurst, der zum Merchandise des Kreativkollektivs gehört. Genauso wie der fünfköpfige Schwan, bei dem die Hydra, gegen die Herkules kämpfte, Vorbild war und der kuschelig und gefährlich zugleich ist

Ihr wichtigstes Tool: Die Macht der Bilder

In Sachen Social Media allerdings muss ihnen niemand mehr etwas beibringen. Instagram ist heute ihr wichtigstes Tool. Verlinken sie ihre Artworks schon mal mit Leuten, die sie interessant finden, generieren sie mit ihren 65 000 Followern quer durch die Design-, Kunst- und Fashion-Szene mittlerweile selbst jede Menge Aufmerksamkeit.

Dass Labels wie Alexander Wang sie über Instagram kontaktieren, ist Standard, »die Website spielt keine große Rolle mehr«, sagt Josefine. Umso mehr aber Motive, die in der täglichen Bilderflut nicht unter­gehen. Sie müssen mit einem Blick zu erfassen und gut ausgeleuchtet sein, sagen sie. Nichts darf Schatten werfen und die Form muss gut erkennbar sein. Sie dürfen keinen unruhigen Hintergrund haben und so noch nicht dagewesen sein. Das googeln sie dann.

Auch Gegensätze ziehen an: Mal mergen sie einen Dobermann und einen Chihuahua, mal entwerfen sie aus Plüsch einen fünfköpfigen Schwan. Der ist Kuscheltier und Ungeheuer zugleich. Manchmal sind sie aber einfach nur albern. Wenn sie einen Croc aus Emmentaler schnitzen. »Da waren die Löcher schon drin«, lacht Lukas. Als »Cheese Feet« haben sie ihre Käseskulptur auf Instagram gepostet.

Sucuk und Bratwurst
Harte Schale, zarter Kern: Für ihr aktuelles Album »Only Love, L« verwandelten die Kreativen die Sängerin Lena Meyer-Landrut in einen Cyborg, geklont mit schönstem Porzellan

Sehen & gesehen werden: mittlerweile selbst ein Brand

Vor allem aber zeigen sie sich auch selbst. Wer hinter Sucuk und Bratwurst steht, das ist so bekannt wie die Arbeiten selbst. Sie posen mit einrasierten Alienaugen im knallgrün gefärbten Haar, mit Maulkorb und Vorhängeschlössern, auf denen »Don’t worry« steht – und im eigenem Merchandise. Die ­T-Shirts mit ihrem Logo im Death-Metal-Stil sind heiß begehrt. Nicht, dass den einer von ihnen hören würde. Es sah einfach gut aus. Sie modeln in »Never Trust Nobody«-Hoodies, auf denen eine rote Rose bittere Tränen weint, mit silbernen Ringen im ­Stacheldraht-Fuck-Finger-Look und im »Smoking«, ei­nem Anzug im Zigaretten-Design. Der ist gerade ausverkauft – wie vieles andere auch. Schließlich sind sie mittlerweile selbst ein Brand. Und ein sehr angesagter dazu.

Ihr Stil trifft einen Nerv, ihre Attitude ist auf den Punkt. Irgendwo zwischen cool und nahbar, selbstbewusst und charmant. »Mama we did it«, haben sie zu ihrem Meeting mit dem Alexander-Wang-Team in New York geschrieben und sind später mit Victory-Zeichen an der Shibuya Crossing in Tokio zu sehen, der berühmtesten Straßenkreuzung der Welt. Dort wurde der neue Wang-Store im Shopping-Palast Shibuya Parco eröffnet – mit ihren Animationen. Jede Viertelstunde flimmerten sie fünf Sekunden lang über die Kreuzung mit ihren Tausen­den Fußgängern. »Gucci hatte sogar 30 Sekunden. ›Wow, dachten wir, die haben richtig geblecht‹«, lacht Denis. »Natürlich war es sau-nice, dorthin zu fliegen, aber auch stressig.« Sie wollten alles bestmöglich festhalten, doch immer lief einer ins Bild oder ging irgendwas anderes schief. Auf dem Foto, das sie unter einem ihrer Plakate zeigt, die dort über­all hingen, lächeln sie allerdings ganz entspannt. »Dass war natürlich das Ziel«, lachen sie.

Sucuk und Bratwurst
Erfolgsteam, aber vor allem Familie: Sucuk und Bratwurst nennen sich Brüder, auch wenn nur zwei von ihnen es sind, Denis und Lukas Olgac in der Mitte, links David Gönner und Alessandro Belliero rechts

Doch sie zeigen sich nicht nur selbst, sie wollen auch andere sehen. Egal, wo sie sind, verabreden sie sich mit Leuten, die sie interessieren. Von Anfang an haben sie das gemacht. Sie haben den Foto­gra­fen Daniel Sannwald getroffen, ein Foto mit ihm gemacht und es gepostet. »Wie Fans, weil wir so stolz darauf waren«, sagt Lukas. Inzwischen arbeiten sie regelmäßig mit ihm zusammen. Auf dem Weg nach London haben sie den Musiker Visionist kontaktiert, in Mailand das Magazin »Kaleidos­co­pe« oder auch mal jemanden von Nike getroffen. Manchmal drei Leute an einem Tag. Und einmal sogar Michèle Lamy, Ikone, Muse und Ehefrau von Fashiondesigner Rick Owens. Denis hat ihr die gepiercten Nippel mit­ge­bracht, die Sucuk und Bratwurst gemeinsam mit Yung Hurn als Handyhalter gestaltet haben. Sie trägt sie als Teufelshörner am Kopf.

»Hey, we’re coming to Berlin. Can we meet?«, bekommen sie heute selbst häufig zu hören. Von 3D-Künst­lern, Gestaltern, Musikern oder Studierenden. Man trifft sich im Studio oder im Café. »Auch wenn es nicht mehr so einfach wie früher ist, versuchen wir, die Zeit dafür zu finden«, sagt Lukas. Denn, wie haben sie auf Instagram gepostet: Do what you love and be kind. 

PDF-Download: PAGE 10.2020

Offene Worte finden ¬– Position beziehen! ++ Praxis: Inclusive Design ++ Kampagnen: Save the Civil Discourse! ++ Kreativ Awards in der Krise? ++ 3D-Events in der Cloud mit Unity ++ Webdesign: CSS-Hacks ++ Typo: deep fonts mit KI ++ Booklet: CD/CI-Ranking

8,80 €
AGB

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Das könnte dich auch interessieren