PAGE online

Making-of: E-Commerce- und Aboplattform Outlines

Badezimmer-Accessoires zum Nachfüllen: Wir zeigen, wie Work & Co die E-Commerce- und Abonnement-Plattform für das nachhaltige New Yorker Start-up Outlines entwickelte

Nachhaltiger Duschvorhang von Outlines um Badewanne vor rosa Wand

Kennen Sie es auch, das Schuldgefühl beim Verwenden von Einwegplastik? »Plastic Guilt« nennt es Luke Barkley Young, Mitgründer des nachhaltigen New Yorker Start-ups für austauschbare Badezimmer­artikel Outlines. Es begann, als er 2016 von London nach New York umzog: »Ich bin seit meiner Kindheit daran gewöhnt, zu recyceln und meinen Müll zu sor­tieren, aber in den USA recycelt niemand irgendwas, sogar meine linksliberalen Freunde machen das nicht richtig. Sie werfen einfach alles in eine große blaue Tonne und erwarten, dass es jemand sortiert, aber das passiert nicht«, berichtet Luke Barkley Young.

PROJEKT Mobile-first-E-Commerce-Website
AGENTUR Work & Co, NYC et cetera
KUNDE Outlines, NYC
TECHNIK Shopify, Liquid, Processing, HTML, CSS, JavaScript
ZEITRAUM April bis August 2022

Und weil sie derartig unsortiert zu gar nichts mehr zu gebrauchen sind, landen die meisten Kunststoff­abfälle in den USA einfach auf irgendeiner Müllhalde (siehe »Einbahnstraße Plastikrecycling«). Doch nicht die Abermillionen Einwegbecher, PET-Flaschen oder einzeln in Folie verpacktes Obst und Gemüse sind in Youngs Augen die schlimms­ten Produkte in amerikanischen Haushalten: »Als Europäer sind wir moderne Duschen mit Plexiglastüren gewohnt. Die Bäder in Manhattan sind oft nur mit einem billigen Plastikduschvorhang ausgestattet, an dem sich in kürzester Zeit Dreck und Schimmel sammeln, sodass man ihn alle paar Monate ent­sor­gen und ersetzen muss«, sagt der junge Firmen­grün­der. Nicht nur der auf diese Weise anfallende Plas­tik­müll – immerhin ist ein Duschvorhang ein ziemlich großes Kunststoffteil, wenn nicht sogar das größ­te im Haus­halt – machte ihm zu schaffen. »Das viele gif­ti­ge PVC-Material aus China im US-Markt ist wirk­lich bedenklich und in Europa schon seit den 1970er Jahren nicht mehr für den Hausgebrauch zugelassen«, erklärt Luke Barkley Young.

Recycling als integrierter Service

»Ich habe also irgendwann meine Freunde und Kollegen gefragt, wie oft sie ihre Duschvorhänge aus­wech­seln, und es stellte sich heraus, dass manche alle drei Monate, andere alle vier Monate einen neuen Duschvorhang kauften. Auf jeden Fall entsorgte die Mehrheit mindestens zwei Vorhänge pro Jahr«, so Luke Barkley Young. Gemeinsam mit seiner Kollegin Meg­an Murphy startete er daraufhin 2019 das erste kleine Nebengeschäft mit recycelbaren Duschvorhängen namens Dripp. »Wir hatten beide schon immer eine Leidenschaft für Produktdesign und woll­ten ei­nen Duschvorhang entwickeln, bei dem man nicht dauernd einen riesigen Abfallberg im Hinterkopf hat«, sagt Megan Murphy.

Ganzkörperporträt von Megan Murphy und Luke Barkley Young vor einer Badewanne mit nachhaltigem Duschvorhang
Die Outlines-Gründer Megan Murphy und Luke Barkley Young wollen ihr Konzept mit weiteren Produkten ausbauen

Dazu mussten die beiden zunächst ihre Zielgrup­pe ganz genau verstehen und sich tief in das große Thema Recycling einarbeiten. Ihnen wurde schnell klar, dass Plastikverpackungen für viele ame­ri­kani­sche Durchschnittskunden zum Alltag gehören – sie kümmern sich nicht ums Recycling, sind sich des Plas­tikproblems aber inzwischen doch sehr bewusst und würden es wirklich gerne besser machen. »Und weil es eben kein tief verwurzeltes Verhalten ist, muss Recycling für uns sehr, sehr bequem gestaltet sein und sich supereinfach in den Alltag integrieren lassen, damit es funktioniert«, erklärt Megan Murphy.

Vom Einweg- zum Austauschmodell

Nachdem Murphy und Young sich über Materialien und Verwertung schlau gemacht hatten, entwickel­ten die beiden ihr erstes Modell Steamy, das statt aus PVC aus Polyethylenvinylacetat, kurz PEVA, bestand. PEVA dünstet im Gegensatz zu PVC keine giftigen Gase oder krebserregenden Phthalate aus und ist sowohl recycel- als auch biologisch abbaubar. Auf Instagram und Facebook bewarben sie Steamy dann mit Slogans wie: »Want to use less plastic? Change your shower liner, don’t change your routine« oder »We can’t control bacteria, but we do make a non-toxic shower liner that is neither a computer nor a toilet seat«. Das Modell entwickelte sich zum Verkaufshit mit tausenden verkauften Stücken. Es gab den Steamy portofrei im Multipack, und trotz holpriger Corona-­Monate konnte das Gründer:innenduo genug neue Kund:innen gewinnen, um den nächsten Schritt zu wagen und zu wachsen.

Webansicht von Outlines mit dynamischer Glyphe in verschiedenen Farben
Es geht um den persönlichen Plan: Wie oft im Jahr wechselt man seinen Duschvorhang aus? Die individuelle Austauschfrequenz des Abomodells stand beim Design der Website im Fokus und kommt mit einer dynamischen Glyphe voll zur Geltung

Zu diesem Zweck firmierten die beiden um – aus der Firma Dripp wurde im Januar 2022 Outlines mit einem ganz neuen Konzept, das ein ganzes Sortiment an nachhaltigen, partiell auswechselbaren Ba­dezim­meraccessoires im Abomodell umfasst. Zunächst kon­zipierten Murphy und Young den Duschvorhang neu: Er besteht nun aus einem zweiteiligen System, bei dem man lediglich das große Kunststoff­teil (»Replen«) austauscht und die waschbare, baum­wollene Befestigungskomponente (»Keep«) behält. Zudem richteten sie ein Rücksendesystem für den Replen ein: Jedem neu erworbenen Duschvorhang liegt ein fran­kierter Rücksendebeutel bei. Die Reststoffe übergibt Outlines dann einem zertifizier­ten lokalen Recyclingunternehmen.

»Wir hatten schon einen großen Kundenstamm im ganzen Land und konnten daraus interessante Rückschlüsse ziehen«, berichtet Megan Murphy. Die beiden hatten vermutet, dass ihr typischer Kunde ein Urban Millennial sei – doch weit gefehlt: »Die meisten unserer Kunden sind eher weiblich und älter als 45 und weder irgendeiner Partei noch Region zuzuordnen, sondern überall im Land verteilt«, erklärt Luke Barkley Young.

Transparente UX gegen Abonnementmüdigkeit

Mit diesen interessanten Fakten und der Idee für ­einen neuen Badezimmerartikel – einem zweiteili­gen Schwamm für die Körperpflege – wandten sich Murphy und Young im Frühjahr 2022 an einen be­freun­de­ten Kollegen vom New Yorker Agenturbüro Work & Co, und es kam zu ei­nem Treffen mit dem Designdirektor Calvin Teoh.

Benutzeroberfläche für das Austauschintervall des Duschvorhanges
Per Schieberegler lässt sich der gewünschte Austauschintervall einstellen. Wer sich nicht sicher ist, kann vorher ein paar Fragen zur Badezimmerbelüftung, zur Wasserqualität oder zum Duschverhal­ten beantworten

Typischerweise arbeitet die Agentur für große bekannte Marken wie Aesop oder IKEA, aber die Zu­sam­menarbeit mit Outlines reizte sie trotzdem: »Die Start-up-Atmosphäre bei Outlines und ihr großes Designverständnis gefielen uns, und wir sahen gro­ßes Potenzial im Redesign der Website. Die Herausforderung bestand darin, der Subscription Fatigue der Nutzer eine Experience entgegenzusetzen, die volle Kontrolle und Transparenz über das Abonnement verschafft«, so Teoh.

Rücksendeumschlag für den gebrauchten Duschvorhang
Mit jedem neuen Dusch­vorhang erhalten die Verbraucher:innen einen Rücksendeumschlag, um den Vorgänger und die Verpackung zur fachgerechten Entsorgung an Outlines zurückzu­schicken. Rund 80 Prozent der Kund:innen nutzen diese unkomplizierte Recyclingvariante

Zu Beginn des Prozesses erinnerte er sich an einen Satz seines Kollegen Felipe Memoria, Mitgründer von Work & Co: »Der Kern unseres Designprozesses ist die Definition von Proportionen und Beziehun­gen.« – »Also debattierten wir: Was ist groß und was klein? Und stellten uns ein paar Fragen: Was ist einzigartig an Outlines, welche Details unter­schei­­den die Marke von anderen, was wollen die Nutze­r:in­nen auf der Website, und was macht bisher niemand in diesem Bereich?«, erklärt Calvin Teoh.

Interface für Kundenaccount: Der Plan ist der Held

An erster Stelle stand also die persönliche Austausch­frequenz jedes Users, die ihm oder ihr das Gefühl gibt, gerade so viel zu bekommen, dass man kein schlechtes Gewissen hat, aber auch kein unhygieni­sches Zuhause aushalten muss. Zudem sollten das mögliche Überspringen, Anpassen oder Pausieren von Auffüllaktionen im Vordergrund stehen. »Jeder kennt die Dark Patterns bei Aboangeboten für Haushaltswaren, aber wir glauben, dass Menschen sich eher für ein Abonnement anmelden, das sie verstehen, und dass sie es länger behalten, wenn sie es einfach und schnell managen können«, erklärt Luke Barkley Young. Angelehnt an das Prinzip der Musiksteuerung mit ihren Play-, Skip- und Pause-Buttons, entwickelten die Designer ein Interface für den Kun­denaccount, bei dem Nutzer:innen die Auffüllfrequenz per Klick einfach überspringen, anpassen oder pausieren können, damit sie nur das zugesandt bekommen, was sie wirklich benötigen.

Ansicht des Kundenaccounts mit den gekauften Produkten
In dem sauber und klar gestalteten Kundenaccount behalten Nutzer:innen den Überblick über die von ihnen gewählten Produkte und ihre individuellen Auffüllpläne. In einem weiteren Schritt können sie die einzelnen Produktabonnements leicht verwalten

Visuelle Elemente: Wurmförmige Nummern

Um den persönlichen Nachfüllplan in Szene zu setzen, wählte Teohs Team ein ganz besonderes visuel­les Element: »Wir wollten die Zahlen hervorheben und damit das Interesse der Kunden am Replenishment-Ansatz wecken. In einer sehr frühen Phase ent­wickelten wir mit GSAP und D3.js eine dynamische Glyphe, um die variable Natur der persönlichen Frequenzen widerzuspiegeln«, berichtet Teoh. In ei­nem Interface-Prototyp neben den klar und clean design­ten Produkten erschien das Element jedoch zu groß, zu chaotisch. »Aber so seltsam und unförmig es auch war, wir hatten es liebgewonnen, es hatte Charakter und fühlte sich lebendig an.«

Selbstprogrammiertes Zifferntool für die dynamischen Glyphen

Brand-Element dynamische Glyphe "0"
Bei ersten Experimenten mit dem selbst gebauten Tool verliebten sich die Designer in ihre Ziffern und verfeinerten sie dann Schritt für Schritt. Mit Farben und Verläufen schufen sie das dominierende Brand-Element

So blieb sein Team bei der merkwürdig wandlungsfähigen Ziffer, die sie »den Wurm« tauften, und begann, mit seinem Code herumzuexperimentieren, um die Ziffern etwas hübscher zu gestalten. »Wir haben mehr Kreise hinzugefügt, um die Abstufung zu verringern, oder mit ihrem Radius gespielt, um mehr Klarheit zu schaffen«, sagt Calvin Teoh. Zum Schluss fügten sie Filter für kla­re Umrisse hinzu, färb­ten die Zahlen in den Brandfarben und gaben den Ziffern kon­turierende Farbverläufe. Da sich in ihrem Java­Script-Tool die Pfade der jeweiligen Formen bearbeiten und als SVG exportieren lassen, war während des gesam­­ten Prozesses eine nahtlose Übergabe an die Ent­wick­ler möglich, sodass die Designer die Zahlen wei­ter iterieren und verfeinern konnten.

Die Glyphen in verschiedenen Farben

E-Commerce-Plattform: Shopify ausreizen

Als E-Commerce-Plattform wählten Outlines und Work & Co schließlich Shopify. »Dank der einfa­chen Inhalteverwaltung, der Zahlungsabwicklung und der flexiblen Template-Sprache Liquid konnten wir zügig entwickeln und uns auf die wichtigsten Features konzentrieren«, erinnert sich Nemanja Nićiforović, Technology Partner bei Work & Co. Für den mehr­stu­­fi­g auf­gebauten Abonnementassistenten, der ein klei­­nes Quiz zum Duschverhalten sowie die ange­pass­ten Warenkorb- und Checkoutprozesse enthält, implementierte sein Team eine native Anwendung in HTML, CSS und JavaScript, die die Daten von Shopi­fy übernimmt, den Nutzer:innen durch den Prozess führt und dann die Daten an die Plattform zurückgibt. Auf Basis der Designkomponenten in Figma ent­wickelten sie daneben von Grund auf ein indi­vidu­el­les Shopify-Theme in Liquid, das die Inhalte – Vide­os, Produktrenderings, Fotos – in Szene setzt und die komplexen Konfigurations- und Managementpro­zes­se leicht verständlich verpackt.

Ansicht der verschiedenen Duschvorhang-Pläne im Benutzeraccount
Order – Pause – Skip: Mit drei simplen Kontrollbuttons lassen sich die einzelnen Pläne für verschiedene Badezimmer mühelos managen

Kon­versionsrate: Erfolg bestätigt Design

Seit dem Launch der neuen Website hat sich die Kon­versionsrate verdoppelt, und die Aboabschlüsse stie­gen um mehr als zehn Prozent. Außerdem liegt die Rücksendequote der PEVA-Komponente bei 80 Prozent – viel höher, als die beiden Gründer:innen erwartet hatten: »Wir hatten uns gewünscht, dass mindes­tens die Hälfte ihren alten Duschvorhang zurück­schickt. Das zeigt uns, dass unser Recyclingprinzip wirklich bequem ist und im Alltag funktioniert«, be­­richtet Megan Murphy – und Luke Barkley Young ergänzt: »Die neue Website von Work & Co hat enorm dazu beigetragen, einen einfachen und eleganten Prozess zu etablieren, der hilft, das Plastikmüllpro­blem in den USA zu lösen.«

Einbahnstraße Plastikrecycling

Reuse- und Refill-Systeme sind die Lösung

2021 fielen in US-Haushalten schätzungsweise 51 Millionen Tonnen Plastikmüll an, von denen lediglich rund 2,4 Millionen Tonnen (4,71 Prozent) recycelt wurden – der Großteil landet auf der Halde. Denn Kunststoff­recycling ist hochkomplex, je nach Zu­sammen­setzung der Thermoplaste unterschiedlich effizient und verschmutzend. Darüber hinaus »ist das meiste Plastik einfach nicht recycelbar. Die tat­sächliche Lösung besteht darin, auf Reuse- und Refill-­Systeme zu wechseln«, erklärte US-Greenpeace-­Aktivistin Lisa Ramsden anlässlich der Veröf­fentlichung des Reports »Circular Claims Fall Flat Again« im Oktober 2022. Aber nicht nur in den Vereinigten Staaten ist es um das Kunst­stoff­recycling schlecht bestellt. Die OECD berichtete im Februar 2022, dass 2019 weltweit lediglich 9 Prozent des Kunststoffmülls recycelt wurden, während 22 Prozent – fast ein Viertel! – unkontrolliert in der Umwelt landeten. Alles dazwischen wurde auf Deponien gesammelt oder verbrannt und bestenfalls energetisch genutzt.

Mehr Infos zum Thema Nachhaltigkeit und Design

Dieser Artikel ist in PAGE 04.2023 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.

PDF-Download: PAGE 04.2023

Ratgeber: Sharing Skills ++ Selfmarketing auf TikTok ++ KI-Bildgeneratoren und Urheberrecht Trend: Urban Nature ++ Open-Source-Denken im Typedesign ++ Case: Diversität visualisieren ++ Healthcare-Kommunikation ++ ENGLISH SPECIAL Superplex ++ E-Commerce- und Aboplattform Outlines ++ Creative AI: Editorial Design mit Midjourney ++ Extra-Booklet »Job & Karriere«

9,90 €
AGB

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Das könnte dich auch interessieren