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So funktioniert Circular Design

Das Fortschrittsdenken kommt an seine Grenzen. Zeit für eine neue Art, die Welt zu denken – und zu gestalten

Circular Design: 80 Prozent der Umweltauswirkungen eines Produkts werden in der Designphase festgelegt. Design spielt also eine zentrale Rolle beim Übergang von einer linearen in eine zirkuläre Wirtschaft. (Die Grafk basiert auf einer Infografik der Ellen McArthur Foundation, www.ellenmacarthurfoundation.org)

Wir verdanken es den technischen Erfindungen der letzten 200 Jahre, dass wir globaler und länger leben, dass der Wohlstand weltweit immer weiter gewachsen ist und die Demokratie gestärkt wurde. Heute jedoch scheint es, als hätte dieser Fortschrittsdrang uns direkt in eine Sackgasse geführt. Überbevölkerung, drohende Klimakatastrophe und Vernichtung der Artenvielfalt zwingen uns, das Hams­terrad permanenter Innovation zu überdenken.

Angesichts der Flut an Bestellplattformen für Allerlei und wie Pilze aus dem Boden schießender Start-ups, die unter anderem eine neue Mobilität ver­kün­den, stellt sich die Frage: Könnte es sein, dass wir vergessen haben, uns über den Sinn von Fortschritt Gedanken zu machen? Wie viel Wachstum verträgt unser Planet überhaupt? Und da Innovation – die Entwicklung von neuen, besseren Produkten, Prozessen oder Services – immer mit Design Hand in Hand geht, müssen wir auch den Sinn von Design hinterfragen. Schließlich hat alles, was Kreative erschaffen, unweigerlich mit dem Anfang und dem Ende von Emissionen, mit Abfall und letztlich mit Verschmutzung zu tun.

»Reframe Your Thinking« fordert die britische Ellen MacArthur Foundation von Designer:innen weltweit. Die gemeinnützige Organisation hat zum Ziel, den Übergang in eine Circular Economy zu beschleunigen. Also ein Wirtschaftssystem zu etablieren, bei dem unsere natürlichen Ressourcen regeneriert und Materialien und Produkte in Kreisläufen gehalten werden, sodass kein Abfall entsteht und die Belas­tung der Umwelt vermieden wird. Für die Ellen Mac­Arthur Foundation ist das Circular-Konzept die Daseinsberechtigung für Design im 21. Jahrhundert. Denn der Schlüssel, um von unserem linearen, auf Massenproduktion ausgelegten Wirtschaftssystem in eine kreislauffähige Ökonomie überzugehen, ist das initiale Design von Produkten und Dienstleis­tun­gen – also die Art und Weise, wie wir sie zu Anfang konzipieren und gestalten.

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Was ist Circular Design?

Die Intention von Circular Design ist, das Konzept Müll an sich zu beseitigen. Indem wir Kreisläufe – oder Loops – gestalten, bleiben Materialien, wenn sie einmal ins System eingeführt sind, kontinuierlich in Nutzung, werden wiederholt zugänglich gemacht oder zurückgeführt. Sie bleiben somit immer wertvoll. Die lineare Ressourcenausbeutung sowie die kontinuierliche Zunahme des CO₂-Ausstoßes wä­ren unterbunden und die natürlichen Systeme könn­ten sich regenerieren.

Die Ellen MacArthur Foundation hat sich 2016 mit der Designagentur IDEO zusammengetan und einen Circular-Design-Prozess formuliert, der oberflächlich betrachtet an die Design-Thinking-Me­tho­dik erinnert, sich in wichtigen Details aber unterscheidet. Der Circular-Design-Prozess gliedert sich in vier essenzielle Phasen, die sich in eine Vielzahl von weiteren Aktivitäten unterteilen lassen.

1. Systemverständnis gewinnen. Als Erstes geht es darum, möglichst viele Informationen zu allen Ak­teu­r:innen und Bestandteilen eines Systems, angefangen bei den Nutzenden über die Produkte und ihre Herstellung bis hin zu verbundenen Dienstleis­tun­gen und idealerweise auch dem Planeten selbst zu sammeln und in einer Art Landkarte zu verorten. In­dem sie nach Zusammenhängen, Wechselwir­kun­­gen und Lücken im System suchen, gewinnen De­si­gnerinnen und Designer wichtige Erkenntnisse, die den Blick von linearen Prozessen hin zu Kreisläufen und regenerativen Lösungen lenken.

2. Herausforderung definieren. Nun gilt es, unterschiedliche Möglichkeiten für Kreisläufe aufzudecken. Dabei helfen die neun Circular-Economy-Stra­tegien wie etwa Reparieren, Sharing, das Produkt als Dienstleistung oder die Verlängerung des Lebenszyklus. Zu jeder Strategie sollten Ansätze erarbeitet werden, wie Design zur Lösung beitragen kann.

3. Kreise gestalten. In iterativen Schritten entwickeln Designer:innen im Detail verschiedene Loops, die die Herausforderung zirkulär lösen können.

4. Den Zyklus starten. Mit der am besten geeigne­ten Lösung wird der erste Loop vollzogen. Dadurch werden kontinuierlich neue Erkenntnisse für das Sys­tem gewonnen – woraus sich im Weiteren neue Chancen für zusätzliche Kreise ergeben.

Circular Economy: Einem Schmetterling ähnlich zeigt dieses Diagramm die kontinuierlichen Wertströme für rechts biologische und links materielle Ressourcen innerhalb einer zirkulären Wirtschaft.

Im Circular-Design-Prozess ist der Launch eines Produkts oder Services der Beginn sich wiederholender Schleifen. Mit jedem Loop gewinnen wir essenziel­le Erkenntnisse über die Reduzierung und Optimie­rung von Ressourcen sowie über die Akzeptanz durch die Akteure und Akteurinnen innerhalb des Systems. Denn damit ein Produkt im Rahmen der Circular Economy funktioniert, müssen alle im jeweiligen Ökosystem Handelnden kontinuierlich zu dessen Aufrechterhaltung beitragen. Während Designschaffende in der linearen Wirtschaft spätes­tens bei der Markteinführung nichts mehr mit dem Produkt zu tun haben, gibt es diesen finalen Moment in der Circular Economy nicht.

Der Unterschied zum heute gängigen Designverständnis – und dem Design Thinking – liegt erstens in der Abkehr vom viel beschworenen User-Centered Design. Denn wie Kevin Slavin, Professor am MIT Media Lab, sagt: »When designers center around the user, where do the needs and desires of the other actors in the system go? The lens of the user obscures the view of the ecosystems it affects.« Das führt zum zweiten Punkt: Wir müssen im gesamten Prozess permanent das System betrachten und in die Lösungsfindung einbeziehen. Die dynamischen Wech­sel­wir­kungen zwischen den einzelnen Komponenten und Teilnehmenden im System machen das Ganze enorm kompliziert. Deshalb erfordert dieser Vor­gang auch völlig neue Methoden aus Systems Thinking und Systems Design. Und drittens:

Es gibt im Design kei­nen Endpunkt mehr. Um initiierte Loops in Gang zu halten, muss Design kontinuierlich Anpassungen am System vornehmen. Wem dies zu sehr nach Utopie klingt, bedenke bitte: Unsere bestehende Wirtschaft unterliegt keinem Naturgesetz. Sie wurde als System von Menschen erfunden. Wir können also auch ein neues, anderes System gestalten.

Systems Design
Dieser Designansatz befasst sich mit der Funktionsweise beziehungsweise den Auswirkungen von dynamischen und komplexen sozialen, technischen, wirtschaftlichen, geografischen und ästhetischen Systemen mit dem Ziel, deren Abläufe und Folgen zu verstehen, zu optimieren und zu gestalten.

Wie funktioniert Circular Design konkret?

Stellen wir uns kurz vor, dass Material nicht mehr zu besitzen wäre. Das Schmuckstück aus Gold etwa ließe sich bei der Goldschmiede nur mieten. Diese würde das Gold bei einem Großhandel anmieten, der das wiederum bei der Mine tut. Ihr Besitzer muss dem Staat, in dem das Gold geschürft wird, nicht nur jährliche Konzessionsgebühren für den Abbau bezahlen, sondern auch eine monat­li­che Abgabe für die Menge an Gold. Wirklich besitzen tut es am Ende nur der Staat, in dem das Material gefördert wurde. Dieser verpflichtet sich, das Gold bei feh­lendem Bedarf zurückzunehmen. Ein solches »Material as a Ser­vice«-Konzept würde die Weltwirtschaft auf den Kopf stellen, Volkswirtschaften müss­ten an­ders bilanziert werden. Dafür würden sie lang­fristig von ihren Rohstoffen profitieren und dabei in der Verantwortung für das Land und ihre Ressourcen bleiben.

Und was bedeutet dieses Konzept für Möbel, all unsere defekten Kugelschreiber und den alten Fernseher im Keller? Eine solche Welt würde unweigerlich neues Denken und Handeln erfordern. Produkte wären immer auch Dienstleistungen und ihre Komponenten systemisch in buddhistisch anmutende Lebenszyklen verknüpft. Somit müsste auch die Rolle von Design und seinen Methoden neu definiert werden. Denn wenn Ressourcen in einem kontinuierli­chen Kreislauf von Bestandteil und Dienstleis­tung sind, muss Design diese Transformationen begleiten. Design fände konsequenterweise nie ein Ende.

Der Architekt, Designer und Philosoph Richard Buckminster Fuller sagte, dass wir, um Bestehendes zu verändern, neue Modelle bauen sollen, die das Alte überflüssig machen. Die Circular Econo­my ist ein solches Modell. Und mit jedem neuen Circular-Design-Projekt, in dem wir etwas noch so Kleines aus der linearen in die Kreislaufwirtschaft überführen, schaffen wir langsam, aber stetig eine neue Ökonomie, die aufgrund ihrer Systematik inklusiver, gerechter und ökologischer ist. 

Tools und Methoden für Circular Design

Jedes neue Projekt bietet die Chance für Circular Design – und somit dafür, als Designerin oder Designer einen relevanten Beitrag zur Abwendung der Klimakatastrophe zu leisten. Die folgenden drei Tools sind leicht anzuwenden und helfen euch dabei, Momentum zu gewinnen.

Ecosystem Mapping. Erstellt eine Karte mit allen Akteurin­nen und Akteuren sowie den Bestandteilen des zu gestaltenden Produktsystems, also zum Beispiel den Vorproduk­ten und deren Herstellungs- und Logistikprozess, und spezifiziert die bestehenden Warenströme zwischen den einzelnen Komponenten. Gestaltet jetzt die Karte aus, indem ihr aufzeigt, an welchen Stellen neben Ware auch Geld und Information fließen. Das sind die Wertströme. Oft macht es Sinn, diesen Prozess in iterativen Schritten zu detaillieren. Identifiziert nun einzelne, lineare Wertströme und versucht, sie in einem Kreis zu schließen. Findet Kreise, die am einfachsten und mit dem höchsten Wert für alle Beteiligten umzusetzen wären. Jetzt habt ihr die Grundlage, um ein kreislauffähiges Produkt zu konzipieren.

Product Journey Mapping. Ziel im Circular Design ist es, den Lebenszyklus von Produkten zu verlängern und an dessen Ende die Weiternutzung von Materialien oder das Recycling zu ermöglichen. Definiert für euer neu geplantes Produkt im Detail, was am Ende des ersten Lebenszyklus mit den einzelnen Komponenten passiert. Werden sie repariert? Kommen sie auf den Kompost? Werden sie für etwas anderes verwendet oder recycelt? Steigt jetzt tiefer ein und beschreibt, was im nächsten Lebenszyklus mit den Materialien passiert. Versucht dies noch ein drittes Mal und überlegt euch bei den Komponenten, für die ihr keine Kreislauflösung findet, ob ihr sie anders auslegen könnt.

Circular-Design-Tool: Product Journey Map
Hier steht das Produkt und sein Lebenszyklus im Fokus. Angefangen bei den Rohstoffen zur Herstellung bis zum Ende der Nutzungsphase und der Rückführung in einen weiteren Kreislauf. (Diese Grafik basiert auf einer Grafik der Ellen McArthur Foundation, www.ellenmacarthurfoundation.org)

Vom Produkt zum Service. Die Sharing Economy hat es vorgemacht: Jedes Produkt kann auch ein Service sein, und jeder Service ist ein Produkt. Um aus einem Produkt einen möglichen Service zu machen, beantwortet folgende drei Fragen: Was ist das eigentliche Bedürfnis, das euer Produkt befriedigt? Auf welche Art kann ich das Bedürfnis befriedigen, ohne das Produkt besitzen zu müssen? Welche Vorteile würde dies bringen? Die Antwort auf die letzte Frage ist der Mehrwert des neuen Service. Jetzt gilt es, mittels Ecosystem Mapping auch beim Service einen Kreis zu schließen.

Kreativmethode: Service Flip
Anhand dieser Fragenabfolge lässt sich von einem bestehenden Produkt ausgehend ein neuer Service entwickeln. (Diese Grafik basiert auf einer Grafik der Ellen McArthur Foundation, www.ellenmacarthurfoundation.org)

Circular-Design-Konzepte als Business-Modelle

Amazon trifft Milchmann
Loop

Die Circular-Shopping-Plattform Loop des US-ame­rikanischen Recyclingspezialisten TerraCycle vertreibt Produkte des täglichen Bedarfs, die in einer wiederverwendbaren Verpackung geliefert werden. In dem geschlossenen System können diese – von Shampooflaschen bis Müsli­kartons – etliche Male benutzt, also befüllt, versendet, genutzt, zurückgesandt, gereinigt und wie­der befüllt werden. Am Ende des Lebenszyklus wird das Material zurückgeführt, das heißt, es fließt ein in die Produktion einer neuen Verpackung oder wird recycelt. Darüber hinaus haben viele der aus hochwertigen Materialien produzierten Packagings weitere sinnvolle Funktionen. So verfügt zum Beispiel die Speiseeisverpackung über eine integrierte Kälteisolierung. Wo sonst jeder Cent und jedes Gramm Material gespart werden sollen, wird hier durch Circular Design die Wertedistribution neu gedacht: Eine zehn­mal teu­rere Verpackung, die dreihundertmal öf­ter verwendet wird, ermöglicht Wirtschaftlichkeit und verbraucht keine neuen Ressourcen.

Light as a Service
Circular Lighting

Philips Lighting hat das Konzept einer Lichtmiete entwickelt: Beim Circular-Lighting-Service kaufen Un­ternehmen keine Leuchten oder Leuchtmittel – vielmehr mieten sie das für die jeweilige Situation er­forderliche Licht inklusive Ökostrom, Planung, Einbau und Wartung. Mit seinen Partnern – Firmen, die Teile der Leuchten und Leuchtmittel produzieren, sowie Energieversorgern – betreibt Philips ein Ökosystem an regenerativen Loops und nutzt dafür aus Wind und Sonne gewonnene Energie. Die Pacific-LED-Leuchten sind so designt, dass sie kontinuierlich repariert und wiederverwendet werden können. Bei Beschädi­gung wird das Material von den Herstellern entweder für neue Produkte verwendet oder recycelt und bleibt somit dem System erhalten.

Das Konstrukt ist wirtschaftlich für alle Parteien von Vorteil: Diejenigen, die das Licht mieten, zahlen mo­­natlich nur einen geringen Betrag und optimieren ih­re CO₂-Bilanz. Philips und seine Partner sparen durch die kontinuierliche Wiederverwendung der Materialien Geld und steigern somit ihre Marge.

Design fürs Upgrade
Fairphone

Viele von uns stehen alle paar Jahre vor der Entscheidung, ob sie ein neues Smartphone kaufen sollen – mit höher auflösender Kamera, besserem Akku und schnellerem Chip. Aber was passiert mit dem alten? Die Smartphones von Fairphone lösen das Problem durch Anwendung von Circular-Design-Prinzipien wie Modularität und Reparierbarkeit. Die Geräte sind so konzipiert, dass man sie nicht nur selbst reparieren, sondern auch auf dem neuesten Stand halten kann. Größerer Speicher, neue Kamera, bessere Batterie: einfach bestellen, selbst einbauen und das alte Teil an das Unternehmen zurückschicken.

Das »Fair« in Fairphone bedeutet außerdem, dass die Komponenten so fair gegenüber Menschen und Umwelt wie möglich bezogen oder hergestellt werden. Durch ein ausgeklügeltes Recyclingprogramm stellt das Unternehmen Gehäuse und Co, wo angebracht, aus Recyclat statt aus Primärstoffen her.

Circular Shopping
Trove

Trove Recommerce Inc. macht deutlich, dass digitale Geschäfts­modelle ein Schlüssel für die Circular Economy sind und dass Circular Design als Brücken­bauer zwischen den Bereichen B2B und B2C dienen kann. Die E-Commerce-Plattform ermöglicht es gro­ßen Marken, ihren Kundinnen und Kunden einen hervorragenden Second-Hand-Service zu offerieren. Diese können gegen eine Warengutschrift gebrauchte Produkte – etwa Jacken, Zelte oder Taschen – beim Markenartikler eintauschen, der sie dann über dieselbe Plattform an andere Per­so­nen verkaufen kann. Dies birgt drei Vorteile: Waren bleiben länger im Kreislauf, Marken können ihr Image in Sachen Nachhaltigkeit stärken, und Konsu­men­t:innen werden beim bewussteren Umgang mit Ressourcen unterstützt.

Karel Golta ist Designer und Unternehmer. Der Gründer und Geschäftsführer dreier Innovationsunternehmen bezeichnet sich selbst als Business-Romantiker: Seine Vorstellung von Innovation und sein Handeln sind bestimmt von der Mission, die Auswirkungen des Menschen auf den Planeten nicht nur rückgängig zu machen, sondern umzukehren. Hierzu setzt er auf die Kraft des Designs als Motor und Beschleuniger der Kehrtwende. (Bild: Klaus Heinzler)

Dieser Artikel ist in PAGE 07.2021 erschienen, die Sie hier komplett runterladen können.

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