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»Macht eure eigene Identity zu eurem besten Brand Case«

Eigens programmierte App, individualisierte Logos und Oktopus-Displaytype: MullenLowe hat im Rebranding keine Mühen gescheut und an dem Projekt viel über sich selbst gelernt. NY Head of Design João Paz nimmt uns mit hinter die Kulissen.

João Paz ist seit zweieinhalb Jahren Head of Design bei MullenLowe in New York. Das dortige Team ent­wi­cke­l­te einen distinktiven – und mehrfach ausgezeichneten – Stil, den die Leitung der internationalen Krea­tiv­agentur als Vorbild für die gesamte Gruppe erachtete. Und so beauftragte sie das Team mit dem Rebranding der US-Büros, aus dem dann ein globaler Relaunch der Agenturmarke wurde.

Wir sprachen mit João Paz darüber, wie man eine Identity schafft, mit der sich alle Mitarbeiter:innen identi­fizieren können, und warum das eigene Branding sein bisher liebster Case ist. 

Der boxende Oktopus hat den Auftritt von MullenLowe sieben Jahre lang geprägt. Fällt es da nicht schwer, sich zu trennen?
João Paz: Der Oktopus mit den Boxhandschuhen hat uns gut gedient, fühlte sich aber sehr old-school-maskulin und veraltet an. Dieses Sich-Durchbo­xen hat uns als Agentur nicht mehr repräsentiert – und auch nicht unsere Arbeitsweise, die sehr fluide, flexibel und agil ist. Daher hatten auch schon einige Mul­len­Lowe-Stand­­­orte das Logo und einzelne Designelemente modernisiert.

Unsere Füh­rungsetage nahm das als Anlass, das Branding zu überdenken, und beauftragte uns, ein Design zu schaffen, das ganz klar unsere Marke repräsentiert und trotzdem Raum für Individualisierung lässt. 

Projektmanagement: Intern oder Extern

Wie seid ihr das Rebranding angegangen?
Zuerst haben wir uns den Wettbewerb angesehen. Das war Teil unserer Recherche. Dabei ist uns aufgefallen, dass die meisten großen Designfirmen fast schon wie Anwaltskanzleien daherkommen – schlichte Typografie, kaum Farbe, nur geometrische Formen und keine Per­sönlichkeit. Dieser Minimalismus ist eine sichere Methode, um die Kundenprojekte in den Vordergrund zu stellen, aber er kommuniziert weder die Teamkultur noch die Werte oder welche Kunden man eigentlich ansprechen möchte.

In diesem Agenturökosystem woll­ten wir uns bewusst als Herausforderer positionieren, der seine eigene Identität behält und trotzdem mit »den Gro­ßen« mithalten kann. Darüber hinaus war uns natürlich wichtig, etwas zu schaffen, das den modernen An­forde­rungen entspricht: Der Auftritt musste anpassungsfähig sein, um verschiedene Anwendungen und Märk­te bedienen zu können.

Gleichzeitig brauchten wir unverwechselbare Merkmale, die uns aus der Masse her­vorstechen lassen würden. Gelandet sind wir schließlich bei einem sehr organischen, fluiden Oktopus-Signet, ei­nem neuen Schriftzug und einer zusätzlichen Display­schrift – alles inhouse gestaltet.

Habt ihr darüber nachgedacht, mit einer externen Agentur zusammenzuarbeiten?
Ich kann nachvollziehen, dass sich einige Kreative die Perspektive von außen wünschen oder schlicht nicht die Kapazitäten für so ein Projekt haben. Aber für uns war es eine sehr willkommene Herausforderung – und das interessanteste Projekt, das wir uns hätten wünschen können. Wir hatten viel Freiheit mit dem Design, konnten dabei aber immer Feedback aus dem MullenLowe-Netzwerk einholen.

Die Kreativen im New Yorker Büro haben bei der Umsetzung geholfen, und unser Execu­tive Creative Director, der selbst Designer ist, hat mit einem kritischen Auge das Design evaluiert und Ideen eingebracht. Das ist der Vorteil an der Arbeit mit Kreativen – man bereichert sich gegenseitig und sieht das Potenzial in Ideen, ohne viel erklären zu müssen.

Das Ganze hat deutlich länger gedauert als unsere regulären Kundenprojekte. Wir haben das Rebranding parallel zum Agenturge­schäft entwickelt, dadurch gab es keine längeren Pausen, aber auch keine großen Sprün­ge. Es ging eher um kontinuierlichen Fortschritt und darum, immer wieder zu prüfen, wo wir noch mehr herausholen können. Ohne Ehrgeiz und Leidenschaft wäre das nicht möglich gewesen. In dem Projekt stecken einige Wochenenden und lange, unterhaltsame Abende.

»Unser Anspruch war, die Quintessenz des Designs so kurz und packend wie möglich darzustellen und in ein Format zu bringen, das sich auch auf Social Media teilen ließ«

Generatives Design und Oktopus-Displayschrift

Hat da auch schon einmal der typische Designer-Perfektionismus zugeschlagen?
(Lacht) Absolut. Zum einen mussten wir unbedingt eine eigene Tentakel-Displayschrift haben. Also haben wir zunächst mehrere Typograf:innen angefragt. Diese haben wundervolle Entwürfe eingereicht, aber irgendwie war es nie genau das, was wir uns vorgestellt hatten. Die Iterationen, um dort hinzukommen, hätten unser selbst gesetztes Budget gesprengt. Also haben wir die Schrift selbst entwickelt.

Das größte Projekt war aber das Logo: Als wir anfingen, möglichst viele Varianten des Oktopus-Signets zu zeichnen, kam uns schließlich der Geistesblitz, eine App zu entwickeln, mit der alle Mitarbeitenden ihren eigenen Oktopus erstellen können. Mit dieser Idee und einigen Sketches sind wir zu einem externen Entwickler gegangen. Er programmierte einen Prototyp für uns, der schon nah dran war.

Das Problem war allerdings, dass wir nicht einfach eine Outline des Oktopus haben wollten, sondern eine räumliche Ansicht, bei der sich auch Tentakel überlappen konnten. Das war mit Code nur schwer umzusetzen, sodass wir das Pro­blem schließlich inhouse und aus einer anderen Perspektive angingen. Dazu griffen wir auf eine klas­si­sche 3D-Animationstechnik zurück und riggten ein Mo­dell des Oktopus, sodass Nutzer:innen der App einzelne Punk­te ziehen, verschieben und anordnen können.

Heute ist die App eines der ersten Dinge, die Mitarbeitende beim Onboarding gezeigt bekommen. In ihr kann jeder seinen Oktopus erstellen, der dem Cor­porate Design entspricht, aber trotzdem eine eigene Per­sön­lich­keit hat, die dann auch in der persönlichen E-Mail-Signatur auftaucht. In Zukunft wollen wir daraus zum Beispiel noch Shirts und Team-Merch machen.

Die verschiedenen Anwendungen des Designs sieht man ja bereits in dem Case-Film, den ihr mit dem Launch veröffentlich habt.
Genau. Der Case-Film war aber selbst auch ein wich­tiger Bestandteil des Projekts. Damit haben wir nicht nur nach außen kommuniziert, sondern auch die Mitarbeitenden abgeholt. Das neue Branding besteht aus derart vielen verschiedenen Aspekten, dass wir Sorge hatten, dass nur Teile kommuniziert werden und das Gesamtnarrativ verloren geht.

Also war der Anspruch, die Quintessenz des Designs so kurz und packend wie möglich darzustellen und in ein Format zu bringen, das sich auch auf Social Media teilen ließ. Gleichzeitig war es einfach wahnsinnig befriedigend, den Case als Ganzes sehen zu können und als Beispielprojekt für alte und neue Kund:innen parat zu haben. Denn in unserer eige­nen Marke vereint sich wirklich alles, was wir können, alles, was wir sind und was wir in Zukunft mit unseren Kund:innen auf die Beine stellen wollen.

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