Bei der »Hauptstadt der Folgenlosigkeit Heilbronn« kann man sich für ein ungewöhnliches Stipendium bewerben, ein Begleitprogramm regt zu nachhaltigen Selbstversuchen an.
Heute beginnt mit einem Auftaktwochenende in Heilbronn – frisch zur Hauptstadt der Folgenlosigkeit gekürt – das einjährige Kunst- und Stadtentwicklungsprojekt zur Idee des folgenlosen Lebens. Der Versuch: Das Leben so gestalten, dass Mitmenschen oder die Umwelt nicht unschöne Konsequenzen des eigenen Verhaltens ausbaden müssen, aber auch im Sinne von »einfach mal (nicht) machen«.
Zum Projekt gehört ein umfangreiches Kulturprogramm aus Workshops, Vorträgen, Performances und Konzerten, außerdem die Vergabe von besonderen Forschungsstipendien.
Beteiligt sind etliche Heilbronner Behörden, Kulturstätten und Stiftungen. Die Initiatoren sind Architekt und Designtheoretiker Friedrich von Borries, Dramatiker Tobias Frühauf und Regisseur Philipp Wolpert.
Der »urbane Feldversuch« will explorativ zur Blickerweiterung animieren. Wie beeinflusst das eigene Handeln nach dem Modell eines folgenlosen Lebens etwa globale Gerechtigkeit oder fördert Nachhaltigkeit? In Gesprächen eine Haltung gegen Kollateralschaden-Verherrlichung an den Tag legen oder sachbezogenen Pragmatismus üben, beispielsweise Buykott – dem Konzept des Projekts wohnt interpretativer Spielraum inne.
Es stellt sich schnell die Frage: Hat Folgenlosigkeit vielleicht doch Folgen wie Verzicht, Stagnation, Ausgleich, Mehrwert et cetera?
Laissez-faire?
Bis zum 19. Juni können sich Bürger*innen Heilbronns um die drei Stipendien à 5000 Euro bewerben, für die sie etwas Bestimmtes drei Monate lang nicht tun. Die Auswahl unter den Bewerbungen mit den erläuterten Vorhaben wird basisdemokratisch getroffen. Weitere Informationen erhalten Interessierte unter bund-der-folgenlosen.de oder auch barrierefrei beim temporär eingerichteten Amt für Folgenlosigkeit im Schul-, Kultur- und Sportamt der Stadt Heilbronn.
Gar nicht mal so unproduktiv
Von Borries war bereits 2018 Initiator der verwandten Schule der Folgenlosigkeit, eine Zusammenarbeit zwischen dem Museum für Kunst und Gewerbe und der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Auch bei diesem Projekt gab es Stipendien fürs Nichtstun zu vergeben und diskursive, kreative Forschung stand im Mittelpunkt. PAGE berichtete zur zugehörigen Ausstellung.
Vergangene Beispiele der Hamburger Stipendiaten: als feministische Muslima das Kopftuch nicht tragen, ohne Smartphone und anderweitige Internetnutzung auskommen und Daten für sich behalten, den Job pausieren und in die Abwesenheit von Leistungsdruck reinspüren.
Die Frage ist nun: Will ich folgenloses Leben ausprobieren oder … es nicht tun? Es gibt wahrscheinlich nur richtige Antworten.