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Die goldenen Regeln der Gestaltung auf dem Prüfstand

PAGE 10.2016 – jetzt im Handel!

Editorial: Rulebreaker

Geben Sie mal das Wort »rule« auf Ihrer Tastatur ein. Und? Wie fühlt sich das an? Ganz normal? Nun, Wörter werden nicht nur danach beurteilt, wie sie aus sehen, gehört oder gesprochen werden, sondern zunehmend auch nach ihrer Tippweise. Begriffe, die sich überwiegend aus Buchstaben der rechten Seite der Tastatur zusammensetzen, lösen positivere Emotionen aus als solche aus dem linken Bereich, berichten Kognitionsforscher vom University College Lon don – und genau: Das Wort »rule« liegt zu gleichen Teilen auf der rechten wie auf der linken Hälfte, Regeln haben eben ihr Gutes und ihr Schlechtes.

Bereits die Kulturtechnik des Simsens habe unser Verhältnis zu Wörtern und Zahlen verändert. Zahlen folgen wie etwa 54323, mit der man auf alten Handys »Liebe« buchstabiert, lösen bei der eingebenden Person positive Gefühle aus. So witzelte »SZ«-Kolumnist Patrick Bernau auch schon: »Plötzlich ist vollkommen klar, warum Karstadt am Boden liegt, während es Kaufhof noch relativ gut geht.«

Was aber, wenn die Technologie noch weiter voranschreitet? Richtung Sprachsteuerung zum Beispiel. Werden wir dann wieder ganz andere Brands präferieren? Oder bedeutet das gar komplett das Ende der Markengestaltung, wie wir sie heute kennen? Brands kommen schon heute ohne Logos aus, um wahrgenommen zu werden, sprich: im Google Page Rank unsere Aufmerksamkeit zu erlangen. Es ist zunehmend die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, die Marken prägt. So beinhalten zukunftstaugliche Styleguides auch längst nicht mehr starre visuelle Designvorgaben, sondern immer mehr Code-Snippets. Ja, es liegt im Wesen unserer Profession, dass wir uns kulturellen, gesellschaftlichen und tech nologischen Entwicklungen anpassen.

Spinnen wir den Gedanken also weiter: Was wird aus unseren Gestaltungsgrundsätzen, wenn die Welt noch virtueller wird und noch näher zusammenrückt? Wie wird es dann wohl um die Rams’sche These »Gutes Design ist ästhetisch« bestellt sein? Werden wir, wie Trendforscherin Li Edelkoort schon mutmaßt, das durch den IS diskreditierte Schwarz aus unseren Kleiderschränken verbannen? Und die Maxime »Weniger ist mehr« über Bord werfen, um der vielfältigen visuellen Kultur der Migranten gerecht zu werden? Und wie wird es sich mit dem Leitsatz »To break the rules, you have to know them« verhalten, wenn es gar keine Regeln mehr gibt? Wird Typografie schlicht eine Frage der schnellen Erfassbarkeit? Oder Siri die neue Helvetica? . . . In PAGE 10.2016 stellen wir die goldenen Regeln der Gestaltung auf den Prüfstand. – Rule the Future!

Gabriele Günder,
Chefredakteurin/Publisherin

 

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