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Design von, für und durch Inklusion: Basis für diskursive und praxisrelevante Auseinandersetzung

Designerinnen und Designer greifen massiv in unser Alltagsleben ein und beeinflussen maßgeblich, wer dazu gehört und wer nicht. Ungleichheit und Diskriminierung reproduzieren sich somit in höchstem Maß durch Design. Es wird Zeit, dass wir begreifen, wie gesellschaftliche und technologische Entwicklungen die Sicht auf Diversität verändern (können). Eine Leseprobe.

Design und Inklusion: Neues Buch vonTom Bieling
Dr. Tom Bieling forscht und lehrt am Zentrum für Designforschung der HAW Hamburg. Bild: Kai Hattermann

Inklusion, nicht Integration: Ähnlich wie der Begriff Diversity, so hat auch der Begriff Inklusion zuletzt als gesellschafts- und sozialpolitischer Orientierungsbegriff stark an Popularität gewonnen. Im Kern umschreibt er den Einbezug von Menschen in die Gesellschaft und steht somit komplementär zum Begriff Exklusion. Während Letzterer zumeist einheitlich interpretiert wird („Die anderen“ werden von der Gemeinschaft ausgeschlossen!), so wird der Begriff Inklusion häufig mit dem Begriff Integration verwechselt.

Bei beiden handelt es sich jedoch um unterschiedliche Konzepte, deren folgende Unterscheidung von größerer Bedeutung ist: Der integrative Ansatz zielt darauf ab, „die anderen“ Teil des vorgegebenen Systems werden zu lassen, in dem sie sich den jeweiligen Gegebenheiten anpassen, deren gesellschaftliche Regeln von einer mehrheitsorientierten Gruppe bestimmt werden. Im inklusiven Ansatz sind „die anderen“ hingegen nicht mehr vorhanden, da alle Individuen als Teil des Ganzen gesehen werden und Gesellschaft demnach gleichberechtigt mitgestaltbar wird.

Der Aspekt der Gestaltbarkeit bezieht sich freilich nicht nur auf inklusive gesellschaftliche Verhältnisse, sondern betrifft – wie der Soziologe Heinz Bude es formuliert – auch die „dingliche Verfassung der Gesellschaft“. Aufzüge in Bahnhöfen, Rampen an Treppenaufgängen oder Gebrauchsanleitungen in Blindenschrift, kennzeichnen eine inklusive Gesellschaft der Dinge und Geräte, die die materielle Dimension der Menschenrechte vor Augen führen.

Das Grundprinzip von inklusiver Gesellschaft liegt also auch in der barrierefreien Gestaltung ihrer Zugänge. Einer Gestaltung von Gegenständen, Prozessen, Medien und Handlungsabläufen, die von allen Menschen unabhängig von ihren körperlichen oder kognitiven Voraussetzungen, kulturellen Hintergründen oder sozialen Herkünften problemlos in Anspruch genommen werden können. Das Prinzip Barrierefreiheit stellt damit ein Kernstück des Inklusionsansatzes dar.

Was bedeutet das für Designerinnen und Designer? Was sind ihre Aufgabenbereiche und Möglichkeitsräume, um Inklusion zu erleichtern, zu praktizieren, sie zuzulassen, aufzugreifen und voranzutreiben?

Design von, für und durch Inklusion

Für eine diskursive und zugleich praxisrelevante Auseinandersetzung mit Design und Inklusion innerhalb und außerhalb der Designforschung schlage ich hierzu drei Positionen in Bezug darauf vor, wie Design und Inklusion in Beziehung zueinander stehen (können) bzw. wie Design mit Blick auf Inklusion operieren kann. Die Aufteilung zielt nicht zwangsläufig darauf ab, neue Betätigungsfelder für Design zu lokalisieren, sondern soll als Versuch aufgefasst werden, die verschiedenen Beziehungsebenen von Design und Inklusion deutlicher hervorzuheben, um somit eine Diskursgrundlage für diesen Themenkomplex zu schaffen, der sowohl im Praxis- und Wissensfeld Design als auch darüber hinaus verstanden und diskutiert werden kann.

1. Design von Inklusion

Die erste Position bezieht sich auf ein Design von Inklusion. Dieses vollzieht sich vor allem in und durch entsprechende Institutionen und Handlungsorgane, die z. B. mit der Konzeption, Ausführung, Beratung oder Kritik entsprechender politischer, gesetzgebender oder infrastruktureller Rahmenbedingungen befasst sind (z. B. Ministerien, Kommunen, Gerichtshöfe, öffentlicher Dienst, aber auch Bürgerinitiativen, NGOs etc.). Der Einfluss der ausführenden Institutionen (z. B. auf Kommunal- oder Ministerialebene) auf das Design von Inklusion bezieht sich dabei etwa auf gesetzgebende, infrastrukturelle Aspekte. Der Einfluss der beratenden Institutionen (z. B. Initiativen) bezieht sich beispielsweise darauf, die politisch-institutionellen Vorgehensweisen zu informieren oder deren Handlungsorganen im lobbyistischen Sinne zu Rate zu stehen.

Inklusion als Entwurf: Neues Buch über Design & Inklusion
Tom Bieling: Inklusion als Entwurf – Teilhabeorientierte Forschung über, für und durch Design. Birkhäuser / DeGruyter / BIRD Board of International Research in Design

Ein Design von Inklusion und eine iterative „Optimierung“ inklusiver Prozesse haben in dem Sinne also direkt in den Institutionen selbst bzw. in Kollaboration mit ihnen stattzufinden. Designer*innen, die auf diese Weise an der (Um-)Gestaltung der Institutionen beteiligt sind, können beispielsweise als Strategic Designerinnen oder Service Designer dazu beitragen, die dortigen Prozesse zu verbessern. Oder aber als Kommunikationsdesigner daran arbeiten, die Kommunizierbarkeit dieser Prozesse nach innen und außen gestalterisch transparent, verständlich oder auch effizienter zu machen. Hier könnte Inklusion mithilfe von Designwissen und gestalterischen Erschließungs- und Implementierungsmethoden vorangetrieben werden, indem Design eben solchen Institutionen hilft, die mit Inklusion beauftragt oder beschäftigt sind.

2. Design für Inklusion

Die zweite Position liegt im Design für Inklusion. Hier kann Design als Bereitsteller und Gestalter von Werkzeugen, Gegenständen, Informationen, Objekten, Plattformen, Netzwerken, Systemen, kurz: von Dingen sein, die hilfreich und nützlich für Inklusion z. B. in Bezug auf alltagspraktische Anwendungen sind. Hier geht es also insbesondere um Artefakte, Produkte, Endgeräte, die als „Tools for Empowerment“ dabei behilflich sein können, Menschen oder Communities zu befähigen. Denn Design für Inklusion zielt darauf ab, Zugänge zu ermöglichen und zu erleichtern, Barrieren abzubauen, mehr Menschen an sozialen Prozessen zu beteiligen, ihnen Zugriff zu Information und Teilhabe an Entscheidungsprozessen zu erleichtern, sowie Kollaborations- und Vernetzungsmöglichkeiten einzuleiten. Die Möglichkeiten und Entwicklungen der digitalen Technologie versprechen hier eine ganze Reihe an neuartigen Formen der Inklusion. Was nicht heißt, dass Design für Inklusion sich allein auf den Einsatz und die Entwicklung solcher digitalen Technologien beschränkt. Werkzeuge zur Beteiligung greifen auch in „analogen“ Bereichen und vollziehen sich über das komplette Spektrum der Designdisziplinen – sei es im Bereich des Produkt-Designs, des Service Designs, sei es mit einem Fokus auf Community Building, oder aber in einer provokativen Ausformung des Designs als Critical Design.

Durch die Schaffung und Bereitstellung von Werkzeugen zur Beteiligung kann Design für Inklusion zugleich Treiber des zuvor beschriebenen Designs von Inklusion sein. Und überdies auch die, als nächstes beschriebene, Position des Designs durch Inklusion beflügeln. Dies gilt insbesondere dann, wenn Design hier nicht nur Dinge bereitstellt, sondern Rahmenbedingungen dafür schafft, dass Menschen, Gruppen und Communities an eigenen Lösungen arbeiten können, die jenseits einer direkten Intervention durch Designerinnen und Designer liegen. Eine Art Hilfe zur Selbsthilfe also. Solche Systeme der Ermächtigung können z. B. in Form von digitalen oder analogen Plattformen, durch Einbindung von Sozialarbeiter*innen, anhand von hybriden Formen des Wissensaustauschs, persönlichen Netzwerken o. Ä. bestehen.

3. Design durch Inklusion

Die dritte Position, Design durch Inklusion, bezieht sich auf das Prozessuale, also den Aspekt der Inklusion im Designprozess selbst. Beispiele hierfür sind insbesondere partizipative bzw. Co-Design-Prozesse. Das Prinzip einer gleichberechtigten, nicht ausbeuterischen Teilhabe von Nicht-Designer*innen im Gestaltungsprozess könnte idealtypischerweise als Voraussetzung oder aber als Ausdruck einer Grundhaltung angesehen werden, die Menschen einer Gesellschaft auf Augenhöhe verortet sieht und auf einem demokratischen Grundverständnis von Gleichheit und Gerechtigkeit beruht.

Ein Design durch Inklusion kann im Erfolgsfall wiederum jede der beiden anderen Positionen informieren und beflügeln: das Design von Inklusion ebenso wie das Design für Inklusion. Auf diesen unterschiedlichen Ebenen kann Design dazu beitragen, kritische Fragen zu bestehenden (Macht-)Verhältnissen zu stellen, mögliche Alternativen aufzuzeigen und somit Diskurse anzuregen oder zu moderieren.

Die hier herausgearbeitete, prinzipielle Verflechtung von Design und Inklusion verdeutlicht die tendenziell mögliche, inklusive (und ebenso exklusive) Wirksamkeit von Design. Wie beschrieben, umschließt ein Prinzip Inklusion die komplette Diversitätsskala sämtlicher Lebensformen und Gesellschaftsbereiche (z. B. Aspekten wie Herkunft, Ethnizität, Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Glaube, Bildung). Aus gestalterischer Perspektive kann es somit beispielsweise auf Menschen zielen, die in einem bestimmten Handlungsraum von Techniknutzung nicht berücksichtigt werden und dadurch Gefahr laufen, weiter sozial ausgegrenzt zu werden. Andererseits bietet sich das technologische Potenzial eines Miteinbezugs der Exkludierten, etwa durch gezielten Abbau von Zugangs- und Nutzungsbarrieren. Technik und deren Gestaltung selbst sind somit von einer Ambiguität gekennzeichnet, die zum einen ein Spannungsfeld von Macht und Abhängigkeit, zum anderen ein Inklusionspotenzial für vermeintlich Unterprivilegierte beinhaltet.

Perspektiven für Designforschung

Anhand der Aufschlüsselung in drei Positionen, die sich zum Teil gegenseitig beeinflussen und bedingen, ergeben sich verschiedene Perspektiven einer Designforschung im Geflecht Design und Inklusion.

Mögliche Perspektiven einer Designforschung in Bezug auf Design von Inklusion könnten sich beispielsweise auf die Frage beziehen, wie sich politische Infrastrukturen und Prozesse mit und für Bürgerinnen und Bürgern in einem „nutzer-“ und anwendungsorientierten Sinne (um-)gestalten lassen. Dies schließt die Frage mit ein, welche Rahmenbedingungen im öffentlichen Sektor geschaffen und aufrechterhalten werden müssen, um möglichen Ausgrenzungen ganzer Bevölkerungsgruppen entgegenzuwirken – etwa in Form von neu gestalteten Dienstleistungen. Weitere Fragestellungen ergeben sich in Bezug darauf, wie die Entwürfe technologischer und sozialer Innovationen ineinanderwirken können.

Adressaten und Partner einer solchen Designforschung können die Institutionen selbst sowie deren Nutzerinnen und Nutzer sein. Untersuchungsfelder können überdies auch die mit ihnen assoziierten Prozesse und Abläufe sein, wie z. B. Gesetze, Regularien, Formulare, aber auch Fragen bezüglich der Kontaktpunkte (Touch Points) zwischen den Institutionen und ihren Nutzer*innen sowie Fragen zur prozessbezogenen „User-Experience“.

Mögliche Perspektiven einer Designforschung in Bezug auf Design für Inklusion könnten sich zum einen auf konkrete gestalterische Aspekte bestimmter „Geräte“ und „Werkzeuge“ (Tools) zur Beteiligung ergeben – etwa anhand von eigens und iterativ entwickelten Prototypen. Auf einer weiter gefassten Betrachtungsebene könnte sich Designforschung dabei auch mit den Verzwicktheiten von Design beschäftigen, das zum einen in Gestalt eines „empowernden“, befähigenden, emanzipatorischen Design, zum anderen als entmächtigendes, entfähigendes, diskriminierendes (exklusives) Design daherkommen kann. Anknüpfungspunkt hierfür könnten beispielsweise auch die Überlegungen Friedrich von Borries zu einem entwerfenden und unterwerfenden Design sein.

Mögliche Perspektiven einer Designforschung in Bezug auf Design durch Inklusion könnten, gerade auch durch den aktiven Miteinbezug von Betroffenen, einen eher kritisch-analytischen Blick auf gestaltungsbedingte Machtverhältnisse und Ausgrenzungsprozesse einnehmen.

An allen dieser drei Positionen zeigt sich, dass Inklusion Gegenstand von Design ist. Sowie umgekehrt, dass Inklusion auch als Versuch einer Reaktion gewertet werden kann, die sich als „Reaktion auf fehlgeschlagene, problemerzeugende Ergebnisse von Designprozessen“ (Borries) beschreiben ließe. In allen der drei beschriebenen Positionen zeigt sich somit Potenzial und Handlungsspielraum für die Designforschung. Sei es in Form einer Forschung für, über oder durch Design.

Tom Bieling: Inklusion als Entwurf – Teilhabeorientierte Forschung über, für und durch Design

Dr. Tom Bieling forscht und lehrt am Zentrum für Designforschung der HAW Hamburg. Promotion zum Dr. phil. an der Universität der Künste Berlin (UdK), Gastprofessuren an der Universität zu Trient und an der German University in Cairo, Lehraufträge weltweit. Am Design Research Lab der UdK (2010 – 2019) leitete er unter anderem das Forschungscluster Social Design. Zuvor Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den T-Labs / TU Berlin (2007–2010). Er ist Mitherausgeber der Buchreihe Design Meanings, Mitbegründer des Design Research Networks und Initiator von Designforschung.org. Regelmäßiges Mitglied in Jurys, Forschungs- und Expertengremien (u.a. Wissenschaftlicher Beirat des Instituts Mensch, Ethik und Wissenschaft) und Autor von zahlreichen Publikationen. Vom Falling Walls Konsortium wurde er zum Young Innovator of the Year gewählt. Seine mehrfach ausgezeichneten Arbeiten werden weltweit ausgestellt. Seine neuesten Bücher: Inklusion als Entwurf (Birkhäuser, 2019), Design (&) Activism (Mimesis, 2019) und Gender (&) Design (2020).

Inklusion als Entwurf: Neues Buch über Design & InklusionTom Bieling: Inklusion als Entwurf – Teilhabeorientierte Forschung über, für und durch Design
Birkhäuser / DeGruyter / BIRD Board of International Research in Design

320 Seiten, deutsch
Format: 16.8 x 24.0 cm
Hardcover
€49.95

ISBN-10: 3035620202
ISBN-13: 978-3035620207
Link zum Verlag: https://www.degruyter.com/view/title/558441

 

 

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