So könnte sich die Rolle von Illustratoren langfristig ändern – wenn sie ihr Berufsbild mal ganz neu betrachten …
Noch ist es die absolute Ausnahme, dass Illustratoren visuelle Identitäten kreieren. Zwei Gründe aber sprechen dafür, dass sich das ändern könnte.
Illustration kann derzeit in einem Maße zum integralen Bestandteil komplexer Erscheinungsbilder werden, wie sich das für Fotografie nur schwer vorstellen lässt. Im digitalen Zeitalter werden Erscheinungsbilder immer dynamischer, statt der Geschäftsausstattung stehen immer häufiger die Online-Auftritte im Vordergrund. Mit ihrer Beweglichkeit eröffnet digitale Illustration da ungeahnte Möglichkeiten.
Nehmen wir Merijn Hos, die das Erscheinungsbild für diverse tolle Festivals gestaltete – der Niederländer bezeichnet sich selbst als »Illustrator, Visual Artist and occasional Art Director«. Gemeinsam mit seinem Bruder, dem Motion-Designer Jurriaan Hos entstehen etwa seit 2015 alljährlich Kampagne, Website, Animationen und Festivaldeko des niederländischen Musikfestivals Down The Rabbit Hole.
Am erfolgreichsten verbindet wohl die Britin Kate Moross Illustration und Art-Direktion miteinander. In ihrem Londoner Studio, für seinen poppig-farbenfrohen Stil weltbekannt, arbeiten mittlerweile zehn Leute. Da werden dann Illustratoren zu Auftraggebern von Webdesignern – und nicht umgekehrt.
Um Illustration und Webdesign geht es in der Titelgeschichte der jüngst erschienenenPAGE 06.2018. Unsere These: Noch schöpfen digitale Medien das riesige Potential von Illustrationen nicht richtig aus. Gerade ihre Veränderlichkeit ist ja im Multi-Channel-Zeitalter ihre größte Stärke, was natürlich vor allem für Vektorillustrationen gilt. Aber auch wer sich nicht durchringen kann, mal mit Vektoren zu arbeiten, sollte modular denken, in Ebenen arbeiten und öfters Gifs erstellen, um sich dem Thema Animation zu nähern.
Modular zu denken, bedeutet eben auch, den Blick von der Einzel-Illustration auf die Anforderungen komplexerer Projekte und auf Branding-Dimensionen auszuweiten. Bestenfalls führt das zu Projekten wie dem Erscheinungsbild des britischen Illustrators Edward Carvalho-Monaghan für The Conference. Im September wird sich die Veranstaltung im schwedischen Malmö wieder mit Trends und Kreativität in der digitalen Welt beschäftigen. Der Auftrag kam direkt von den Organisatoren der Konferenz – eine tolle Herausforderung für den Illustrator, der sonst für Kunden wie »Guardian«, »Hermès« oder »Transport for London« arbeitet.
Das Briefing-Thema »Komplexität erkunden« war nicht ganz einfach. »Es sollte ums Zusammenspiel von Dingen gehen, und zwar auf Basis physikalischer Parameter«, erklärt Carvalho-Monaghan. »Dabei musste eine Struktur entstehen, deren Elemente sowohl auf der Website als auch als analoge Dekorationen auf der Konferenzbühne zum Einsatz kommen können.«
Die Site 2018.theconference.se besitzt nun tatsächlich einen physikalisch-physischen Touch. In einzelnen Blocks scheinen Dinge von unsichtbaren Mechanismen gezogen oder geschoben zu werden. In der Menüleiste oben bewegen sich die Buttons wie Schubladen vor und zurück.
»Ein Entwicklerteam in Schweden hat die Website aus den von mir produzierten Assets gebaut, wobei wir uns immer wieder über neue Ideen und Kombinationen der Blocks ausgetauscht haben«, so Carvalho-Monaghan und fügt amüsiert hinzu: »Alle an der Umsetzung des Erscheinungsbilds Beteiligten müssen also schon Komplexität erkunden, ob Web- oder später Bühnendesigner.«
Eine Herausforderung, die in Zukunft immer öfter auf Illustratoren zukommen könnte – Hand in Hand mit spannenden Aufgaben.