Professor Eberhard Schlag, Partner bei ATELIER BRÜCKNER, über Grundlagen und Zukunftsfragen der interaktiven Ausstellungsgestaltung
Professor Eberhard Schlag, Partner bei ATELIER BRÜCKNER, über Grundlagen und Zukunftsfragen der interaktiven Ausstellungsgestaltung
Was muss eine gute Interaktion leisten – im digitalen wie analogen Bereich?
Digitale Medien werden nicht zum Selbstzweck, sondern stets im Dienste der Botschaft eingesetzt. Nicht die Medien als Format oder Technologie an sich stehen im Fokus der Gestaltung und Präsentation, sie dienen vielmehr der Vermittlung von Inhalten und erzielen spezifische Wirkungen im Rezeptionsprozess. Objekte und Inhalte sind es, auf die es die Aufmerksamkeit zu lenken gilt, auf deren Aussage und nachhaltige Wirkung es ankommt. Das Medium bleibt der Botschafter.
Was können neue Medien im Museumsbereich leisten, in dem es ja auch um das Historische und um die Aura des Originals geht?
Digitale Medien eröffnen einen individualisierten oder auch partizipatorischen, einen synästhetischen und kreativen Zugang zu Objekten, Wissen und komplexen Zusammenhängen. Die Interaktion mit dem Benutzer ermöglicht es, unzugängliche oder schwer vermittelbare Informationen nachhaltig zu transferieren. Sie werden begehbar und begreifbar. Der Rezipient entscheidet selbst über Zeitpunkt, Art und Fülle des Angebots. So bildet sich aus den aufbereiteten, differenzierten Informationsschichten ein den individuellen Bedürfnissen entsprechender Erlebnis- und Erfahrungshorizont heraus.
Zusammenhänge werden schneller und vollständiger denn je erfassbar, denn es ist möglich, mehrere Informationsebenen hochgradig zu parallelisieren. Die Rezeption diverser Ebenen und die kognitive Verarbeitung hin zum umfassenden Verstehen und Begreifen eines Kontextes liegen zeitlich wie räumlich viel dichter beieinander als bei traditionellen additiven Präsentationen. Man könnte fast sagen, die integrative Gestaltung mit digitalen Mitteln ermöglicht eine Fusion von Rezeption und Kognition.
Welche Arten der Interaktion sind gegenwärtig angesagt – bei den Nutzern und zum Anderen bei den Ausstellungsgestaltern?
Nach den Zeiten der rein autoaktiven Systeme der 1960er bis 1980er Jahre ist die Szenografie mittlerweile dabei, immer komplexere und flexiblere interaktive wie auch reaktive Mediensysteme zu realisieren. Das hat zur Folge, dass dem Rezipienten zunehmend tatsächliche Einflussmöglichkeiten zukommen, indem zum Beispiel Realzeitprogramme auf sein Verhalten und seine Bedürfnisse reagieren. Der Rezipient wird Teil des Sujets, bekommt eine Rolle und hat somit Anteil an der »Lösung des Problems«. Zugrunde liegen komplexe Steuerungssysteme, die – neben dem Einsatz von Video, Sound und Licht – über elektronische Sensoren und Rezeptoren zum Beispiel via Kapazitätsfelder oder Kamera-Tracking auf Bewegung, Berührung, Geräusch und Sprache reagieren können.
In den letzten Jahren entstanden im Atelier zahlreiche Konzepte für innovative Medienapplikationen und Information-on-Demand-Systeme, darunter interaktive Vitrinen, die zugleich als Leit- und Informationssystem fungieren können, elektronische Boden- und Wandkarten, interaktive Medientische, Bücher als visuelle Hörstationen, die komplexe Zusammenhänge spielerisch erfahrbar machen, und interaktive Projektionen im Zusammenspiel von Ton, Film und reaktiven Interfaces. Allen gemein ist, dass sie ein nachhaltiges, individuelles Erschließen und Erleben der Inhalte erlauben.
Wie überprüfen Sie die Usability Ihrer interaktiven Objekte? Welche Rolle spielen bei ATELIER BRÜCKNER Modelle und Prototypen?
Pläne zu lesen ist für die meisten Auftraggeber ungewohnt. Es empfehlen sich zwei- oder dreidimensionale Vorabansichten aus der Perspektive des Rezipienten – also der subjektive ?»Visitor’s View«. Ein maßstabsgetreues Modell , das die Physiognomie des Geplanten plastisch vermittelt, das Vertrauen in die Machbarkeit stärkt und eine sukzessive Realisierung für alle Beteiligten im wahrsten Sinne des Wortes »begreiflich« macht, bleibt am überzeugendsten. Das physische Modell ermöglicht die Beurteilung von Ausmaßen und Proportionen. Es erlaubt das maßstäbliche Überprüfen verschiedener Parameter sowie Modifikation, Umbau, Reduktion und Restrukturierung; es bietet auch die paritätische Vergleichsmöglichkeit innerhalb alternativer Entwurfsszenarien. Im Rahmen der Detailplanung werden Exponate und Sekundärexponate in das Modell integriert und sämtliche Ausstellungselemente im Maßstab 1:50 bis 1:1 detailliert.
Ein wichtiger Schritt ist es, die Ausführungsweise und -qualität zu definieren, die schließlich mittels technischer Zeichnungen an ausführende Firmen kommuniziert und im Zuge der Objektüberwachung sichergestellt werden müssen. Mock-ups und Probeaufbauten gehören zu diesem Detaillierungsprozess, der von der Konzeptidee zum gebauten Unikat führt. Sie sind ein wesentliches prozessuales Element bei der Realisierung innovativer Projekte und bringen ein Optimum an Wirklichkeitsnähe in ein Projekt mit Unikatanspruch. Meist sind es Testkonstruktionen und -aufbauten im Maßstab 1:10 bis 1:1, anhand derer die Entwürfe einer Realitätsprüfung unterzogen werden.
In welche Richtung entwickelt sich das Thema »Interaktion in der Informationsvermittlung« gestalterisch, konzeptionell und technisch? Was sind die Fragen und Herausforderungen der Zukunft?
Information on Demand ermöglicht dem Ausstellungs- und Museumsbesucher eine maßgeschneiderte, subtile und individuelle Rezeption. Mittels eines PDAs (Personal Digital Assistant) oder eines simplen elektronischen Scans via Eintrittskarte kann unterschiedlichen Besuchertypen ein spezifisches Rezeptionsprofil zugeordnet und jenen ein dementsprechend spezifisches Informationsspektrum angeboten werden. Konkret heißt das: ältere Museumsbesucher, Kinder, Jugendliche, Reisegruppen oder fremdsprachige Besucher erhalten jeweils ein gruppenspezifisch zusammengestelltes Ausstellungspaket. Nicht nur die Auswahl des Verfügbaren, auch die Rezeptionschronologie, ihre Quantität und Intensität können zukünftig individuell gemessen werden. Das Upgrade des Systems ist durch die elektronische Registrierung beziehungsweise Steuerung eines letztlich unbegrenzt kategorisierbaren Besucherprofils möglich.
Information-on-Demand dient Kuratoren wie Gestaltern und begegnet den Besuchern auf Augenhöhe. Es könnte eine multipel einsetzbare, zielgerichtete Alternative zum kompetenten Ausstellungsführer werden. Die Frage, ob es eine Entwicklung zur Ablösung des leiblichen Exhibition-Guides oder zum »transparenten Ausstellungsbesucher« einleiten kann oder wird, wäre Anlass für eine interessante Debatte im Kontext des Potentials neuer Medien.
Mehr zum Thema Interaktive Exponate finden Sie in dem Artikel »Schicht für Schicht« in PAGE 12.2011. Hier können Sie die Ausgabe bestellen.