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Wir sind das Netz

Wir müssen über das Internet sprechen.

Wir müssen über das Internet sprechen. Nicht weil sich die Netzgemeinde persönlich beleidigt fühlt angesichts von Obamas Kontrollwahn, der NSA und der Sammelwut der großen US-Tech-Firmen. Sondern weil wir Designer mit diesem Netz, in ihm und für dieses unseren Beruf ausüben … eine unveränderbare Realität.

Das Internet ist weder kaputt noch am Ende. Genauso wie der Straßenbau und die Automobilisierung nicht den Untergang unserer Kultur gebracht haben. In der digitalen Krise sind wir Menschen der größte Unsicherheitsfaktor. Das Netz ist keine bessere Welt, sondern lediglich ein Abbild der bestehen­den. Die Enthüllungen Edward Snowdens haben uns auf den Boden der digitalen Realität gebracht.

Für Sascha Lobo gibt es, wie er am 12. Januar in der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« schrieb, bezüglich des Netzes nur zwei Arten von Menschen: »die, deren Leben das Internet verändert hat, und die, die nicht wissen, dass das Internet ihr Leben verändert hat« (siehe http://is.gd/lobo_kraenkung). Tatsächlich: Auch wer nicht auf Facebook ist und seine Briefe von Hand auf Büttenpapier schreibt, wird Teil des digitalen Datenstroms.

Seit vergangenem Sommer wissen wir, dass die USA ihren gesamten Brief­verkehr aus Sicherheitsgründen fotografieren, die Adressdaten aufschlüsseln und speichern, rund 160 Milliar-den Sen­dungen im Jahr. In Deutschland ge­schieht das auch, aus technischen Gründen, inklusive einer Kooperation mit US-Behörden. Veranlasst von Sicherheitsbehörden, ge­dul­det von der Politik, eingespeist in den von Menschen »streng kontrollierten« Datenkreislauf.

Während 2013 das Jahre der Desillusionierung war, wird 2014 das Jahr der Besinnung. Natürlich haben die fortwährenden Enthüllungen über die NSA und deren Zusammenarbeit mit Google, Facebook, Apple, Microsoft und Co das Vertrauen in das Netz tief erschüttert. Ganz zu schweigen von einer neuen Form der Industriespionage. Während sich früher Agenten mit Mikrokameras unter Lebensgefahr auf feindlichem Firmengelände herumtrieben, zapfen Computerspione heutzutage vom Schreibtisch aus die Datenspeicher ihrer Gegner an.

Erik Spiekermann twitterte Mitte Januar: »Das Internet ist ein Überwachungssystem, das gelegentlich zum Flügebuchen oder Bücherkaufen einlädt.« Das ist zwar arg schwarzweißgemalt, aber als vernetzter Kommunikationsdesigner empfindet man die Bedrohungen intensiver als vielleicht Schriftsteller, Fernsehmacher oder Ar­chitekten, die zum Teil mit nicht vernetzten Geräten beziehungsweise in eigenen Netzen arbeiten.

Für Grafikdesigner ist die Abhängigkeit von der digitalen Sphäre unausweichlich. Ihre Selbstdarstellung und das Portfolio gibt es schon lange nicht mehr gedruckt: Sie stehen im Netz. Angebote und Rechnungen gehen per Mail an die Auftraggeber, Projekte liegen in der Wolke (Dropbox), Fonts werden von einem Server zu­geschaltet (Typekit), ja der Grafiksoftware-Monopolist Adobe verlagert über seine Anwendungen sogar den gesamten Schaffensprozess in seine (Cre­a­tive) Cloud. So, und wer weiß nun, an welcher Stelle in diesem Geflecht vertrauliche Informationen unzureichend geschützt sind, wo die Schlupflöcher liegen, wo die sicheren Verstecke?

Die besten Datenschützer müssen wir in Zukunft selbst werden. Und damit ist absehbar, dass sich für den Beruf des Designers ganz neue Lernfelder eröffnen. Die Kenntnis darüber, welche Daten­spu­ren man im Netz
hinterlässt und welche Konsequenzen das hat, wird in den kommenden Jahren zu einer selbstverständlichen in­tellek­tuellen Fähigkeit.

Ich weiß, erst vor Kurzem haben wir gepredigt, dass Designer mündiger im Digitalen werden müssen, dass sie Medien verstehen, ja sogar Code schreiben sollen. Und nun ist schon wieder Nachhilfe angesagt. Ein gutes Zeichen, denn wichtige Berufe entwickeln sich ständig weiter. Faszinierend, was sich alleine in 28 Jahren PAGE im Kommunikations­design getan hat. Deshalb liebe ich diesen Beruf so. 

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