»Wir kümmern uns um die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine und sorgen dafür, dass die Menschheit keinen Schaden nimmt«, sagt Karel Golta, Geschäftsführer und Inhaber von Indeed. Ein Interview über künftige Aufgaben und Verantwortung.
Designern kommt bei der Gestaltung künstlicher Intelligenz eine größere Rolle zu als bloßes Interface Design. Mit ihrem geschulten Blick für die Bedürfnisse des Users und ihrem Methodenwissen in Human-Centered Design und Design Thinking können sie für eine menschenfreundliche Entwicklung von KI sorgen. Wir sprachen mit Karel Golta, Geschäftsführer und Inhaber von Indeed, über die Chancen und die Verantwortung, die sich daraus für Designer ergeben.
Wie definieren Sie künstliche Intelligenz?
Karel Golta: Bei dem Begriff wird gerade viel miteinander vermischt. Virtual- und Augmented Reality, Drohnen, Roboter, autonom fahrende Autos, KI – alles landet in einem Topf. Daraus entsteht eine Bouillabaisse der technischen Begriffe des 21. Jahrhunderts. Das ist schade, weil es sowohl das Potenzial als auch die Risiken von KI verschleiert. Wenn ich von KI spreche, meine ich vor allem Deep Learning – also künstliche neuronale Netzwerke, die lernen und sich selbstständig weiterentwickeln können. Diese grenzen sich klar von »normalen« Algorithmen ab, die auf bestimmte Faktoren mit vorprogrammierten Schritten reagieren. KI in diesem Sinne ist nicht statisch, sondern verändert sich und wird smarter. Das ist die Ursache für viele Ängste – und eine große Chance zugleich.
Was bedeutet das für Designer? Wie können sie die Entwicklung von KI beeinflussen?
Golta: Designer gestalten heutzutage nicht mehr nur Produkte und Oberflächen, sondern eben zunehmend Prozesse. Sie arbeiten an wichtigen Themen wie Armutsbekämpfung oder Gemeindeplanung mit und tragen wesentlich zu Lösungen bei. Auch bei der Gestaltung von und mit KI können und müssen sie eine tragende Rolle einnehmen. Damit geht dann allerdings eine besondere Verantwortung einher, denn die Technologie ist so neu und umfassend, dass wir kaum absehen können, welchen Impact sie auf unser Leben haben wird.
»Wir beeinflussen schon jetzt das Verhalten zukünftiger Generationen«
Das war bisher anders?
Golta: Wenn man heute eine Website, einen Flyer oder einen Wasserkocher gestaltet, weiß man ziemlich genau, welche Auswirkungen damit verbunden sind. Die einzelnen Bestandteile wie Farben, Papier und Rohstoffe sind gut kontrollierbar. Diese Gewissheit war bisher Teil unserer DNA: Wir konnten den Impact unserer Arbeit kurz-, mittel- und langfristig relativ gut einschätzen. Beim Thema KI können wir hingegen maximal kurzfristig sehen, was wir erreichen. Was es langfristig mit uns macht, wissen wir nicht. Wie beeinflusst es etwa die Entwicklung unserer Kinder, wenn sie mit Sprachassistenten wie Alexa aufwachsen? Bei Voice Interfaces und in vielen anderen Bereichen fliegen wir quasi blind. Hier müsste viel mehr geforscht werden. Stattdessen wird oft erstmal gemacht.
Das ist das Mindset der Tech-Firmen: Move fast and break things.
Golta: Gerade bei KI ist das ein gefährliches Spiel. Noch steht die Technologie in den Anfängen und katastrophale Auswirkungen wie autonome Killer-Roboter sind Science-Fiction. Dennoch beeinflussen wir schon jetzt das Verhalten zukünftiger Generationen. Dessen müssen sich alle Disziplinen, die an der Entwicklung von KI beteiligt sind, bewusst sein.
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Können Methoden wie Speculative Design dabei helfen, solche Effekte mithilfe von explorativen Projekten und Prototypen zu erforschen?
Golta: Nur bis zu einem gewissen Grad, denn Prototypen können keine Langzeitstudien ersetzen. Sie fördern vielmehr die Denke: Wenn der erste Prototyp funktioniert, bauen wir darauf auf. Vom Minimum Viable Product geht es dann Schritt für Schritt zum fertigen Produkt – ohne dass jemand über die Konsequenzen nachdenkt. Wirklich experimentelle Designforschung mit KI, die weiter in die Zukunft blickt, gibt es bisher leider kaum.
Welche Rolle sollten Designer im Entwicklungsprozess einnehmen?
Golta: Je früher Designer in ein Projekt einbezogen werden, desto mehr Einfluss haben sie auf das Ergebnis. Schon heute begleiten sie in Unternehmen viele Prozesse von Anfang bis Ende – in anderen Ländern noch mehr als in Deutschland. Dazu hat die Popularität von Design Thinking und User-Centered Design wesentlich beigetragen. Die Frage ist aber: Welcher Verantwortung sind sie sich bewusst und welche Führungsrolle sind sie bereit zu übernehmen? Hier hinken Designer in Deutschland hinterher, weil sie lange nicht mit am Tisch sitzen durften. Sie müssen noch lernen, Führungsrollen zu übernehmen.
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Die Weiterentwicklung von KI führt dazu, dass wir uns mehr damit beschäftigen müssen, was uns als Menschen ausmacht. Gehört dazu Ihrer Meinung nach die Kreativität?
Golta: Das ist eine spannende Diskussion! Manche meinen Nein, weil Computer auch Bilder malen und Musik machen können. Aber das sind nur Zufallsgeneratoren, die verschiedene Sachen zusammenmischen. Meines Erachtens braucht es ein eigenes Bewusstsein, um wirklich kreativ zu sein. Neues kann man nur dann erschaffen, wenn man Dinge infrage stellt – inklusive der eigenen Existenz.
Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass KI uns als Inspiration dienen und unsere Kreativität unterstützen kann. Das hat Technik im Grunde schon immer getan: Als Adobe in den 1980ern Filter bei Photoshop einführte, übernahmen schlechte Designer die Vorlagen eins zu eins – die guten unter ihnen haben sie als Inspiration genutzt, die Vorlagen lediglich zum Teil übernommen und dann etwas ganz Neues daraus gemacht. So wird es auch mit KI-gestützten Designtools sein. Wahre Kreativität beruht auf der Fähigkeit zur Selbstreflexion – und die wird meiner Meinung nach KI nie entwickeln.
Rein handwerkliche Designtätigkeiten werden dagegen zunehmend automatisiert. Bewegt sich das Berufsfeld des Designers insgesamt mehr in Richtung User Experience und Interaction Design?
Golta: Die Gestaltungsgrundlagen müssen Designer nach wie vor beherrschen. Wer beurteilt denn sonst gutes Design, wenn wir es selbst nicht mehr entwickeln können? Auch ein Kurator muss sich mit den Grundlagen auskennen. Jedoch hat sich unser Tätigkeitsschwerpunkt verschoben: Gemeinsam mit anderen Disziplinen gestalten wir heute Nutzungskonzepte. Wir kümmern uns vornehmlich um die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine und sorgen dafür, dass die Menschheit keinen Schaden nimmt. Je unabsehbarer die Folgen digitaler Anwendungen und Services sind, desto mehr Verantwortung trägt der Designer. Ein wichtiges Thema in diesem Zusammenhang ist zum Beispiel Bias, also eine Verzerrung der Schätzfunktion in der Statistik. Mit welchen Daten eine KI trainiert wird, kann enorme Auswirkungen darauf haben, welche Ergebnisse sie liefert. Designer könnten hier die Rolle eines Datenqualitätsmanagers übernehmen.
Wie gut müssen Designer die Technik hinter KI verstehen, um damit arbeiten und die Auswirkungen abschätzen zu können?
Golta: Als Designer muss ich nicht alles können, wohl aber ein grundlegendes Verständnis davon haben – so wie ein Autodesigner nicht wissen muss, wie ein Motor funktioniert, aber ein Verständnis von Dynamik haben muss. Nur so kann er ein sinnvolles und relevantes Produkt entwerfen. Gleiches gilt für den Bereich Künstliche Intelligenz: Ich muss kein neuronales Netz programmieren können, aber ich sollte wissen, wie es in etwa funktioniert und was es leisten kann.
Google, Microsoft, das Future of Life Institute: Viele Unternehmen und Forschungsinstitute stellen derzeit »AI Principles« auf. Braucht es solche Prinzipien auch für Designer?
Golta: Designer unterwerfen sich ungern Regeln, aber ja: Ich glaube, es braucht ein Framework. Die Prinzipien, die bisher von verschiedenen Seiten aufgestellt wurden, sind zum Teil zu oberflächlich und/oder zu technisch. Es ist wichtig, dass Designer hier mitreden können – und nicht nur Informatiker. Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass es auch verbindliche Regeln für Chiphersteller gibt. So wäre von vornherein die Manipulation der Hardware zu bösen Zwecken ausgeschlossen – also Security by Design and by Default. Mit künstlicher Intelligenz ist es ähnlich wie mit Atomkraft: Ist sie einmal da, kannst du sie nicht einfach ausschalten. Genau deshalb braucht es einige möglichst simple ethische Regeln im Umgang mit KI.
»Wahre Kreativität beruht auf der Fähigkeit zur Selbstreflexion – und die wird KI meiner Meinung nach nie entwickeln«
Sie haben vier eigene Regeln formuliert. Wie lauten sie?
Golta: Erstens müssen wir immer die Auswirkungen im Blick behalten, die eine KI-Anwendung auf menschliche Fähigkeiten haben kann – das heißt gute wie schlechte. Dazu braucht es eine Art Fehleranalyse wie bei den Ingenieuren, bei der alle Eventualitäten samt ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit betrachtet werden. Ich sehe zum Beispiel den Trend zur Vereinfachung sehr kritisch. Wenn uns immer mehr abgenommen wird, dann verkümmern zwangsläufig unsere Fähigkeiten in bestimmten Bereichen. Wir werden schleichend unserer Einschätzungsfähigkeit und des eigenen Selbstwertgefühls beraubt, wenn wir immer mehr Entscheidungen an Computer abgeben. Dabei macht es uns Menschen aus, dass wir Verantwortung tragen – im Guten wie im Schlechten.
Die zweite Regel knüpft daran an: Wir sollten KI dafür nutzen, menschliche Eigenschaften zu verbessern. Zum Beispiel Empathie: Künstliche Intelligenz kann uns dabei unterstützen, andere Blickwinkel einzunehmen, um etwa andere Kulturen besser zu verstehen. Oder man bringt einer KI bei, immer zwei Optionen anzuzeigen, sodass die menschliche Position im Entscheidungsprozess wieder gestärkt wird.
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Die dritte Regel: Wir sollten keine Verantwortung an eine unsichtbare Instanz abgeben, also an künstliche neuronale Netze. An einigen US-amerikanischen Gerichten werden bereits Entscheidungen über Bewährungsstrafen von KI getroffen. Mit solchen Systemen lagern wir Verantwortung aus – wie an eine Bad Bank. Dies beruht auf einem übersteigerten Vertrauen in KI, nach dem Motto: Die Entscheidung beruht auf Daten, muss also stimmen. Aber auch KI ist nicht unfehlbar. Sie spuckt lediglich höchstmögliche Wahrscheinlichkeiten aus – keine absoluten Wahrheiten. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Es ist richtig und wichtig, dass Richter und Ärzte künstliche Intelligenz zu Hilfe nehmen – aber die letzte Entscheidung, und damit die Verantwortung, sollte beim Menschen bleiben. Schon allein deshalb, weil niemand genau weiß, was beim Deep Learning eigentlich genau passiert.
Und schließlich die vierte Regel: Wer KI-Systeme gestaltet, sollte dabei nicht nur das Wohl des Individuums im Blick haben, sondern das Wohl der ganzen Gesellschaft. Der Einfluss solcher Systeme reicht meist über die ursprüngliche Zielgruppe hinaus. Also sollten wir sie von vornherein so entwickeln, dass mehr Menschen davon einen Nutzen haben. Idealerweise machen wir es besser als bei der industriellen Revolution, bei der einige Wenige die Gewinne einfuhren und dafür Hunderttausende ausgebeutet wurden. Deshalb ist es so wichtig, dass wir möglichst viele Leute partizipativ und kokreativ am Entwicklungsprozess teilhaben lassen.
Natürlich wird es Gesetze brauchen, die wesentlich umfangreicher und komplexer sind. Aber diese Grundregeln sind ein guter Standard, unter dem viele Aspekte subsummiert werden können.
4 goldene Regeln fürs KI-Design
1) Behalten Sie stets die Auswirkungen im Blick, die eine KI-Anwendung auf menschliche Fähigkeiten haben kann – sowohl die guten als auch die schlechten.
2) Nutzen Sie KI, um menschliche Eigenschaften zu verbessern.
3) Geben Sie keine Verantwortung an unsichtbare Instanzen ab.
4) Gestalten Sie KI-Systeme stets so, dass sie nicht nur dem einzelnen Individuum, sondern der ganzen Gesellschaft zugute kommen.
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